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Caenorhabditis elegans, ein frei lebender, durchsichtiger Fadenwurm mit einer Länge von etwa 1 mm.

© IMAGO/Pond5/IMAGO/xheitipavesx

Altes Rätsel gelöst: So springen Gene von einer Tierart zur anderen

Seit Jahrzehnten rätseln Biologen, wie Gene von einer Tierart auf andere gelangen. Nun hat ein Team die Lösung gefunden. Das könnte Auswirkungen für Gentechnik haben – und auf unsere Sicht der Evolution.

Von Simone Hummel, dpa

Gene können von einer Tierart auf eine andere springen, doch ihr Weg lag lange im Dunkeln. Ein Forschungsteam aus Wien hat nun das jahrzehntealte Rätsel gelöst und ein besonderes Gentaxi entdeckt, das Artenschranken durchbrechen kann. Es vereint die Fähigkeiten von Viren und von springenden Genen, die sich im Erbgut ihres Wirts selbstständig ein- und ausbauen können.

Wie dieses Transportvehikel namens Maverick genau ausschaut und funktioniert, berichtet die Gruppe von Alejandro Burga vom Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften im Journal „Science“.

Mavericks sind schon seit Mitte der 2000er Jahre bekannt, konnten bisher aber nicht mit einem artübergreifenden Gentransport direkt in Verbindung gebracht werden. Sie wurden als besondere Gruppe den springenden Genen zugeordnet. Ebenfalls schon vor Jahren entdeckten Forscher, dass Heringe und Stinte dasselbe Frostschutzprotein in ihrem Erbgut besitzen, obwohl sie ansonsten sehr unterschiedlich sind.

Solche Beispiele für den Gentransfer über Artgrenzen hinweg (horizontaler Gentransfer) gibt es auch bei weiteren Tieren sowie bei Pflanzen und Pilzen. Zunächst wurde eine Übertragung durch Viren vermutet, die fand sich aber nur in seltenen, sehr speziellen Fällen.

„Wir wussten, dass horizontaler Gentransfer zwischen Tierarten stattfindet, aber hatten keine Ahnung, wie. Dies ist das erste Mal, dass wir einen Schuldigen definitiv festnageln konnten“, sagt Sonya Widen aus der Gruppe von Burga.

Ihre Genome sind so unterschiedlich wie die von Menschen und Fischen, und doch haben sie beide ein fast identisches Gen.

Israel Campo Bes, Co-Autor der Studie

Bei der Studie hatte das Team das Erbgut (Genom) des Fadenwurms Caenorhabditis briggsae analysiert und fand überraschenderweise, dass der Fadenwurm Caenorhabditis plicata ein sehr ähnliches Gen hat. „Ihre Genome sind so unterschiedlich wie die von Menschen und Fischen, und doch haben sie beide ein fast identisches Gen, das eindeutig Merkmale eines evolutionär jüngsten horizontalen Gentransfers aufweist“, sagt Co-Autor Israel Campo Bes.

Bei genauerer Analyse konnte das Team das Gen direkt mit einem Maverick in Verbindung bringen. Es zeigte dann, dass Mavericks für Dutzende unabhängiger Gen-Transfers zwischen Wurmarten verantwortlich sind, die sogar verschiedenen Gattungen angehören.

So funktionieren Mavericks

Die genetische Sequenz der Mavericks hat am Anfang und Ende spezielle Abschnitte, wie sie auch in anderen springenden Genen (Transposons) zu finden sind. Sie können sich daher selbstständig etwa aus dem Erbgut eines Fadenwurms entfernen und wieder einbauen.

Ähnlich wie Viren besitzt die Maverick-Sequenz aber auch die Bauanleitung für ein Enzym, das Gene kopiert (Polymerase), für eine Kapsel zum Verpacken der Gen-Kopien, für ein Enzym zum Einbau der Gen-Kopien in das Ziel-Erbgut und für weitere Werkzeuge.

