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Im Kreuzgang des Lichthofs der TU Berlin sitzen zwei Studierende vor ihren Laptops nebeneinander an einem Tisch.

© TU Berlin

An den meisten Berliner Unis fehlen Luftfilter: "Studierende und Lehrende potenziell in Lebensgefahr"

Eindringliche Warnung eines Verfahrenstechnikers der TU vor Präsenzangeboten. Viele Berliner Hochschulen haben nicht in neue Filteranlagen investiert.

Ein Verfahrenstechniker der Technischen Universität Berlin warnt eindringlich vor Präsenzprüfungen und vor Lehrveranstaltungen in Präsenz, solange in den Räumen Luftfilteranlagen fehlen. "Wenn (politisch) gewollt ist, dass ein Präsenzsemester stattfindet, ist das absolute Minimum, dass die Belüftung insbesondere in Räumen ohne Fenster funktioniert", schreibt Lutz Böhm, Postdoktorand am TU-Institut für Verfahrenstechnik, auf Twitter.

"Alles andere bringt Studierende und Lehrende potenziell in Lebensgefahr" - aufgrund der Covid-19-Ansteckungsgefahr, so Böhm. Er berichtet von Erfahrungen, die er und seine Kolleg:innen in der zweiten Septemberhälfte gemacht hätten.

In Klausurräumen sei es zunehmend "stickig und warm" gewesen, "was schon vor Corona keine gute Voraussetzungen für eine Prüfung sind". Ein für eine Prüfung gebuchter Raum sei wegen defekter Lüftung gesperrt gewesen. In den nicht belüftbaren Ausweichräumen standen die Lehrenden dann "in der Verantwortung, ob wir die Prüfung ausfallen lassen oder alle in potenzielle Lebensgefahr bringen und drei, vier Stunden in dem Raum verbringen".

Verweis auf Studien der TU-Aerosolforscher

Was Böhm Sorgen bereitet, sind ungeimpfte Studierende, die unwissentlich infiziert an Prüfungen teilnehmen könnten, andere Ungeimpfte anstecken oder Impfdurchbrüche bei Geimpften bewirken könnten. Die Erfahrungen in der laufenden Prüfungszeit seien auch kein gutes Vorzeichen für den unmittelbar bevorstehenden Semesterstart Mitte Oktober, betont Böhm mit Verweis auf Studien der Aerosolforscher der TU.

Tatsächlich hat insbesondere Martin Kriegel, Leiter des Hermann-Rietschel-Instituts der TU und Experte für Gesundheit im Gebäuden, immer wieder auf die Bedeutung einer guten Raumlüftung hingewiesen, um Corona-Infektionen durch Aerosole vorzubeugen.

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Dazu reiche einfaches Lüften durch die Fenster nicht aus, schreibt Kriegel in einem FAQ zu Aerosolen und SARS-CoV-2. Notwendig seien außerdem Filteranlagen mit HEPA-Filtern sowie C02-Ampeln, die einen realistischen Eindruck von der tatsächlichen Luftqualität vermitteln.

Krisenstab der TU soll sich mit der Beschwerde befassen

Verfahrenstechniker Böhm hat sich hilfesuchend an TU-Präsident Christian Thomsen und an Vizepräsident Hans-Ulrich Heiß gewandt; die E-Mails stellte er dem Tagesspiegel im Wortlaut zur Verfügung.

"Für diese Präsenzprüfungsphase hatte die TUB vornehmlich einen Job: die Bereitstellung von gut gelüfteten Räumen", heißt es in dem Schreiben an Thomsen. "Man muss leider konstatieren: Das hat die TUB nicht geschafft und das ist gefährlich."

In der Mail an Vizepräsident Heiß beklagt Böhm zudem, dass QR-Codes zur Registrierung, die von TU-Technikern an alle für Studierende freigegebenen Plätzen geklebt wurden, um in Infektionsfällen Kontakte nachzuverfolgen, nicht funktionierten oder fehlten. Daraufhin habe er kurzfristig selbst Sitzpläne erstellen müssen.

