zum Hauptinhalt
Würfelquallen können vermutlich durch die Kombination von visuellen und mechanischen Reizerfahrungen lernen.

© JAN BIELECKI

Auch ohne Gehirn : Quallen lernen aus Erfahrungen

Aus Erfahrungen lernen: Das können Zweiseiten-Tiere von Insekten bis zu Säugern. Nun zeigt sich: Selbst simple Tiere ohne Gehirn tun das. Diese Form des Lernens dürfte früh in der Evolution entstanden sein.

Von Walter Willems, dpa

Auch ohne zentrales Nervensystem können Organismen aus Erfahrungen lernen – und das sogar recht schnell. Das folgert ein Forschungsteam aus Kiel und Kopenhagen aus Versuchen an Quallen. Darin brachten die Wissenschaftler Würfelquallen durch optische und mechanische Reize bei, Hindernissen auszuweichen. Durch die Experimente entschlüsselten sie auch den Ort der Lernprozesse bei den Nesseltieren.

„Wenn man komplexe Strukturen wie das Nervensystem verstehen will, hilft es, zunächst möglichst einfache Strukturen zu untersuchen“, wird Erstautor Jan Bielecki von der Universität Kiel in einer Mitteilung der Hochschule zitiert. Zu solchen vergleichsweise einfachen Organismen zählen frei schwimmende Quallen: Solche Tiere gibt es schon seit mindestens 500 Millionen Jahren, sie haben kein zentrales Nervensystem und verfügen nur über einige Tausend Neuronen.

500
Millionen Jahre alt sind frei schwimmende Quallen

In den Experimenten untersuchte das Team die nur fingernagelgroße Würfelqualle Tripedalia cystophora, die in Mangrovensümpfen der Karibik lebt. In dem trüben Wasser suchen die Tiere nahe der Baumwurzeln nach Beute, wie etwa Wasserflöhen.

Die Würfelquallen leben eigentlich in den Mangrovensümpfen der Karibik. Für die Versuche wurden sie in ein Wasserbecken verlegt.

© JAN BIELECKI

Dabei müssen sie aber aufpassen, ihre empfindlichen Schirme nicht zu verletzen. Dazu nutzen sie ihre insgesamt vier Sehzentren, die Rhopalia, die am Rand des Schirms liegen und jeweils sechs Augen enthalten. „Obwohl es so einfache Tiere sind, haben sie ein beeindruckendes räumliches Sehvermögen, das sie nutzen, um ihr Verhalten zu verändern“, erläutert Bielecki.

In runden Wasserbecken simulierte das Team den natürlichen Lebensraum der Tiere durch graue und weiße Streifen an der Innenwand. Dabei stellten die weißen Streifen die Wasserumgebung, die grauen die Mangrovenwurzeln dar, denen es auszuweichen galt.

Wenn man komplexe Strukturen wie das Nervensystem verstehen will, hilft es, zunächst möglichst einfache Strukturen zu untersuchen.

Jan Bielecki, Biologe an der Universität Kiel 

Zunächst stießen die Tiere oft gegen die Umrandung, doch binnen Minuten vergrößerten sie den Abstand zu den Wänden um 50 Prozent, machten viermal häufiger als zuvor Ausweichmanöver und kollidierten nur noch halb so oft. „Wie schnell diese Quallen gelernt haben, hat uns wirklich überrascht“, sagt Bielecki.

Im nächsten Schritt isolierte das Team die Rhopalia, wie es im Fachblatt „Current Biology“ berichtet. Konfrontierte es ein solches visuelles Sinneszentrum mit sich bewegenden grauen Balken, so erzeugte dieses Signale zum Ausweichen – allerdings nur dann, wenn zuvor mit schwachen elektrischen Reizen eine Kollision vorgetäuscht wurde.

Damit lokalisierte das Team den Ort der Lernprozesse in den Rhopalia, die jeweils etwa 1000 Nervenzellen enthalten. „Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass Quallen durch die Kombination von visuellen und mechanischen Reizerfahrungen lernen können“, sagt Co-Autor Anders Garm von der Universität Kopenhagen.

Selbst einfach entwickelte Nervensysteme seien zu einer fortgeschrittenen Form des Lernens fähig, folgert das Team. Möglicherweise seien die evolutionären Wurzeln von Lernen und Gedächtnis älter als bisher angenommen und schon in den frühesten Nervensystemen angelegt gewesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false