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Unter Akademikern: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Akademie-Präsident Günter Stock und sein designierter Nachfolger Martin Grötschel beim Leibniztag der Berlin-Brandenburgischen Akademie.

© dpa

Berliner Akademie: Stimme der Wissenschaft, Ratgeber der Gesellschaft

Mehr Öffentlichkeit, Politik und Digitalisierung: Wie die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften sich wandelt.

Günter Stock und Martin Grötschel gehen seit Jahren im selben Haus ein und aus. Stock residiert als bisheriger Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) im Akademiegebäude am Gendarmenmarkt in einem großzügigen Büro in der dritten Etage. Grötschel steht noch der Einstein-Stiftung vor, die in der zweiten Etage als Mieterin untergebracht ist. Nun kommt es zum Ämter- und damit zum Etagentausch: Grötschel wird BBAW-Präsident, Stock Vorstandsvorsitzender der Einstein-Stiftung.

Offiziell übernehmen Stock und Grötschel ihre neuen Funktionen zum 1. Oktober. Der öffentliche Amtswechsel in der BBAW fand schon am Samstag im Konzerthaus am Gendarmenmarkt statt. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die einst in der DDR an der Akademie forschte, sprach höchstselbst.

In welcher Verfassung übergibt Stock Grötschel die Akademie? In der Wissenschaftsszene gelten Akademien nicht als Ferrari, sondern eher als Oldtimer. Als Vorläufer der „Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften“ wurde die Berliner Akademie 1700 gegründet: Ein exklusiver Gelehrtenzirkel, in den Mitglieder nur durch Wahl aufgenommen wurden. An diesem Zuwahlprinzip hat sich bis heute nichts geändert.

Zahlreiche wissenschaftliche Aktivitäten beschränkte Preußen mit der Gründung der Berliner Universität Anfang des 19. Jahrhunderts. Fortan kümmerte sich die Akademie um Langzeitvorhaben wie Editionen und Lexika, an denen Spezialisten jahrzehntelang arbeiteten. Bestes Beispiel ist das Grimmsche Wörterbuch, dessen Fortführung die Preußische Akademie um 1900 übernahm.

Vorbild Sowjetunion: In der DDR wurde die Akademie zur zentralen Forschungseinrichtung

Die DDR wertete die Akademie mit außeruniversitären Instituten als zentrale Forschungsinstitution auf. Mit der Wiedervereinigung und der Neukonstituierung der BBAW im Jahr 1992 wurden die Institute jedoch aufgelöst – so dass die wissenschaftliche Kernaufgabe der Akademie heute ganz in der Tradition Preußens bei den Langzeitvorhaben liegt.

Wie alle Akademien – in Deutschland gibt es acht regionale und die nationale – wird die BBAW gerne als geselliger Klub älterer Herren karikiert, in Anspielung darauf, dass die Mitglieder meist männliche Wissenschaftler mit fortgeschrittener Karriere sind. „Ehrenwert, aber nicht wirksam“, nannte Wolfgang Herrmann, der Präsident der TU München, die Akademien. Der heutige FU-Präsident Peter-André Alt sah in ihnen einmal Einrichtungen für „verdiente Helden der Wissenschaft“, die dort „Anerkennung für ihre Lebensleistung erhalten“. Bei der Zusammensetzung der BBAW-Mitglieder hat sich unter Stocks zehnjähriger Ägide wenig verändert. Der Frauenanteil liegt derzeit bei 12,9 Prozent, 2005 betrug er 8,3 Prozent. Die 350 Mitglieder sind im Schnitt 67 Jahre alt, der Altersschnitt ist seit 2005 um gut drei Jahre gestiegen. Etwas diverser sieht das Bild aus, wenn man nur die derzeit 171 "ordentlichen" Mitglieder betrachtet, also die aktuell aktiven. Hier ist der Altersschnitt mit 59 Jahren konstant geblieben (obwohl das "Entpflichtungsalter" in der Zwischenzeit um zwei Jahre angehoben wurde). Der Frauenanteil ist seit 2005 von 9 auf jetzt 19 Prozent gestiegen.

