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Online-Plattformen verändern den Milliardenmarkt Gebrauchtwagenhandel. Doch der Abschluss im Internet bietet offenbar keine Garantie für eine reibungslose Abwicklung.

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"Wirkaufendeinauto.de": Berlins gefeiertes Gebrauchtwagenportal hat Ärger von allen Seiten

Das Gebrauchtwagenportal „Wirkaufendeinauto.de“ wirbt mit besonders unkomplizierten Service. Nun gibt es aber Streit mit Kunden und Händlern.

„Es ging alles sehr schnell, einfach und unkompliziert“, sagt die junge Mutter, die zwischen ihren beiden blonden Mädchen in einer Autowerkstatt steht. Alle drei recken die Daumen nach oben und rufen „Wirkaufendeinauto.de“ in die Kamera. Der Werbespot des Berliner Gebrauchtwagenportals läuft aktuell mit hoher Drehzahl im Fernsehen oder auf Social-Media-Plattformen. Die Berliner Auto1-Gruppe, die Wirkaufendeinauto.de betreibt, dreht ein großes Rad.

Das Unternehmen kauft Gebrauchtwagen über 350 Partnerfilialen auf und verkauft sie weiter an 35.000 Handelspartner in Europa. Im vergangenen Jahr waren es mehr als 300 000. Potenziellen Verkäufern verspricht „WKDA“ eine einfache, reibungslose Dienstleistung zu besten Preisen. Der Wert des Autos wird zunächst kostenlos online geschätzt, vor Ort nimmt es ein Mitarbeiter unter die Lupe, es wird ein verbindliches Angebot erstellt und der Wagen sofort angekauft – wenn der Kunde einverstanden ist. Täglich kommen so nach Unternehmensangaben mehr als 3000 Fahrzeuge hinzu.

Start-up Auto1 wird mit fast drei Milliarden Euro bewertet

Ein Geschäftsmodell, das Investoren magisch anzieht. Kürzlich hat das 2012 gegründete Auto1-Gruppe, die europaweit diverse Plattformen wie "Wirkaufendeinauto.de" betreibt, 460 Millionen Euro von einem Fonds der japanischen Softbank erhalten. Auto1 wird jetzt mit 2,9 Milliarden Euro bewertet und ist damit mit Abstand die wertvollste Jungfirma im Land und nach dem Musik-Streamingdienst Spotify das am höchsten bewertete Start-up Europas.

„Ich habe es ausprobiert und war total begeistert“, sagt ein Mann im Werbespot. Doch die Realität sieht anders aus. WKDA sieht sich nicht nur mit zahlreichen Berichten von enttäuschten Kunden konfrontiert, die beklagen, dass sie am Ende sehr viel weniger für ihren Gebrauchtwagen bekommen haben als online angegeben wurde. Hinzu kommen nun auch Dutzende Klagen von Kfz-Händlern, die dem Unternehmen vorwerfen, ihnen Fahrzeuge mit Mängeln verkauft zu haben, die nicht dokumentiert waren oder verschwiegen wurden. „Das ist eine neue Dimension“, sagte Ansgar Klein, Vorstand des Bundesverbands freier Kfz–Händler (BVFK), dem Tagesspiegel. „Die Händler sind sauer.“

Rund 100 Klagen allein in Berlin

Allein beim Landgericht Berlin sind nach Auskunft einer Sprecherin 56 Verfahren gegen die Auto1-Gruppe anhängig, beim Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg werden 64 gezählt. Berücksichtigt man Überschneidungen, dürften es allein in Berlin unter dem Strich 100 Klagen sein. Bei jährlich 300.000 Gebrauchtwagen, die der „zuverlässige Partner des Handels“ nach eigenen Angaben umschlägt, erscheint die Zahl der Klagen überschaubar. Und richtig ist auch: Gerade im Gebrauchtwagengeschäft sind Auseinandersetzungen verbreitet.

Doch die Beschwerden kratzen am Image des Vorzeige-Start-ups, das mit großen Zahlen hantiert, offenbar aber ein Problem mit seinem schnellen Wachstum hat. Das Geschäftsmodell lebt von der Seriosität, mit der beim An- und Verkauf von Autos Preise ermittelt werden. Hier bleibt WKDA nach Meinung vieler Kunden nicht nur beim Ankauf von Fahrzeugen hinter seinen Werbeaussagen zurück. Berichtet wird zum Beispiel von sehr kurzen Probefahrten und Begutachtung der Fahrzeuge im Minutentakt. Auch die Exposés, die für den Weiterverkauf von Gebrauchtwagen an den Kfz-Handel erstellt werden, genügen offenbar nicht immer den üblichen Qualitätsstandards. Ein möglicher Grund: Viele Ankäufer sind keine Kfz-Meister oder Ingenieure, wie sie die technischen Prüfer bei TÜV oder Dekra beschäftigen, sondern Autokaufleute.

