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Vor allem vor Florida liegen derzeit viele Kreuzfahrtschiffe.

© dpa

Corona-Schiffe auf Irrfahrt: Zehntausende harren auf Kreuzfahrtschiffen aus

Noch immer hängen viele Passagiere auf Kreuzfahrtschiffen fest. Selbst wenn sie evakuiert werden, muss die Belegschaft oft an Bord bleiben - ohne Bezahlung.

Es war Prinzessin Diana, die das Kreuzfahrtschiff einst in England auf den Namen „Royal Princess“ taufte. Der Ozeandampfer war später der Star in der ARD-Dokuserie „Verrückt nach Meer“ und gehört inzwischen Phoenix Reisen aus Bonn. Der Glamour vergangener Tage verblasst in der Coronakrise: Die betagte „Artania“, wie das Schiff inzwischen heißt, wird gerade zum Politikum.

Mit dutzenden Covid-19-Fällen an Bord legte das Schiff in der vergangenen Woche im Hafen von Fremantle in Westaustralien an. Am Donnerstag starb ein Patient im Krankenhaus, mehrere Infizierte schweben in Lebensgefahr. Mehr als 800 Passagiere wurden im Rahmen der größten Rückholaktion in der Geschichte der Bundesrepublik nach Deutschland geflogen. Die Fluglinie Condor schickte dafür vier Boeing 767 nach Perth. Mehr als 450 Besatzungsmitglieder sind aber noch an Bord.

„Das Schiff soll so schnell wie möglich hier weg und zurück nach Deutschland“, forderte der Regierungschef des Bundesstaats Westaustralien, Marc McGowan. Australien kämpft nicht nur an Land gegen die Ausbreitung des Virus. Vor der Küste ankert eine ganze Flotte von Kreuzfahrtschiffen. Die Wut darüber wächst, denn aus Sicht vieler Australier haben Schiffsreisende den Virus erst auf ihren Kontinent gebracht. Die Zahlen bestätigen das zum Teil.

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Fast 1400 Covid-19-Patienten – ein Viertel aller Infizierten in Australien – haben sich auf einem Schiff angesteckt. Kreuzfahrtschiffe gelten in der Coronakrise längst als „Super Carrier“, auf denen sich das Virus, wenn es denn einmal an Bord ist, schnell und ungebremst ausbreitet. Seit es Passagieren erlaubt wurde, in der Millionenmetropole Sydney auszusteigen, und Infizierte dann das Virus an Land verbreiteten, tobt ein Streit über den Umgang mit den Schiffen – und zwar weltweit.

Passagiere des deutschen Kreuzfahrtschiffs «MS Artania» hoffen, im Hafen von Fremantle (Australien) von Bord gehen zu dürfen.
Passagiere des deutschen Kreuzfahrtschiffs «MS Artania» hoffen, im Hafen von Fremantle (Australien) von Bord gehen zu dürfen.

© dpa

Noch immer sind tausende Passagiere und zehntausende Besatzungsmitglieder auf Kreuzfahrtschiffen gefangen. Allein beim Weltmarktführer Carnival sind es rund 6000 Reisende. Während die deutsche Tochter Aida bereits alle Passagiere evakuieren konnte, warten mehrere Schiffe des Mutterunternehmens auf eine Einfahrerlaubnis, etwa vor Florida. 

Der Rückhalt in der Bevölkerung schrumpft

In Miami, wo die drei größten Kreuzfahrt-Konzerne Carnival, Royal Caribbean und Norwegian Cruise Line ihren Sitz haben, starten die meisten Karibikfahrten. Viele Jobs in der Region hängen an der milliardenschweren Branche. Doch in der Coronakrise schrumpft der Rückhalt in der Bevölkerung – und der Politik.

Floridas Gouverneur Ron Desantis will wartende Schiffe abweisen. „Wir können es uns nicht leisten, dass diese Leute hier einfach abgeladen werden – zumal die meisten gar nicht aus Florida sind“, sagte der Republikaner trotz der zunehmend verzweifelten Hilferufe von Passagieren und verwies auf die überlasteten Krankenhäuser in seinem Bundesstaat.  

