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In einem Ausstellungsraum sind verfremdete Porträts und ein Bildschirm zu sehen.

© HU Berlin

Update

Akademisches Exil in Deutschland: Bedingt aufnahmebereit

Anlässlich einer Ausstellung zu Forschenden im Exil wurde an der Humboldt-Uni über ihre Lage diskutiert. Berlin will Kapazitäten für Afghan:innen ausbauen.

„Exil, das ist ein Ort, eine Person und ein Geisteszustand“, sagt Nazan Maksudyan, Einstein-Gastprofessorin am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. In Berlin fühle sie sich nicht so sehr als exilierte Türkin, „weil ich hier das Essen essen kann, das ich mag, meine Musik und meine Sprache hören kann“.

Doch als Person sei der Weg ins Exil „eine superschwierige Lebensentscheidung“, sagt Maksudyan, die 2016 mit ihrer Familie aus Istanbul nach Berlin floh. Sie selber als Historikerin in der Mitte ihrer Karriere – und mit internationalen Stationen, darunter in Deutschland – habe es vergleichsweise leichter als jüngere Kolleg:innen. Viele verzweifelten an den akademischen Netzwerken in Deutschland, in die sie nicht dauerhaft hineinkommen.

Diese Überlegungen teilte die Historikerin und Exilforscherin jetzt anlässlich der Eröffnung einer Ausstellung über geflüchtete Forschende an der Humboldt-Universität. In Kooperation mit der französischen Botschaft, dem Centre Marc Bloch und dem Scholars at Risk Network zeigt der Fotograf Pierre-Jérôme Adjedj berührende Porträts von in Frankreich lebenden exilierten Wissenschaftler:innen (Ausstellung im HU-Hauptgebäude, Unter den Linden 6, bis zum 24. September).

Porträts, die das Exil als Geisteszustand abbilden

Durch einen Verfremdungseffekt, mit dem Adjedj mittels eines Spiegels Szenerien des Heimat- und des Exillandes sowie für die Porträtierten wichtige Gegenstände in einem Bild zusammenbringt, kommt er der Idee vom „Exil als Geisteszustand“ nahe. Ein Begriff, den der Literaturtheoretiker Edward Said geprägt hat.

Diese Dimension sei die schwerste, sagt Maksudyan. Wissenschaftlerin im Exil zu sein, könne einen produktiven Schub bedeuten – oder in die Depression führen. Ihre existenzielle Frage nach fünf Jahren laute: Wie lange dauert das noch? „Ich warte gespannt auf den Moment, an dem ich mich in meinem eigenen Büro nicht mehr im Exil, sondern zu Hause fühle.“

[Lesen Sie auch unseren Bericht zum fünften Jubiläum der Philipp Schwartz-Initiative: "Im Exil neu zu starten, bleibt sehr schwer"]

Von dieser Frage sind die afghanischen Forschenden, Lehrenden und Studierenden, die jetzt auf eine Aufnahme im Ausland hoffen, noch weit entfernt. „Wie viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Afghanistan schon in Deutschland sind, wie viele in Drittländern auf eine Ausreise warten und wie viele in Afghanistan in extrem prekären Situationen ausharren, wissen wir noch nicht“, sagt Frank Albrecht, Programmleiter der Philipp Schwartz-Initiative, am Rande der HU-Vernissage.

"Was haben wir nicht getan, um wissenschaftliche Freiheit anzubieten?"

Die Lage in dem von den Taliban eroberten Land bewegt und beschäftigt alle, die sich für gefährdete Forschende einsetzen. HU-Präsidentin Sabine Kunst, deren Uni über die Initiativen der Alexander von Humboldt- und der Berliner Einstein-Stiftung 29 Exilierte aufgenommen hat, spricht von einem selbstverständlichen „Einsatz für die akademische Freiheit“. Diese zu verteidigen, sei „zentral für die wissenschaftliche Diplomatie“, sagt Botschafterin Anne-Marie Descôtes.

Zwei der Porträts aus der Ausstellung von Pierre-Jérôme Adjedj.
Gespiegelt. Fotograf Pierre-Jérôme Adjedj zeigt die Exilant:innen in Szenerien ihres Heimat- und ihres Zufluchtslandes.

© HU Berlin

Andreas Görgen, Leiter der Abteilung Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt, fragt mit Blick auf Afghanistan: „Was haben wir nicht getan, das wir hätten tun können, um dem eigenen Anspruch gerecht zu werden, wissenschaftliche Freiheit anzubieten?“

Trotz aller staatlich finanzierter Initiativen habe Deutschland noch nicht genug unternommen, um dem schwierigen Erbe der NS-Zeit, als unzählige Wissenschaftler vertrieben und ermordet wurden, gerecht zu werden.

