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Schüler sitzen mit ihrer Lehrerin in einem Stuhlkreis und diskutieren.

© Thilo Rückeis

Aufruf zur Gründung einer FH für Lehr- und Pflegekräfte: Berlin braucht eine humanistische Alternative

Warum in Berlin eine Humanistische Fachhochschule fehlt, als Äquivalent zur Uni-Ausbildung von Religionslehrern - und zu kirchlichen FHs. Ein Gastbeitrag.

Berliner Humanisten planen die Gründung einer eigenen Fachhochschule. Bruno Osuch ist einer der Sprecher der Säkularen und Humanistischen Sozialdemokraten in der SPD Berlin und war lange Jahre Präsident des Humanistischen Verbands Deutschlands (HVD) in Berlin-Brandenburg. Mark Rackles war viele Jahre Staatssekretär im Berliner Schulsenat und ist Mitglied im Landesvorstand der SPD. Swen Schulz ist SPD-Bundestagsabgeordneter aus Spandau. Auch Rackles und Schulz sind Mitglieder des HVD.

Immer mehr Berliner verlassen bewusst die Kirche“ – unter dieser Überschrift meldete der Tagesspiegel im März, dass die Kirchenaustritte in Berlin seit 2016 um 50 Prozent gestiegen sind und die Kirchen immer stärker an Bindungskraft verlieren. Mittlerweile liegt der Anteil der christlich organisierten Menschen in Berlin nur noch bei knapp 25 Prozent.

Einer Allensbach-Umfrage zufolge stimmten schon 2004 in Berlin 57 Prozent der Berliner Bevölkerung dem Satz „Ich führe ein selbstbestimmtes Leben, das auf ethischen und moralischen Grundüberzeugungen beruht und frei ist von Religion und Glauben an einen Gott“ voll oder überwiegend zu. Tendenz steigend: 2016 waren es bereits drei Viertel der Bevölkerung, die sich dieser Lebensauffassung eines säkularen Humanismus anschlossen.

Den Kirchen institutionell gleichgestellt

Zweifelsohne sind die Kirchen weiterhin bedeutsam für Berlin und die Stadtgesellschaft. Doch dem beschriebenen Wandel muss auch politisch und institutionell Rechnung getragen werden. Der Humanistische Verband Deutschlands (HVD) hat als institutionelle Vertretung des säkularen Humanismus in den letzten Jahren an Bedeutung und Anerkennung gewonnen. Seit 2018 ist der HVD Berlin-Brandenburg eine Körperschaft öffentlichen Rechts und als solche endlich den Kirchen institutionell gleichgestellt.

Aber obwohl Berlin gemeinhin als Stadt der Toleranz und gelebten Vielfalt gilt, fehlt diese gelebte Vielfalt und Anerkennung in Bezug auf die gesellschaftliche Repräsentanz und politische Gleichbehandlung dezidiert weltlich-humanistischer Positionen und Organisationen.

Porträtbilder der drei Gastautoren in einer Kombo.
Die Autoren des Gastbeitrages: Swen Schulz, Mark Rackles und Bruno Osuch.

© Fotos (v.li.n.re.): Promo/Britta Pedersen/dpa/Hoffotografen

Beispielhaft ist hier der Bereich der akademischen Ausbildung von Lehrkräften für Humanistische Lebenskunde. An dieser weltlich-humanistischen Alternative zum Religionsunterricht nehmen aktuell bereits über 66.000 Schülerinnen und Schüler teil. Damit ist der HVD an den öffentlichen Grundschulen Berlins schon jetzt der größte Anbieter im Bereich des Religions- und Weltanschauungsunterrichtes, Tendenz weiter steigend.

In den vergangenen zehn Jahren ist die Nachfrage nach Humanistischer Lebenskunde um 33 Prozent gestiegen und damit weit stärker als die Zunahme an Schülerinnen und Schülern mit 11,5 Prozent. Im Unterschied zu den christlichen (und neuerdings auch muslimischen) Professuren an den Berliner Hochschulen wird man trotz dieses enormen Bedarfszuwachses ein Studienangebot für Lehrkräfte in Lebenskunde vergeblich suchen.