Das expandierende Start-up findet augenscheinlich nicht genügend geschultes Personal. Aktuell listet Auto1 auf seiner Website drei Dutzend Stellengesuche für Autokaufleute oder „Mobile Fahrzeugbewerter“ auf, die neben einer „kaufmännischen oder technischen Ausbildung im Automobilbereich“ auch ein „abschlusssicheres Verhandlungstalent“ mitbringen sollten. Geht Quantität um jeden Preis bei Auto1 zu Lasten der Qualität?

Händler sehen WKDA nicht als Dienstleister

Bei vielen Händlern, so ist in der Branche zu hören, hat Auto1 nicht den Ruf des Dienstleisters, sondern des Wettbewerbers. „Alle Autohändler suchen händeringend nach guter Ware“, heißt es. Auto1 sei ein großer Nachfrager und ziehe als Intermediär zwischen privaten Käufern und dem klassischen Gebrauchtwagenhandel einen Teil der ohnehin knappen Gewinnmarge ab. Selbstkritisch bemerkt BVFK-Vorstand Klein: „Die Branche hat die digitale Beschaffung verschlafen – und Auto1 überlassen.“ Nun dürfe man erwarten, dass das Unternehmen seriös arbeite. Auch Thomas Peckruhn, Vize-Präsident des Zentralverbands des deutschen Kfz-Gewerbes (ZDK) und Autohändler mit acht Standorten, hat schlechte Erfahrungen gemacht.

„Auch uns hat Auto1 Gebrauchte angeboten, aber wir haben nicht gekauft“, sagte Peckruhn dem Tagesspiegel. „Es gab keine vernünftig dokumentierten Ankaufprotokolle und die Zustandsberichte waren mangelhaft“, sagte der geschäftsführende Gesellschafter der Autohaus Liebe Gruppe. Weil WKDA vor allem an gewerbliche Kunden weiterverkaufe, müsse das Unternehmen nicht das strengere Verbraucherrecht einhalten, wie Sachmängelhaftung oder Gebrauchtwagengarantie. „Mängel bei der Begutachtung kann sich ein klassischer Autohändler gar nicht leisten“, sagte Peckruhn, der in seinem Betrieb nur professionelle Kfz-Gutachter einsetzt.

Der Gebrauchtwagenmarkt: ein Milliardengeschäft

Auto1 ist mit seinem Geschäftsmodell nicht der einzige neue Player auf dem Gebrauchtwagenmarkt, dessen globales Volumen auf mehr als 300 Milliarden Dollar geschätzt wird. Unter anderem haben auch die etablierten Gebrauchtwagen-Plattformen Mobile.de und Auto-Scout 24 mit Motorverkauf.de und Easyautosale.com eigene Angebote. Allerdings kauft zum Beispiel Mobile.de keine Autos ein, sondern vermittelt nur zwischen Verkäufer und rund 500 Händlern. Auch Motorverkauf.de bewertet die Fahrzeuge auf der Basis der rund 1,4 Millionen auf Mobile.de angebotenen Gebrauchtwagen.

Auto1 reagiert auf die Vorwürfe mit einem Verweis auf das umfangreiche und standardisierte Verfahren („mehr als 150 Punkte“), mit dem jedes Fahrzeug geprüft werde. Von Mitarbeitern, die „ausnahmslos die entsprechenden beruflichen Qualifikationen“ mitbrächten, ist die Rede. Mängel an den Fahrzeugen würden dokumentiert, heißt es.

„Sollten Handelspartner in Ausnahmefällen nach dem Kauf eines Fahrzeugs aus unserem Bestand dennoch Schäden entdecken, die nicht im Inserat ersichtlich waren, haben sie selbstverständlich die Möglichkeit, das Fahrzeug zu reklamieren“, erklärt das Unternehmen. Allerdings räumt man ein: „Wie bei jedem anderen Unternehmen läuft auch bei uns nicht immer alles perfekt.“

In immer mehr Fällen läuft es offenbar so wenig perfekt, dass sich die Geschäftspartner vor Gericht wiedersehen.

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