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Eine Antwort hatte Böhm nach eigener Aussage bis zum Montag weder von Thomsen noch von Heiß erhalten. Die TU teilte ihm jedoch auf Twitter mit, dass das von ihm angesprochene Problem an den Corona-Krisenstab der Uni überwiesen worden sei. Dies bestätigte die Pressestelle dem Tagesspiegel auf Anfrage.

Unterdessen liegt bereits eine Erklärung der Senatskanzlei Wissenschaft vor, wonach der Ausstattung von Hochschulräumen mit Luftfilteranlagen "keine Priorität einzuräumen" sei. Zum einen hätten große oder sehr große Räume ohnehin schon Lüftungsanlagen.

Zum anderen gelte im Präsenzbetrieb 3G, Mindestabstand und die Pflicht, medizinische Masken zu tragen - beziehungsweise FFP2-Masken, wenn Abstände nicht eingehalten werden können. Dies antwortete Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach kürzlich auf eine Anfrage des Linken-Abgeordneten Tobias Schulze zur Vorbereitung des Wintersemesters.

Alte Anlagen filtern offenbar keine Viren heraus

Für eine Aufstellung zu einzelnen Hochschulen nennt die TU die Zahl von 108 Räumen für Lehrveranstaltungen. Seit Beginn der Pandemie seien rund 7400 Euro aufgewandt worden, um Räume mit Luftfiltern aufzurüsten. Zur Frage nach der Zahl der Räume mit Luftfiltern machte die TU keine Angabe, da es zwar teilweise Anlagen gebe, diese aber nicht speziell auf die Reduzierung der Virenlast ausgerichtet seien.

Auf Nachfrage stellte TU-Sprecherin Stefanie Terp am Montag klar, dass 30 Haushaltsluftfiltergeräte sowie 40 Wechselfilter für Praktikumsräume, Werkstätten und Umkleideräume angeschafft worden seien. Außerdem könnten 50 Hörsäle und Seminarräume mechanisch belüftet werden.

An der Humboldt-Uni verfügen nach der Senatsaufstellung von 599 genannten Räumen 167 über nicht zulängliche Anlagen. In zusätzliche Filter wurde an der HU nichts investiert, das gilt auch für alle Fachhochschulen. Die Freie Universität macht neben der Zahl von 664 Räumen für Lehrveranstaltungen "keine Angaben" zu Investitionen und stellt wie die HU fest, dass vorhandene Anlagen keine Viren herausfiltern könnten.

Zusätzliche Filter werden kaum geplant

Neben der TU kann nur noch die Kunsthochschule Weißensee einen konkreten Betrag - 10.000 Euro - für den Einbau neuer Luftfilteranlagen melden. Laut Universität der Künste sind die Kosten für Einbauten dort nicht bezifferbar; von 582 seien 33 Räume adäquat ausgestattet.

Auf die Frage, wo noch eine Ausstattung für das Wintersemester geplant sei, müssen fast alle Hochschulen passen. Die Alice Salomon Hochschule aber will neun Räume nachrüsten - zusätzlich zu ihren fünf bereits ausgestatteten (von insgesamt 26 genannten Räumen). Und in Weißensee gibt es Pläne für sechs weitere Räume.

Um heil durch die Präsenzveranstaltungen zu kommen, wird es damit für die allermeisten Studierenden und Lehrenden dabei bleiben, auf ihre Impfung, auf die Tests der Ungeimpften, auf Masken und aufs Abstandhalten zu setzen. Sowie auf Fenster, die sich öffnen lassen - und eine möglichst milde Witterung in Herbst und Winter.

Lutz Böhm will sich damit nicht abfinden. "3G, Maske und Abstand sind nicht ausreichend, um sich zu schützen, ich halte Luftfilteranlagen in allen Räumen für Lehrveranstaltungen und Prüfungen für unerlässlich", sagt der TU-Verfahrenstechniker.

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