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Geteilte Freude: Reiner Hoffmann gratulierte seiner Nachfolgerin Yasmin Fahimi zum Wahlergebnis.

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Erste Frau an der Spitze des DGB: Yasmin Fahimi folgt Reiner Hoffmann

Die neue DGB-Vorsitzende und der Bundeskanzler sind sich einig: Der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft funktioniert nur mit Mitbestimmung.

Ohne klassenkämpferische Töne gibt es keinen Gewerkschaftskongress. Und keine Arbeiterführerin. Yasmin Fahimi, an Montag in Berlin auf dem Bundeskongress des DGB zur neuen Vorsitzenden gewählt, knöpfte sich in ihrer ersten Rede die Wohlhabenden vor. Immerzu höre man derzeit, alle würden ärmer wegen Pandemie und Krieg und Energiepreisen. Das sei falsch. „Die Reichen haben in der Pandemie ihr Vermögen um 100 Milliarden Euro erhöhen können“, klagte die DGB-Chefin. Und die Aktiengesellschaften zahlten in diesem Jahr 70 Milliarden Euro Dividenden aus - 20 Milliarden Euro mehr als 2019, dem letzten Jahr vor Corona. Fahimis Schlussfolgerung: „Die Wiedereinführung der Vermögensteuer ist überfällig, und in der aktuellen Situation wäre auch eine zusätzliche Sondervermögensabgabe gerechtfertigt.“

"Wir haben schon bessere Zeiten erlebt"

An dieser Stelle gab es den kräftigsten Applaus der knapp 400 Delegierten des Parlaments der Arbeit, wie der alle vier Jahre stattfindende Bundeskongress der acht Einzelgewerkschaften auch genannt wird. Rund 5,7 Millionen Mitglieder haben die DGB-Gewerkschaften – Jahr für Jahr werden es weniger. „Wir haben schon bessere Zeiten erlebt“, räumte Fahimi ein. In der achtjährigen Amtszeit ihres Vorgängers Reiner Hoffmann verloren die Gewerkschaften 400 000 Beitragszahler.

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Mindestens acht Jahre wird voraussichtlich die 54-jährige Fahimi amtieren. Mit sehr ordentlichen 93 Prozent der Stimmen wurde sie am Montagvormittag gewählt. Zum ersten Mal in der mehr als 70-jährigen DGB-Geschichte führt eine Frau den Dachverband. Am Nachmittag kam Bundeskanzler Olaf Scholz vorbei und gratulierte seiner Genossin, die 2014 und 2015 als Generalsekretärin der SPD zu Diensten stand.

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Fahimi warnt vor Aufrüstung

„Ehre und Herausforderung zugleich“ sei die Führung eines der größten Gewerkschaftsbundes der Welt, sagte Scholz, der Fahimi auch in Kenntnis ihrer Arbeit in der SPD, „Mut und Tatkraft“ bescheinigte. Zusammenhalt und Gemeinschaft, dafür stehen Scholz zufolge die Gewerkschaften ebenso wie für internationale Solidarität, die in diesen Kriegszeiten neu gefordert sei. Der Bundeskanzler begründete die Waffenlieferungen an die Ukraine und erläuterte die von ihm ausgerufenen Zeitenwende inklusive drastischer Erhöhung der Militärausgaben. An diesem Punkt ist die DGB-Chefin anderer Ansicht. Das Ziel der Ampel-Regierung, künftig zwei Prozent oder mehr des Bruttoinlandsprodukt für Verteidigung auszugeben, „halte ich für willkürlich und grundfalsch“, sagte Fahimi und warnte vor einer „unkontrollierten Aufrüstung“.  

Aufträge nur bei Tariftreue

Schon gar nicht dürften die zusätzlichen Ausgaben für die Bundeswehr zulasten der Investitionen in die Transformation und des Sozialstaats gehen, meinte Fahimi und bekam dafür die Zusage des Bundeskanzlers. Der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft werde nur gelingen, wenn er fair und sozial gerecht erfolge, das sei auch eine Frage des Respekts, sagte Scholz, der ein bundesweites Tariftreuegesetz für die Vergabe öffentlicher Aufträge ankündigte und eine Reform des Betriebsverfassungsgesetzes. „Wir werden die Mitbestimmung stärken und die Betriebsräte fit machen für neue Anforderungen.“

Bei der Gestaltung des Wandels in Wirtschaft und Gesellschaft werden man mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten, kündigte Olaf Scholz an.