Doch das alles reicht nicht, damit das Maverick ein Tier verlässt und in ein völlig anderes eindringt. Das Team um Burga entdeckte in der Maverick-Sequenz der Fadenwürmer zudem noch die Bauanleitung für das Protein Fusogen, das von einigen Viren bekannt ist.

Nach der Hypothese des Teams können Mavericks somit virusähnliche Partikel bilden, die mit den Zellmembranen anderer Organismen verschmelzen und diese quasi infizieren. Das könnte die Ursache für den weit verbreiteten Austausch von Genen zwischen extrem unterschiedlichen Arten sein, schreiben die Forscher.

Die Mavericks der analysierten Würmer transportieren vor allem Gene für zwei Enzyme (eine Kinase und eine Protease), die nach Autorenangaben weltweit schon in vielen Fadenwurm-Arten gefunden wurden.

Der Auslöser ist noch unbekannt

Wann oder wie ein solcher Gentransfer ausgelöst wird, wissen die Forscher nicht. „Wahrscheinlich gibt es einen Umweltauslöser, der das Maverick aktiviert, das daraufhin Partikel bilden und so ein anderes Individuum oder eine andere Art infizieren kann“, sagt Widen der Deutschen Presse-Agentur.

„Bisher liegen uns aber keine Informationen darüber vor, was der Auslöser sein könnte und wie häufig er auftritt.“ Angesichts der Anzahl der Faktoren, die für einen erfolgreichen horizontalen Gentransfer nötig seien, geschehe dies wahrscheinlich ziemlich selten.

Direkter Nachweis sei ein „Durchbruch“

Der direkte Nachweis des Übertragungsweges sei „schon als Durchbruch zu werten“, meint Diethard Tautz, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön, der nicht an der Studie beteiligt war. „Generell ist horizontaler Gentransfer inzwischen vielfach gezeigt worden.“

Eine Arbeit lege sogar nahe, dass Gene von Pflanzen auf einige Tierstämme übertragen wurden. „Auch bei Gräsern kommt es vielfach zu horizontalem Gentransfer.“ Aber in keinem dieser Fälle sei der direkte Mechanismus identifiziert worden.

Studienleiter Burga vermutet, dass Mavericks auch Gentransfers in Wirbeltieren und anderen Vielzellern ermöglichen könnten. Mavericks könnten einmal in der Landwirtschaft oder Medizin für die Bekämpfung von Fadenwurmarten eingesetzt werden, schließt er.

Die Studie zeigt aber einmal mehr, dass Genübertragungen ein natürlicher Vorgang sind.

Diethard Tautz, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie

Bis zu einer Anwendung in der Gentechnik sei es noch weit, meint Tautz jedoch. Bislang hätten die Autoren noch keine direkt infektiösen Partikel isoliert. Generell könnte die neue Technik das ohnehin schon breite Arsenal von Übertragungswegen in der Gentechnologie etwas erweitern.

„Die Studie zeigt aber einmal mehr, dass Genübertragungen ein natürlicher Vorgang sind“, meint Tautz. „Die derzeitige Regulierung der Gentechnik nimmt ja an, dass jeglicher Gentransfer potenziell gefährlich ist und daher genau überwacht werden muss. Aber offensichtlich sind Genübertragungen nicht erst vom Menschen erfunden worden, sondern in der Natur schon immer praktiziert worden.“

Für Tugce Aktas vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin sind die Ergebnisse auch aus evolutionärer Sicht bemerkenswert. „Sie zeigen im Wesentlichen, dass vielzellige komplexe Arten durch ihre Interaktionen mit Viren oder virenähnlichen Partikeln DNA-Sequenzen aus ihrer Umgebung erwerben können“, sagt Aktas. „Die alte Debatte darüber, ob Viren leben oder nicht, geht dahin, die Viren und ihre Wirte als Teil eines Ganzen zu verstehen, das sich gemeinsam entwickelt.“

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