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Bindend. Modell eines Antikörpers gegen das Spike-Protein.

© Abb.: Univ. of Texas at Austin

Antikörperbehandlung bei Covid-Kranken: Wenn Forscher in Echtzeit verfolgen, wie Corona mutiert

Abwehrmoleküle Genesener sind eine wichtige Option in der Covid-Therapie. Doch gerade bei besonders bedürftigen Patienten gibt es ernste Probleme.

Antikörper genesener Patienten sind eine Therapieoption bei Covid-19 – vor allem für Patienten mit geschwächtem Immunsystem. Doch schon länger haben Ärzte die Sorge, dass sich gerade dann Mutanten gut entwickeln könnten.

Ist jemand etwa aufgrund einer Chemotherapie immungeschwächt, ist das Immunsystem kaum in der Lage, Viren erfolgreich zu bekämpfen. „Verabreichte Antikörper bekommen dann kaum Unterstützung durch zytotoxische T-Zellen, wodurch sich die Chancen verringert, das Virus zu beseitigen“, schreiben britische Forscher in einer kürzlich im Magazin „Nature“ erschienenen Studie.

Infektionen werden dann häufig chronisch und es besteht ein erhöhtes Risiko, dass das Virus dann mutiert und Varianten mit neuen Eigenschaften entstehen. Bei einer Serumtherapie in Kontakt mit Spender-Antikörpern werden sich insbesondere jene Varianten durchsetzen, gegen die diese Antikörper schlechter wirksam sind. Ähnlich könnte der Effekt bei einer ungenügend wirksamen Impfung sein.

Mehr als drei Monate, 23 Genom-Sequenzierungen

Die Forscherinnen und Forscher des Konsortiums „Genomics UK“ hatten die Gelegenheit, den Zusammenhang zwischen chronischer Infektion, Mutationen und Serumtherapie 101 Tage lang bei einem immungeschwächten Covid-Patienten zu verfolgen.

Der britische Patient war über 70 Jahre alt und litt an einer in Schleimhäuten auftretenden Tumorerkrankung des Lymphsystems. Aufgrund einer Chemotherapie war sein Immunsystem geschwächt.

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Als er sich mit Sars-CoV-2 infizierte, wurde er zunächst unter anderem mit einer Serumtherapie behandelt. Zunächst stabilisierte sich sein Zustand, verschlechterte sich dann aber zusehends. Trotz weiterer Therapie verstarb er. Während jener 101 Tage wurden 23 Virusproben entnommen und deren Genome sequenziert. So ließ sich verfolgen, wie das Virus mutierte.

Nach einer zweimaligen Behandlung mit der Antikörper-Serumtherapie beobachteten die Forschenden zwischen dem 66. und 82. Tag die deutlichste Veränderung in der Viruspopulation. Dabei wurde eine Virusvariante dominant, die die Antikörpertherapie überlebt hatte. Sie weist einerseits eine doppelte sogenannte Deletion auf, durch die im Protein zwei Aminosäuren verlorengehen.

Evolutionäres Rennen mit Therapieeinfluss

Diese Veränderung mit der Bezeichnung H69/V70 liegt in der Nähe der Rezeptorbindungsstelle des Spike-Proteins, welches das Virus als Schlüssel nutzt, um in Zellen einzudringen. Dazu kommt in der Nähe noch eine weitere Mutation, bekannt als D796H.

In Kombination verursachen beide eine Strukturänderung des Proteins. Sie führt dazu, dass die verabreichten Antikörper schlechter passen und das Virus schlechter neutralisieren können.

Zunächst trat diese Virusvariante wieder etwas in den Hintergrund, erlebte aber nach der dritten Behandlungsrunde einen erneuten zahlenmäßigen Aufschwung.

Einer der Studienautoren, Ravi Gupta vom Cambridge Institut für Therapeutische Immunologie und Infektionskrankheiten, sagt hierzu: „Was wir gesehen haben, war im Wesentlichen ein Wettbewerb zwischen verschiedenen Virusvarianten und wir denken, dass dieser Wettbewerb durch die Serumtherapie angeheizt wurde.“

Bei Personen mit normal arbeitendem Immunsystem ist nicht zu erwarten, dass das Virus aufgrund der Serumtherapie wie bei immungeschwächten Patienten mutieren wird. Denn in diesen Fällen werden die Antikörper ausreichend von zytotoxischen T-Zellen der Immunabwehr unterstützt. Diese können infizierte Zellen erkennen und beseitigen. Antikörper und zytotoxische T-Zellen haben zusammen mehr Potential, Viren auszuschalten.

Patienten bestmöglich isolieren

Mit synthetisch hergestellten Viren, die entweder die H69/V70 Deletion oder die D796 Mutation oder beide gleichzeitig enthalten, gelang es den britischen Wissenschaftlern festzustellen, was die Mutationen bewirken. Die Deletion allein verdoppelte in Laborexperimenten ohne Antikörper die Infektiosität des Virus im Vergleich zur alten Virusvariante. Bedeutsam ist zudem, dass die H69/V70-Deletion auch in der „britischen“ Variante B.1.1.7 vorkommt.

Bei D796H handelt es sich dagegen um eine sogenannte Fluchtmutation („escape mutation“). Hier ist die Rezeptorbindungsstelle so verändert, dass Antikörper von gesundeten Covid-19-Patienten das Virus dort nicht mehr so gut fassen können.

Das setzt die Wirksamkeit der Serumtherapie herab. „Angesichts der Tatsache, dass sowohl Impfstoffe als auch Therapeutika sich gegen das Spike-Protein richten, das in unserem Patienten mutiert war, macht unsere Studie die beunruhigende Option wahrscheinlicher, dass das Virus die Impfstoffe überlistet, indem es entsprechend mutiert“, sagt Ravi Gupta.

Es sei allerdings „unwahrscheinlich, dass diese Bildung von Virusvarianten in Patienten mit einem funktionierende Immunsystem auftritt, da aufgrund besserer Immunkontrolle weniger Virusvarianten entstehen können“.

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Aber die Serumtherapie hat bei diesem und zumindest bei einem weiteren immungeschwächten Covid-19-Patienten in den USA die Selektion der auf Antikörper weniger oder unempfindlichen Virusvarianten gefördert.

„Es zeigt, wie vorsichtig wir bei der Therapie immungeschwächter Patienten sein müssen, in denen das Virus mehr Zeit hat, sich zu vermehren, wodurch es auch mehr Gelegenheiten hat zu mutieren“, schreiben die Studienautoren.

Limitierte Einsatzmöglichkeit

Solange nicht mehr Daten vorliegen, raten die Forscher dazu, die Serumtherapie bei immungeschwächten Patienten wegen des erhöhten Risikos für Virusmutationen nur im Rahmen von Studien und vorzugsweise in Einzelzimmern mit verstärkten Infektionskontrollvorkehrungen durchzuführen. Dass andere sich anstecken, sollte mit besonderem Aufwand verhindert werden. Auch eine stetig begleitende Sequenzierung des Virus sei geboten.

Inzwischen ist zudem bekannt, dass Serumtherapien auch bei nicht immungeschwächten Covid-19-Patienten nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich sind. Deshalb hat etwa die US-Arzneimittelbehörde (FDA) deren Anwendung nun eingeschränkt: Sie soll künftig nur noch in der Frühphase der Behandlung, also in den ersten 72 Stunden, erfolgen sowie bei Patienten, deren Immunzellen nicht genug Antikörper für die Abwehr produzieren.

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