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"Die Zitterpartie für Unternehmen geht weiter", sagt Felbermayr.

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IfW-Präsident Gabriel Felbermayr: „Wir Europäer sollten den Briten ein konstruktives Angebot machen“

Dass EU und Großbritannien sich bis Jahresende auf ein Handelsabkommen einigen, hält IfW-Präsident Felbermayr für unwahrscheinlich. Ein Interview

Von Carla Neuhaus

Gabriel Felbermayr ist seit einem Jahr Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel. Zuvor hat er am ifo-Institut in München das Zentrum für Außenhandel geleitet. In beiden Funktionen hat er sich mit dem Brexit beschäftigt.

Herr Felbermayr, an diesem Freitag tritt das Vereinigte Königreich aus der EU aus. Was bedeutet das für die deutschen Unternehmen?
Zunächst einmal gar nicht so viel. Im Austrittsabkommen ist vereinbart, dass die Briten für das nächste Jahr sowohl im EU-Binnenmarkt als auch in der Zollunion bleiben. Das verhindert zumindest zum jetzigen Zeitpunkt den harten Brexit. Für die Unternehmen bedeutet das allerdings auch: Sie wissen weiterhin nicht, was im Handel mit Großbritannien langfristig auf sie zukommt. Die Zitterpartie geht also weiter. Denn das Freihandelsabkommen, das die EU und das Königreich schließen wollen, müssen sie erst noch aushandeln.

Wie realistisch ist es, dass das wie geplant bis Jahresende gelingt?
Ein Freihandelsabkommen, das eine ähnliche Qualität hätte wie die Abkommen, die wir zuletzt mit Kanada oder Südkorea geschlossen haben, lässt sich nicht in elf Monaten aushandeln. Dazu kommt: Anders als bei Kanada und Südkorea geht es in der Zusammenarbeit mit Großbritannien um sehr viel mehr als den Handel mit Gütern und Dienstleistungen. Wir müssen auch klären, wie es mit den Forschungskooperationen weitergehen soll, dem Erasmus-Programm für Studierende, der polizeilichen Zusammenarbeit, dem gemeinsamen Luftraum. Das ist hochkomplex und nicht schnell abgehakt.

Theoretisch können Briten und Europäer die Übergangszeit auch verlängern. Praktisch aber hat Boris Johnson das bereits ausgeschlossen.
Das darf man nicht zu wörtlich nehmen. Johnson hat schon viel ausgeschlossen und dann doch getan. Erinnern Sie sich, wie er im vergangenen Jahr behauptet hat, er werde niemals Brüssel um eine Verlängerung der Verhandlungen des Austrittsabkommens bitten – am Ende hat er eben das doch tun müssen.

Verlängert der britische Premier Boris Johnson am Ende doch die Verhandlungen mit den Europäern?

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Was aber wäre das Worst-Case-Szenario, wenn Johnson doch an der Deadline festhalten sollte? Bekämen wir dann trotz Austrittsabkommen einen harten Brexit?
Ja, denn in diesem Fall müsste die EU Großbritannien ab dem 1. Januar 2021 wie ein Drittland behandeln und umgekehrt. Die Briten haben dafür bereits Vorkehrungen getroffen. So haben sie zum Beispiel bereits geklärt, wie hoch ihre Zölle dann ausfallen würden.

Für wie realistisch halten Sie den harten Brexit also?
Das hängt ganz davon ab, ob die Briten in der Zwischenzeit mit den Amerikanern ins Geschäft kommen. Sollten Johnson und Trump sich tatsächlich schnell einig werden, wäre ein harter Brexit für die Briten durchaus hinnehmbar.

Warum?
In Brüssel ist man bislang davon ausgegangen, dass die Briten im Falle eines harten Brexits die hohen EU-Zölle übernehmen würden. Johnson aber hat bereits erklärt, in einem solchen Fall die Zölle für alle Drittländer abzusenken. So kann er verhindern, dass im Fall eines harten Brexits zum Beispiel die Preise in den britischen Supermärkten steigen – schließlich sind die Regale dort voller Waren vom EU-Festland. Dazu kommt: Hat Johnson erstmal einen Deal mit den Amerikanern, kann er auch mehr Waren aus den USA statt aus der EU importieren.

Also sind die Briten in der besseren Verhandlungsposition?
Definitiv. Denn anders als sie können die Europäer im Gegenzug nicht einfach die Zölle für alle Drittstaaten absenken. Das geht nach den Regeln der Welthandelsorganisation nur, wenn gleich die Zölle für alle Drittstaaten sinken. Die Briten mögen sich das erlauben können, die EU nicht. Denn dann müsste sie zum Beispiel auch gegenüber den USA, China und Indien die Zölle senken, was zu einem ganz neuen Dilemma führen würde.

Was ist mit den langen Schlangen an den Grenzen, vor denen im Fall eines harten Brexits gewarnt wird?
Auch die muss es nicht zwangsläufig geben. Die Briten könnten auch einfach sagen: Wir vertrauen darauf, dass der Schinken, der aus der EU kommt, schon in Ordnung ist und verzichten auf die Prüfung für den Anfang. Dann hätten wir einen harten, aber smarten Brexit, der den Briten nicht allzu weh tun würde.

Johnson könnte einen Weg finden, die langen Schlangen den Grenzen im Fall eines harten Brexits zu verhindern.

© AFP

Was also kann die EU tun, um doch noch mit den Briten zu einem vernünftigen Freihandelsabkommen zu kommen?
Die Briten können sich jetzt aussuchen, mit wem sie sich zusammentun. Deshalb sollten wir Europäer ihnen ein konstruktives Angebot machen. Bislang hält die EU zum Beispiel an dem Dogma fest, dass es die Grundfreiheiten des Binnenmarktes nur im Paket gibt: freier Handel mit Gütern und Dienstleistungen, freier Kapitalverkehr und Personenfreizügigkeit. Das ist etwas, was man aufbrechen muss. So werden die Briten auf eigene Regeln im Personenverkehr beharren - die sollten wir ihnen zugestehen. Im Gegenzug sollten wir in den anderen Bereichen möglichst eng mit ihnen zusammenarbeiten, also beim Güter-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr. Die Frage ist, ob das noch möglich ist.

Warum sollte es das nicht sein?
Es ist einfach schon so viel Porzellan zerschlagen worden. Wir sind rhetorisch so weit auseinander, dass unklar ist, ob eine Kehrtwende in der Brüsseler Brexit-Politik jetzt noch etwas bringen würde.

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