Nationale Akademie: Leopoldina erhielt den Vorzug

Doch zum Amtswechsel ist von Kritik nichts zu hören. Und so verweist der Physiologe Stock, früher beim einstigen Berliner Pharmaunternehmen Schering Forschungs-Vorstand und in der Wissenschaft gut vernetzt, darauf, dass die BBAW „die Akademienlandschaft weiter erneuert hat“. Von einem Gelehrtenverein könne keine Rede mehr sein, die Akademie habe sich geöffnet: „Wir begreifen uns jetzt als Kommunikationsplattform in der Mitte der Stadt.“

Dazu gehöre, dass sich die BBAW mehr Publikum ins Haus holt: Etwa beim „Salon Sophie Charlotte“, der einem Thema wie „Licht“ oder „Liebe“ gewidmet ist. Die BBAW vernetze sich stärker mit den Berliner Unis, wie beim Exzellenzcluster Topoi. Als Kern einer modernen Akademie sieht Stock die Gesellschafts- und Politikberatung, nach dem Vorbild der amerikanischen und britischen Akademie: „Hier sind wir sehr vorangekommen.“

Nun hat Stock gerade beim Thema Politikberatung die größte Schlappe seiner Amtszeit erlitten. Zu seiner Überraschung machte die damalige Bundeswissenschaftsministerin Annette Schavan 2008 die konkurrierende Leopoldina in Halle zur nationalen Akademie. Stock blitzte mit seiner Idee ab, die Nationalakademie mit Sitz in Berlin zu gründen – als Dach der regionalen Akademien. Gegen die selten lautstark auftretende Leopoldina stichelt Stock noch heute: „Da kann man noch ein wenig aktiver sein.“ Gleichwohl ist aber die BBAW an Stellungnahmen der Leopoldina beteiligt, wie sie eigene herausbringt. Stock verweist auf gemeinsame Expertisen zur Energiewende oder zur Stammzellforschung: „Hier werden wir gehört.“

Gemeinsam widmeten sich beide Akademien zudem einem Thema, das dem Mediziner besonders am Herzen liegt: „Zukunft mit Kindern – Fertilität und gesellschaftliche Entwicklung.“ Die Leitfrage: Warum bekommen viele Paare, die es sich wünschen, heute keine Kinder?

Marx, Goethe, Grimm und kein Ende

Das Hauptgeschäft bleiben indes die Langzeitprojekte. Bund und Länder zahlen 63 Millionen Euro pro Jahr für das „Akademienprogramm“. Allein die BBAW bearbeitet 24 Vorhaben, darunter das Goethe-Wörterbuch, die Marx-Engels-Gesamtausgabe, die Uwe-Johnson-Werkausgabe oder die Turfan-Ausgabe, also Textzeugnisse, die in der chinesischen Turfan-Oase gefunden wurden. Hinzugekommen ist etwa die Auswertung der Manuskripte Alexander von Humboldts. FU-Präsident Peter-André Alt sagt nun, er sei insbesondere in diesem Bereich „dankbar“ für das Wirken der BBAW. In der immer mehr von interdisziplinären Drittmittelvorhaben geprägten Wissenschaft kämen Editionsvorhaben, gerade in sehr kleinen Fächern, ansonsten unter die Räder.

Stock hat zudem die Einrichtung interdisziplinärer Arbeitsgruppen vorangetrieben. Dazu gehört auch die Gruppe „Zitat und Paraphrase“. Die wurde vom ehemaligen HU-Präsidenten und Akademie-Vize Christoph Markschies just während des Plagiatsverfahrens gegen Annette Schavan gegründet wurde, durchaus auch in der Absicht, Schavans Fehler relativieren zu wollen - selbst wenn Markschies und die  BBAW von dieser Absicht heute nichts mehr wissen wollen.

Wo geht es mit der BBAW hin? Gerne hätte er seinem Nachfolger Grötschel einen erhöhten Etat hinterlassen, sagt Stock. Der Grundhaushalt beträgt 5,8 Millionen Euro, getragen zu zwei Dritteln von Berlin und zu einem Drittel von Brandenburg. Mit Drittmitteln und dem Forschungsgeld für die Akademievorhaben sind es 25 Millionen Euro. Inhaltlich sind Grötschel und Stock sich einig, dass die Digitalisierung das große Zukunftsthema für Berlin und seine Wissenschaft sein wird. Und so wollen die beiden in ihren neuen Funktionen einen Masterplan Digitalisierung für Berlin vorantreiben.

Auch FU-Präsident Alt, der sich bereits für einen solchen Masterplan einsetzt, sieht die Akademie hier „gefordert“. Grötschel sei dafür „der richtige Mann“. Als Präsident des Zuse-Zentrums hat der Mathematiker Grötschel maßgeblich am „Super-Computing“, also bei Höchstleistungsrechnern, mitgewirkt. Insgesamt will er die Digitalisierung in den Geisteswissenschaften vorantreiben, ein Akademie-Beispiel ist das Digitale Wörterbuch der Deutschen Sprache, in das seit 2012 die Neubearbeitung des Grimmschen Wörterbuchs überführt wurde.

„Wenn wir noch intensiver Daten erheben, miteinander verknüpfen und austauschen, werden sich ganz neue Forschungsansätze ergeben“, sagt Grötschel. Bei der Wissenschaft für das 21. Jahrhunderts könne die Akademie so ganz vorne mitspielen.

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