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Haarlos, aber nicht sprachlos. Ein Nacktmull im Labor.

© W. Thieme/dpa

Am Zwitschern sollt ihr euch erkennen: Nacktmulle schwätzen Dialekt

Nacktmulle können zwar nichts sehen, dafür aber ziemlich gut „sprechen“. Sie unterhalten sich in kolonieeigenen Dialekten.

Die einen sagen „Moin“, andere „Gude“, manche auch „Servus“ oder „Tach“. Doch nicht nur Menschen sprechen in Dialekten, auch Nacktmulle verständigen sich in verschiedenen Mundarten, die sich von Kolonie zu Kolonie unterscheiden. Das berichtet ein Forschungsteam um Gary Lewin vom Max-Delbrück-Centrum (MDC) für Molekulare Medizin im Fachblatt „Science“. Einheitliche Dialekte stärken demnach den sozialen Zusammenhalt der Gruppe.

Nacktmulle, kleine Nager mit Spitznamen wie „Säbelzahnwürstchen“ oder „Penisratten“, sind eine der kooperativsten Arten im Tierreich: Innerhalb einer Kolonie leben mehrere Generationen zusammen, unter der Kontrolle einer einzigen fortpflanzungsfähigen Königin. Jedes Tier kennt seinen Rang und die damit verbundenen Aufgaben.

Twitternde Mulle

Wie all dies aufrechterhalten wird, ist Gegenstand intensiver Forschung. Das vogelartige Zwitschern, mit dem sich Nacktmulle begrüßen, wenn sie einander im Bau begegnen, spielt dabei offenbar eine Rolle, fand Lewins Team. Es dient offenbar dazu, Freund von Feind zu unterscheiden. Das sei eine wichtige Fertigkeit in den kargen Steppen Ostafrikas, wo permanente Nahrungsknappheit die Tagesordnung bestimme, so Lewin.

Viele Tierarten kommunizieren über Laute miteinander. Doch wie beim Menschen sind diese auch bei Nacktmullen nicht komplett genetisch festgelegt und unveränderlich, sondern anpassbar.

Gemeinsam mit Alison Barker aus seinem Team und weiteren Forscherinnen und Forschern vom MDC und der südafrikanischen Universität Pretoria, hat Lewin die Begrüßungen der Nacktmulle genauer analysiert. Dabei stellte sich heraus, das jede Kolonie ihren eigenen Dialekt hat. „Offenbar stärkt die Ausbildung einer speziellen Mundart das Zugehörigkeitsempfinden und den Zusammenhalt im Nacktmull-Staat,” sagt Alison Barker, die Erstautorin der Studie.

Über zwei Jahre lang arbeitete das Forschungsteam daran, die Sprache der kleinen, nackten Nager zu entschlüsseln. Insgesamt wurden mehr als 35 000 Nacktmullgespräche aus sieben im Labor gehaltenen Kolonien in Berlin und Pretoria per Mikrofon aufgezeichnet. Mithilfe eines Algorithmus konnten dann die akustischen Merkmale der einzelnen Laute miteinander verglichen werden.

Es stellte sich heraus, dass nicht nur jeder Mull eine unterscheidbare Stimme hat, sondern auch einen koloniespezifischen Dialekt benutzt. Daraufhin fragten sich die Forscher:

Fällt den Nacktmullen dieser Dialekt überhaupt auf, und können sie sich anhand dessen sogar gegenseitig erkennen? Um diese Fragen zu beantworten, setzte Barker zunächst einen Nacktmull in eine von drei mit Röhren verbundene Kammern. In einer Kammer wurden die Zwitscherlaute eines anderen Nacktmulls abgespielt, in der anderen blieb es still. Die Tiere suchten dann stets die Kammer mit den eingespielten Lauten auf. Sie antworteten aber ausschließlich auf den Dialekt der eigenen Kolonie.

Mull-Mundart geht über Mull-Muff

Die Nager reagierten selbst auf computergenerierte Stimmen, die den Koloniedialekt nachahmten. Daraus lässt sich schließen, dass sie nicht etwa die Stimme eines einzelnen Individuums erkannten, sondern tatsächlich die Mull-Mundart. Selbst der Duft einer fremden Kolonie hielt sie nicht vom Antworten ab. „Damit hatten wir den Nachweis erbracht, dass die Tiere spezifisch den eigenen Dialekt erkennen und positiv auf ihn reagieren“, sagt Lewin.

Der Dialekt einer Kolonie ist jedoch nicht unveränderlich. Die Nacktmullkönigin scheint die koloniespezifische Tonlage ihrer Untertanen zu steuern. „Eine unserer Kolonien verlor im Verlauf der Studie nacheinander zwei Königinnen“, sagt Lewin. Zu Zeiten von Anarchie erodierte auch der Kolonie-Dialekt, die Laute unterschieden sich zunehmend. Erst als Monate später ein neues Weibchen die Macht ergriffen hatte, verfestigte er sich wieder.

Sogar Junge, die in andere Kolonien integriert werden, nehmen deren Dialekt an. Das bestätigt, dass Dialekte erlernt und nicht genetisch bestimmt sind. „Menschen und Nacktmulle scheinen sich viel ähnlicher zu sein, als irgendjemand hätte ahnen können“, sagt Lewin.

Bisher ist solche Flexibilität in den Mitteln der Kommunikation nur von wenigen Spezies bekannt. Menschen, Wale und Singvögel gehören dazu. Sie lernen ihre „Sprachen“ als Jungtiere durch Vokalimitation. Es entstehen ausgeprägte geografische Dialekte und damit gleichsam verschiedene „Kulturen“.

Nun will das Team herausfinden, welche Mechanismen in den Gehirnen der Mulle die Basis bilden. Das könnte vielleicht auch Hinweise auf Grundlagen der Kulturbildung beim Menschen erlauben, so Lewin.

Clara Meyer-Horn

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