Aber auch wenn die Lage in und um Afghanistan nach dem Ende der Evakuierungen noch unübersichtlich ist: Es gibt erste konkrete Fälle, in denen Wissenschaftler:innen geholfen wird. Frank Albrecht bestätigt, dass ein kürzlich geflohener Fellow aus Afghanistan bereits an der Uni Heidelberg angekommen sei.

Berlins Unis und Institute sind bundesweit vorbildlich

Ein weiterer, der einen Platz an der Uni Duisburg-Essen erhielt, habe sich für ein anderes EU-Land entschieden. An der Humboldt-Uni ist darüber hinaus von einem Kabuler Juristen die Rede, der es außer Landes geschafft habe und den man jetzt für eine Förderung durch die Philipp Schwartz-Initiative nominiere. Die Nominierungsfrist wurde wegen der akuten Krise in Afghanistan um 14 Tage bis zum 24. September verlängert, sagt Albrecht.

50 Fellows aus Kriegs- und Krisenländern kann die Humboldt-Stiftung pro Jahr aufnehmen. Die finanziellen Mittel seien dabei nur ein begrenzender Faktor, so Albrecht. Ein weiterer sei „die Aufnahmefähigkeit der deutschen Wissenschaftslandschaft“.

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Für Afghanistan hat das Auswärtige Amt einen zivilgesellschaftlichen Zehn-Millionen-Euro-Fonds aufgelegt. Wie groß der Anteil für Forschende sein werde, sei aber noch unklar. Auch dürfe man die Krisen etwa in Myanmar oder Venezuela nicht aus den Augen verlieren. Berlin, wo Unis und Forschungsinstitute in den vergangenen fünf Jahren 41 gefährdete Forschende aufnahmen, sei bundesweit ein Vorbild, dem aber nicht alle Universitätsstädte folgen könnten.

Die Einstein-Stiftung soll zusätzlich Afghan:innen fördern

Für die Einstein-Stiftung will die rot-rot-grüne Regierungskoalition jetzt ein Sonderprogramm auflegen, um afghanischen Wissenschaftler:innen und Studierenden Perspektiven in Berlin zu bieten. Dafür müsse das Land eine "angemessene Finanzierung" bereitstellen, heißt es in einem Antrag, den der Hauptausschuss am Mittwoch dem Plenum zur Annahme empfohlen hat.

Denkbar wäre demnach auch eine Aufstockung der bestehenden Programme „Einstein Guest Researchers“ und „Einstein Junior Scholarships“, mit denen die Einstein-Stiftung weltweit bedrohte oder in ihrer Arbeit eingeschränkte Wissenschaftler:innen für bis zu zwei Jahre fördert.

Nach drei Jahren müssen Geförderte auf eigenen Füßen stehen

Immer wieder wird indes diskutiert, wie nachhaltig die Hilfe für geflüchtete Wissenschaftler:innen ist. Zwar hat die Philipp Schwartz-Initiative ihre Förderung jetzt von Stipendien auf Arbeitsverträge umgestellt, die einen sichereren Aufenthalt ermöglichen – und erste Zahlungen in die Rentenversicherung. Doch nach zwei Jahren Förderung und einem Verlängerungsjahr ist Schluss und die Exilierten müssen auf eigenen Füßen stehen.

Die Soziologin Nil Mutluer, die 2016 Philipp Schwartz-Stipendiatin an der HU wurde und im Anschluss ein Stipendium der Einstein-Stiftung erhielt, sieht sich und andere Exilierte in einer Art Sackgasse. „Bei aller Dankbarkeit für die erfahrene Unterstützung: Das Grundproblem ist, dass wir in der deutschen Wissenschaft als Opfer gesehen werden, die gerettet werden müssen.“

Mutluer, die zu transnationalen Themen von Gender, Sexualität und Religion forscht, vermisst dabei „die Wertschätzung unserer wissenschaftlichen Ideen und Produktion“. Was fehle, sei eine Plattform, auf der Forschende, die noch keine Professur haben, unabhängige Projekte beantragen können.

Gleichzeitig müssten sich „die geschlossenen Netzwerke für eine echte Internationalisierung öffnen“. Das fordert Mutluer für die wachsende Community der neuankommenden Wissenschaftler:innen „aus dem globalen Süden und Osten“.

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