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Der Begriff der Blutwäsche ist eigentlich bei der Behandlung von Nierenkranken geläufig, die auf Dialysegeräte angewiesen sind.

© picture alliance / dpa

Aus Verzweiflung über Symptome: Long-Covid-Betroffene zahlen Unsummen für fragwürdige Blutwäsche-Behandlungen

Praxen in Deutschland und auf Zypern bieten Blutwäschen gegen Long Covid an. Ihre Wirksamkeit ist nicht erwiesen – doch sie kosten Tausende Euro.

Die Nachfolgen einer überstandenen Corona-Infektion lassen manche Betroffene verzweifeln: Sie sind bei der kleinsten Anstrengung erschöpft, kurzatmig, können sich nicht konzentrieren, oder leiden unter Brustschmerzen – und das, obwohl die Ansteckung bereits vier Wochen oder länger zurückliegt. „Long Covid“ nennt sich das Syndrom, das noch viele Rätsel aufgibt und schätzungsweise zehn Prozent aller als genesen geltenden Menschen betrifft.

Jetzt zeigt ein neuer Beitrag im Fachmagazin BMJ: Betroffene, die an Long Covid leiden, reisen in ihrer Verzweiflung zu privaten Kliniken in Deutschland, der Schweiz und auf Zypern, und lassen sich gegen Zehntausende Euro ihr Blut waschen – obwohl es keine belastbaren Nachweise für die Wirksamkeit der Behandlung gibt.

Die Autorin des Beitrags im BMJ, Madlen Davies, beschreibt den Fall einer Niederländerin und ehemaligen Psychiaterin namens Gitte Boumeester. Nach ihrer Corona-Infektion im November 2020 und schweren Nachwirkungen flog die Niederländerin zu einer privaten zypriotischen Klinik in Larnaca, einem selbsternannten „Long Covid Center“, und unterzog sich dort über zwei Monate insgesamt sechs Blutwäschen. Die Autorin zitiert die Betroffene mit den Worten: „Ich dachte: Was könnte ich dabei schon verlieren? Geld war das einzige. Warum sollte ich es nicht versuchen?“

Boumeester gab für die besagte Behandlung rund 50.000 Euro aus, fast ihre gesamten Ersparnisse. Die Blutwäschen kosteten in der privaten Klinik jeweils 1685 Euro, die Zufuhr von Sauerstoff in einer Hochdruckkammer 150 Euro pro Sitzung und die dazugehörige Zufuhr von Vitaminen 50 Euro bei der angeschlossenen „Poseidonia-Klinik“. 

Außerdem sollte die Niederländerin auf Anraten der Praxis einen Vorrat von Antikoagulantien und Hydroxychloroquin kaufen – letzteres Mittel (gegen Malaria) preiste der ehemalige US-Präsident Donald Trump als vorbeugendes Medikament gegen eine Corona-Infektion, allerdings ohne irgendwelche Belege. 

Die Behandlung mittels Blutwäsche fußt auf der kaum belegten Annahme, dass kleine Blutgerinnsel infolge der Corona-Infektion den Sauerstofftransport einschränken und so die Symptome von Long Covid auslösen. Sechs mit Blutwäsche behandelte Personen gaben gemäß BMJ-Beitrag an, dass sie sich nach einigen Sitzungen besser fühlten, auch wenn niemand der Angesprochenen von all seinen Symptomen geheilt wurde. Solche Angaben gelten in der Forschung jedoch als anekdotische und damit unzureichende Evidenz für eine Wirksamkeit.

Blutgerinnsel nicht als Ursache für Long Covid nachgewiesen

Bei der als Apherese bezeichneten Blutwäsche spalten Filter das angezapfte Blut in die roten Blutzellen und das Plasma auf. Dann werden angeblich unerwünschte Bestandteile und Proteine aus dem Blut gefiltert, eine Maschine führt Plasma und rote Blutkörper wieder zusammen und leitet sie über einen Schlauch und eine Vene wieder in den Körper der behandelten Person.

