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Die Forschenden befürchten, dass das Quecksilber im Schmelzwasser des Grönländischen Eisschilds Auswirkungen auf die arktischen Ökosysteme hat.

© Steffen M. Olsen/Danmarks Meteorologiske Institut/dpa

Alarmierende Mengen an Quecksilber: Tonnenweise Schwermetall in Gletscherwasser

Hochgiftiges Quecksilber wird in Grönland in hohem Maße unter dem Eisschild freigesetzt. Offenbar ist die Erderwärmung an dem Prozess beteiligt.

Eigentlich wollten die Forschenden um Jon Hawkings vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ) und der Florida State University herausfinden, welchen Einfluss Nährstoffe im Wasser des schmelzenden Grönlandeises für das Leben im arktischen Ozean und die Umwelt haben. 

Dabei machten sie eine unerwartete Entdeckung: Bei der Analyse des Wassers stießen sie auf extrem hohe Quecksilberkonzentrationen. Die Werte seien vergleichbar mit denen in industriell stark belasteten Flüssen in China, schreiben die Forschenden im Fachjournal „Nature Geoscience“.

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In den Schmelzwasserflüssen des südwest-grönländischen Eisschildes fanden die Wissenschaftler:innen Werte von 150 Nanogramm gelöstem Quecksilber pro Liter – die Konzentrationen waren mindestens zehn Mal so hoch wie in durchschnittlichen Flüssen. Eigentlich liegt dieser Wert des hochgiftigen Stoffes in Flüssen bei 1 bis 10 Nanogramm. Ungelöste Quecksilberpartikel fanden die Forschenden sogar in Konzentrationen von mehr als 2000 Nanogramm pro Liter Schmelzwasser.

Jährlich 42 Tonnen Quecksilber 

Insgesamt würden 42 Tonnen Quecksilber pro Jahr von den schmelzenden Gletschern in Südwestgrönland in die umgebenden Flüsse gespült – rund zehn Prozent des gesamten mit Flüssen ins Meer transportierten Quecksilbers weltweit. Die Forschenden schreiben, dass damit erhebliche Mengen des Schwermetalls in den arktischen Ozean gelangen.

So große Mengen des Schwermetalls hatten die Geolog:innen in der unberührten Umgebung Grönlands nicht erwartet. Sie schätzen die gefundenen Mengen als „global signifikant“ ein. Denn aufgrund seiner toxischen Wirkung sei Quecksilber ein Thema von globaler Bedeutung. 

„Wir zeigen, dass die Konzentrationen von gelöstem Quecksilber zu den höchsten gehören, die in natürlichen Gewässern aufgezeichnet wurden, und dass die Quecksilberausbeute aus diesen um zwei Größenordnungen höher ist als aus arktischen Flüssen“, so die Forschenden.

Die Frage ist nun, woher die giftige Substanz überhaupt stammt. Quecksilber kann aus Ablagerungen auf dem Eis durch Luftverschmutzung – etwa aus der Nutzung fossiler Brennstoffe oder aus anderen industriellen Quellen – ins Tauwasser gelangen. 

Doch die Forschenden haben herausgefunden, dass die Konzentrationen von gelöstem Quecksilber in dem Schmelzwasser die gemessenen Werte der Substanz auf Oberflächenschnee und Eis übersteigen. Das Team hat eine andere Vermutung: „Unsere Ergebnisse deuten auf eine geologische Quelle von Quecksilber am Boden des Eisschildes hin.“

Quecksilber wird unter dem Eisschild freigesetzt

Denkbar ist demnach, dass das Schwermetall aus dem Bodengestein unterhalb des Gletschers stammt und durch die Bewegung der abtauenden Eismassen freigesetzt wird. Das Eisschild zermahlt bei seiner Bewegung das unter ihm gelegene Felsgestein, womit auch Schwermetalle wie Quecksilber freigesetzt werden können. 

Damit wäre der Mensch indirekt an dieser Umweltkatastrophe beteiligt, ist es doch die Erderwärmung, die das Schmelzen der Gletscher in der Arktis vorantreibt. Zudem sei es aber auch möglich, dass geothermische Prozesse unter dem Eisschild eine Rolle spielen.

Die Ergebnisse zeigen, dass offenbar auch natürliche Schwermetallquellen auf Prozesse des Klimawandels reagieren können. Bislang wird weitgehend davon ausgegangen, dass die steigenden Konzentrationen von Quecksilber, die weltweit gemessen werden, in erster Linie von direkten Aktivitäten der Menschen – etwa der Industrie – stammen. 

„Aber Quecksilber, das aus klimatisch empfindlichen Umgebungen wie Gletschern stammt, könnte eine Quelle sein, die viel schwieriger zu handhaben ist“, sagt Leitautor Hawkings. Die Ergebnisse könnten nun für Wissenschaft und Politik wichtig für den Umgang mit der Quecksilberverschmutzung sein.