Religionslehrer-Ausbildung an der Humboldt-Uni

An der Humboldt-Universität gibt es inzwischen gut zwanzig Professuren für evangelische, katholische und muslimische Theologie, an denen auch Lehrkräfte ausgebildet werden. Wohlgemerkt in einer Stadt, in der die große Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr nur keiner Religionsgemeinschaft mehr angehört, sondern sich klar und deutlich an einer weltlich-humanistischen Ethik orientiert.

Diese Ungleichbehandlung des säkularen Humanismus hat eine ungute Tradition. In der Weimarer Republik war die Lebenskunde an den „weltlichen Schulen“ Preußens bis zu ihrem Verbot 1933 sogar ein staatliches Fach, wobei es auch damals keine staatliche Lehrerausbildung gab. Das hundertjährige Jubiläum der Gründung dieser „weltlichen Schulreform“ in diesem Jahr kann ein guter Anlass sein, diesen meist kaum bekannten Reformstrang in der preußischen und Berliner Schulgeschichte aufzuarbeiten. Auch mit Blick auf die heute bestehenden Defizite.

Vorbild sind die Kirchlichen Hochschulen

Als ersten Schritt betreibt der HVD das Projekt einer eigenen humanistischen Fachhochschule zur Ausbildung der verbandseigenen Lebenskunde-Lehrkräfte sowie der Erzieherinnen und Erzieher für die mittlerweile 25 HVD-eigenen Kitas. Vorbild sind die kirchlichen Hochschulen in Berlin. Die Finanzierung der Humanistischen Hochschule muss nach den gleichen Kriterien und Konditionen erfolgen.

Zu den Studiengängen in der Lehrkräfte- und Erzieherausbildung sollen perspektivisch weitere „Lebenswissenschaften“ hinzukommen. Denn die Humanistinnen und Humanisten unterhalten auch zahlreiche soziale Einrichtungen in der Stadt wie etwa fünf Hospize oder Einrichtungen der Jugend- und Altenarbeit in nahezu allen Bezirken.

An einer Tafel steht mit weißer Kreise das Wort Ethik, mit Magneten angepinnt sind Zettel mit Begriffen wie Leben, Religion, Kulturen.
Tafelbild beim Ethik-Unterricht in einer Berliner Schule.

© Tsp/Mike Wolff

Insgesamt beschäftigt der HVD in Berlin und Brandenburg mittlerweile über 1400 Menschen. Der Bedarf insbesondere an humanistischen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern ist enorm. Das Besondere einer „humanistischen Sozialarbeit“ liegt neben der wissenschaftlichen Grundlagen einer solchen akademischen Ausbildung im „spiritual care“, wie es im Englischen heißt.

Ob im Humanistischen Lebenskundeunterricht oder bei der entsprechenden Sozialarbeit – überall geht es auch um die tieferen Fragen des Lebens, nach ethischer Orientierung und Sinngebung. Kriterien dafür sind die Werte der Selbstbestimmung, der Verantwortung und der Solidarität aus einer rein „diesseitigen“ Sichtweise.

"Letzte" Fragen nicht mehr alleinige Domäne der Kirchen

Die akademische Befassung mit diesen „letzten Fragen“ und die damit korrespondierende Lehrkräfteausbildung kann heute nicht mehr eine alleinige Domäne der Kirchen sein. Diese mögen zwar formal noch höhere Mitgliedszahlen als der HVD aufweisen. Alleine an den Humanistischen Jugendfeiern/-weihen in Berlin und Brandenburg nehmen jedoch schon seit Jahren mehr Jugendliche teil als an den christlichen Konfirmationen oder Firmungen.

Insgesamt nehmen schon jetzt pro Jahr gut eine halbe Million Menschen die sozialen und weltanschaulichen Angebote der Humanisten in Anspruch. Darin eingeschlossen sind auch die gut 130 000 Eltern der genannten Lebenskundeschülerinnen und -schüler, die ihre Kinder in den Grundschulen bewusst und aktiv dafür anmelden müssen.

Die Errichtung einer Humanistischen Hochschule – in kooperativer Gleichberechtigung zu den kirchlichen Einrichtungen – ist überfällig. Berlin als Hauptstadt der Konfessionsfreien ist dafür der ideale Ort. Die Neugründung käme den Bedürfnissen eines Großteils unserer Bevölkerung entgegen und wäre eine soziale, bildungspolitische und wissenschaftliche Bereicherung für die gesamte Region Berlin-Brandenburg.

Bruno Osuch, Swen Schulz, Mark Rackles

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