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Dieses Thema hatte Fahimi zuvor in den Mittelpunkt ihrer Grundsatzrede gestellt. „Schaffen wir einen Wandel, der für alle, auch die Schwächsten, einen Vorteil bringt.“  Transformation finde in den Regionen statt, und in den dort zu etablierenden Transformationsbeiräten „müssen wir mit am Tisch sitzen“. Die Gewerkschaften stellten Klimaschutz und Energiewende nicht in Frage, aber der Ausbau der Erneuerbaren Energien „darf nicht auf Kosten unsere Leute gehen“. In diesem Zusammenhang warnte Fahimi vor einem Boykott russischen Gases. „Weder Einkommens- noch Energiearmut können sich unsere Kollegen leisten.“ Die bisweilen von Ökonomen beschworene Lohn-Preis-Spirale gebe es nicht, die aktuelle Inflationsrate von mehr als sieben Prozent erklärte die DGB-Vorsitzende mit Lieferkettenproblemen und Spekulationen an den Energiemärkten.  

"Allianz für Transformation in Kanzleramt"

Scholz kündigte für die kommenden Wochen ein erstes Treffen der „Allianz zur Transformation“ im Kanzleramt an. Mit Verbänden und Gewerkschaften sollen dort Rahmenbedingungen zum Beispiel für die Dekarbonisierung der Industrie erörtert werden. Dazu will die Regierung das Transferkurzarbeitergeld ausbauen und mehr Geld in Ausbildung und Weiterbildung stecken. „Wir werden als Land zeigen, dass Transformation gelingt, weil wir entschlossen sind, alle auf diesem Weg mitzunehmen.“ Das Motto des DGB-Kongresses „Zukunft gestalten wir gemeinsam“, griff Scholz auf: Diesen Anspruch habe auch die Regierung und werden dazu mit den Gewerkschaften und der neuen DGB-Vorsitzenden zusammenarbeiten.

Vom Bundestag zum DGB

Fahimi und ihre drei Kolleginnen und Kollegen im geschäftsführenden DGB-Vorstand waren alle mit deutlich über 90 Prozent der Stimmen gewählt worden. In ihrer Bewerbung hatte die Sozialdemokratin den Wert der Einheitsgewerkschaft betont. „Wir sind unabhängig von Staat, Unternehmen und Parteien.“ Als Tochter einer alleinerziehenden Mutter seien ihr „biografische Herausforderung nicht fremd“, dazu gehörten auch ihre naturwissenschaftlichen Interessen, sagte die in Hannover geborene Diplom Chemikerin. Ihr Vater stammte aus dem Iran und verstarb bei einem Autounfall. Fahimi arbeitete über viele Jahre und in verschiedenen Funktionen für die IG BCE, der Gewerkschaftsvorsitzende Michael Vassiliadis ist ihr Lebensgefährte. 2014 wurde sie Generalsekretärin der SPD, von 2016 bis 2017 war sie Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium, seit 2017 sitzt sie im Bundestag. Mit der Wahl zur DGB-Vorsitzenden legt sie das Mandat nieder.

Irritationen bei der Nominierung

Der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann hatte zuvor den Delegierten erklärt, warum er und die sieben anderen Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaften Fahimi als Nachfolgerin von Reiner Hoffmann vorgeschlagen hatten: Führungserfahrung, Integrationsfähigkeit, gewerkschaftlicher Stallgeruch sowie das Alter seien Auswahlkriterien gewesen, ferner habe man eine Frau gewollt. Abgesehen von der GEW werden alle DGB-Gewerkschaften von Männern geführt.

Rund um die Nominierung Fahimis hatte es im vergangenen Januar Irritationen gegeben: Hofmann hatte Vassiliadis als neuen DGB-Vorsitzenden vorgeschlagen, doch der Verdi-Vorsitzende Frank Werneke lehnte das ab: „Im DGB findet sich eine große politische und auch kulturelle Spannweite wieder, der/die Vorsitzende muss diese Vielfalt widerspiegeln. Das habe ich bei Michael Vassiliadis nicht gesehen.“ Dann kam Hofmann mit Fahimi – und Werneke stimmte zu.

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