Tagelang wurde etwa über die „MS Zaandam“ einer Carnival-Tochter gestritten, die vor drei Wochen in Buenos Aires ablegte und nach vier Todesfällen von Land zu Land fuhr und nirgends anlegen durfte. Chile, Peru und Argentinien hatten ihre Häfen geschlossen. An Bord waren 1400 Passagiere, von denen 250 Covid-19-Symptome zeigten. „Die Welt hat die Türen vor uns verschlossen, während wir uns in den Kabinen isolieren und warten“, sagte eine Mitreisende zu NBC News. Sie fühle sich wie im Endzeitepos „Waterworld“.

Im Fall der MS Zaandam gab es jetzt einen Einigung.
Im Fall der MS Zaandam gab es jetzt einen Einigung.

© imago/Danita Delimont

Während Lokalpolitiker ein Anlegen in Florida unbedingt vermeiden wollten, schlug US-Präsident Donald Trump andere Töne an und setzte sich dafür ein, dass einige Schiffe wie die „Zaandam“ ihre Passagiere evakuieren dürfen. „Ich werde tun, was richtig ist, nicht nur für uns, sondern für die Menschlichkeit“, sagte Trump. Er gilt als Freund von Carnival-Chef und Milliardär Micky Arison.

Am Wochenende dann der Durchbruch: Nach einem Deal mit den Behörden durften die „Zaandam“ und ihr ebenfalls betroffenes Schwesterschiff „Rotterdam“ gegen den Widerstand des Bürgermeisters zunächst in Fort Lauderdale anlegen. Am Sonntag starteten die Rückkehrflüge für die nicht erkrankten Passagiere. Darunter sind ausgerechnet viele Australier, deren Regierung gegen die Schiffe vor der eigenen Küste vorgeht, aber gleichzeitig selbst besonders viele Bürger von Kreuzfahrtreisen zurückholen muss, was zu diplomatischen Verrenkungen führt. „Zwar wurden diese Passagiere vom CDC (der US-Seuchenschutzbehörde) getestet, zur Sicherheit setzen wir für diese Flüge nach Australien aber eigene Charter-Maschinen ein“, sagte ein Sprecher der US-Fluglinie United am Sonntag.   

Die Crew muss meist an Bord bleiben

Während die Passagiere mit extra von ihren jeweiligen Regierungen gecharterten Jets nach Haus geflogen werden, bleiben die Besatzungsmitglieder häufig an Bord der ansonsten leeren und mit Viren verseuchten Ozeanriesen. Mal dürfen sie das Schiff nicht verlassen, mal bleiben sie, weil sie nicht nach Hause können: Reguläre Flüge heben ja kaum noch ab, weltweit gelten Reisebeschränkungen.

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Auf der „Ruby Princess“ etwa, dem Corona-Schiff vor Sydney, gehören 1100 Menschen zur Crew. Und das ist nur eines von rund 20 Schiffen vor der australischen Küste mit geschätzt 15.000 Besatzungsmitglieder an Bord. „Das ist eine humanitäre Katastrophe“, sagte Dean Summers von der Gewerkschaft International Transport Workers’ Federation.

„Ich habe Mitgefühl für die Passagiere“, so Summers, „aber die Crews leben unter weitaus gefährlicheren Bedingungen“ – nämlich in engen Mini-Kabinen unter Deck. „Wir rufen die Regierungen auf, die Crew-Mitglieder nach Hause zu bringen.“ Die Kreuzfahrt-Konzerne sollten das bezahlen. Üblicherweise sind die Mitarbeiter gar nicht bei diesen angestellt, sondern bei Dienstleistern.

Ohne Gäste bekommen die Besatzungsmitglieder kein Geld mehr

Noch während sie an Bord sind, werden viele der Servicekräfte gefeuert oder ihr Lohn gestrichen. „Da es keinen regulären Gästebetrieb mehr gibt, gibt es für viele Besatzungsmitglieder an Bord weniger oder nichts zu tun. Die Arbeitszeit und entsprechend auch die Vergütung werden daher angepasst“, teilte etwa Tui Cruises („Mein Schiff“) mit. Man übernehme aber „Kost und Logis“.

Die Verhandlungen über die „Artania“ von Phoenix Reisen gingen am Wochenende derweil weiter. Das Schiff wurde für zwei Wochen unter Quarantäne gestellt. Es liefen Gespräche mit den Behörden, hunderte Besatzungsmitglieder zu evakuieren und auszufliegen, teilte der Reiseveranstalter mit. Um das Schiff nach Europa zu fahren, würden 20 bis 30 Seeleute an Bord ausreichen.

Felix Wadewitz

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