Eine Long-Covid-Patientin trainiert bei einer Behandlung ihren beeinträchtigten Geruchssinn im Unfallkrankenhaus Berlin.
Eine Long-Covid-Patientin trainiert bei einer Behandlung ihren beeinträchtigten Geruchssinn im Unfallkrankenhaus Berlin.

© dpa

Angesprochen auf die mangelnden Nachweise für die Wirksamkeit einer solchen Behandlung sagte ein Sprecher der besagten „Poseidonia-Klinik“ der Autorin Davies, alle angebotenen Behandlungen fußten immer auf einer medizinischen und klinischen Evaluation der Ärzte und Ernährungswissenschaftler, ebenso wie Bluttests, nachfolgenden Laboranalysen und „guter medizinischer Praxis“.

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Die Niederländerin hat nach eigenen Angaben vor der teuren Behandlung eine Einverständniserklärung unterschreiben müssen, bei der sie von einer Klage wegen „irgendeiner Verletzung, einem Verlust oder Tod infolge der Behandlung“ absieht.

„Erscheint übereilt, eine Behandlung zu gestalten, die Mikrogerinnsel entfernt“

In den meisten europäischen Ländern dürfen Ärzte experimentelle Behandlungen vornehmen oder Medikamente verschreiben, die eigentlich anderweitig benutzt werden sollen – letztere Praxis ist bekannt als „Off-Label-Use“.

Auch in Deutschland bieten Praxen und Kliniken die Blutwäsche Long-Covid-Betroffenen als Mittel an, darunter das „Lipidzentrum Nordrhein“ in Mülheim an der Ruhr, betrieben von der Ärztin Beate Jaeger. Die Internistin nimmt die Behandlungen laut dem Beitrag im Fachmagazin seit mehr als einem Jahr an Long-Covid-Betroffenen vor und behauptet, ihre Symptome nach wenigen Sitzungen gelindert zu haben. Jaeger räumt ein, dass ihre Behandlung experimentell ist, aber merkt auch an, dass Kontrollstudien zu lange brauchen, während die Pandemie viele verzweifelte Patienten zurückgelassen hat.

Einige Long-Covid-Betroffene versuchen ihre erlebte Kurzatmigkeit mit Atemübungen in den Griff zu bekommen.
Einige Long-Covid-Betroffene versuchen ihre erlebte Kurzatmigkeit mit Atemübungen in den Griff zu bekommen.

© dpa

Robert Ariens, ein Professor für Gefäßbiologie an der Medizinischen Hochschule im britischen Leeds, fragte im Beitrag der wissenschaftlichen Fachzeitschrift BMJ: „Die Mikrogerinnsel [im Blut] mögen ein Biomarker für die Krankheit sein, aber wie sollen wir wissen, ob sie auch die Ursache sind?“ 

Und weiter: „Wenn wir noch nicht wissen, wie sich die Mikrogerinnsel bilden und ob sie die Krankheit verursachen, erscheint es übereilt, eine Behandlung zu gestalten, die diese Mikrogerinnsel entfernen.“ Darüber hinaus sei laut Ariens nicht klar, ob die Behandlung die Rückkehr der Mikrogerinnsel verhindert.

Auch Volker Schettler, Leiter der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), äußerte sich in dem Beitrag zurückhaltend gegenüber Blutwäschen als gepriesene Behandlung gegen Long Covid: „Derzeit werden diese Behandlungen auf Selbstzahler-Basis von bestimmten Zentren angeboten, auch von nicht-medizinischen Richtungen wie der Naturheilkunde und mit der Unterstützung von profitgetriebenem Interesse. Die DGfN fordert randomisierte Kontrollstudien bezüglich Apherese-Behandlungen bei diesen Patienten.“

Solche Studien gelten mit ihrer Methode als wissenschaftlicher Goldstandard in der medizinischen Forschung und können eine belastbare Antwort darauf geben, ob die Blutwäschen wirklich gegen Long Covid helfen – oder teuer und nutzlos sind.

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