Auswirkungen auf die arktischen Ökosysteme

Durch den starken Eintrag von Quecksilber in stromabwärts gelegene Fjorde sind Auswirkungen auf die arktischen Ökosysteme zu befürchten. Das Schwermetall kann sich in den Meeres- und Flusstieren als hochgiftiges Methylquecksilber anreichern und so über die Nahrungskette auch andere Tiere wie Robben und Möwen erreichen. 

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Über den Verzehr der Fische kann es auch Menschen betreffen, in den fischreichen Gewässern des Nordatlantiks werden große Mengen an Fisch – etwa Kabeljau und Heilbutt – gefangen. Vor allem könne das Gift auch die indigenen Einwohner Grönlands gefährden, die sich zum Großteil aus dem Meer und von Robbenfleisch ernähren, in dem sich Quecksilber besonders stark anreichert.

Vor allem auch sind die Einwohner Grönlands durch das Schwermetall gefährdet.
Vor allem auch sind die Einwohner Grönlands durch das Schwermetall gefährdet.

© imago images / Danita Delimont

„Die Entdeckung, dass Gletscher auch potenzielle Giftstoffe transportieren können, enthüllt eine besorgniserregende Dimension der Einflussnahme von Gletschern auf die Wasserqualität und auf flussabwärts gelegene Gemeinschaften“, sagt Co-Autorin Jemma Wadham. 

Das könne sich durch den Klimawandel noch weiter verändern. Weitere Untersuchungen dazu seien notwendig, um die Dynamik des Quecksilbers im Eisschildabfluss unter Bedingungen der globalen Erwärmung besser zu verstehen.

Ergebnisse der Studie als relevant eingestuft 

Die beiden Wissenschaftler Günter Köck, Mitglied der Österreichische Akademie der Wissenschaften, und Derek Muir (Environment and Climate Change Canada), die seit mehr als 20 Jahren Quecksilberkonzentrationen in Seen der kanadischen Arktis untersuchen, bezeichnen die Ergebnisse gegenüber dem Tagesspiegel als „durchaus dramatisch“. 

Tatsächlich seien die Quecksilberkonzentrationen im Abfluss der grönländischen Gletscher mindestens zehnmal höher als jene in Gletscherabflüssen auf der gegenüber Grönland gelegenen kanadischen Insel Ellesmere Island.

„Da selbst diese niedrigeren Konzentrationen Auswirkungen auf das Ökosystem haben können, ist der Quecksilbereintrag durch das Abschmelzen der grönländischen Gletscher und seine Umwandlung in das hochgiftige Methylquecksilber sicherlich alarmierend“, schreiben die Forscher, die an der Studie nicht beteiligt waren.

Angelika Humbert vom Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung (AWI) bezeichnete die Studie als hochspannend: „Eine bisher ungewöhnliche Seite in der Betrachtung der Wechselwirkung zwischen Eisschilden und Menschen.“ 

Aus der Sicht der Gletscherforschung sei interessant, dass Schmelzwasser an der Basis der Gletscher hier zum Transportmedium wird. „Es bilden sich unter dem Eisschild verschiedene Typen von hydrologischen Systemen, von einem dünnen Wasserfilm zwischen Eis und Festgestein, wassergesättigtem Sediment bis hin zu Kanälen, in denen Wassertransport auch schnell sein kann – Flüsse unter dem Eis“, erklärt die Glaziologin. 

Sie verweist auch auf andere Studien, die hohe Konzentrationen von Quecksilber in arktischen Gewässern nachgewiesen haben. „So faszinierend das ist, so bitter ist es auch: Quecksilber gelangt so ja in die Nahrungskette, die über Fische dann wiederum den Menschen beeinflusst“, so Humbert.

Schwermetall reichert sich in der Nahrungskette an

Quecksilber ist eine biologisch kaum nützlich Substanz, die aber in Form diverser chemischer Verbindungen hoch giftig ist. Das Schwermetall reichert sich in der Nahrungskette an und wird durch den Verzehr von Fisch und Meeresfrüchten auch zu einer Gefahr für den Menschen
Organischen Quecksilberverbindungen werden fast vollständig resorbiert und in fetthaltiges Gewebe eingebaut. 

In arktischen Organismen wurden bereits zuvor hohe Werte an Quecksilber gemessen. Der Gehalt des Schwermetalls soll in Meeresorganismen dort in den vergangenen 150 Jahren stark angestiegen sein. Dass der Grönländische Eisschild dafür eine mögliche Quelle ist, wurde bislang nicht berücksichtigt. 

Nun erweise sich die Arktis in doppelter Hinsicht als besondere Problemzone: „Über die Atmosphäre gelangen Staubteilchen und Aerosole in diese Region, und der Klimawandel und die damit verbundene Erwärmung der Arktis führen zu höheren Einträgen durch mehr und stärkere Schmelzwässer“, schreiben die Autor:innen der Studie. 

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