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Ins Nichts. Auf dem Tiefenbachkogl in Sölden ragt eine Stahlbrücke über den Gletscherabgrund hinaus – auf 3250 Metern.

© Imago

Wintersport im Wandel: Wahnsinn am Berg

Noch steilere Pisten, noch mehr Lifte, noch lauterer Rummel – in Zeiten von Schneemangel und Stagnation kämpfen die Skigebiete um die Aufmerksamkeit der Touristen.

Den ganzen Tag Ski fahren, sich über die Sonne, weiße Hänge und das Bergpanorama freuen? Das ist Urlaub von gestern. Heute braucht es einen Kick. Im französischen Champagny en Vanoise etwa gibt es den im Eiskanal, bei einer Bobfahrt mit Tempo 110 können sich Urlauber fühlen wie bei Olympia. Nervenkitzel birgt auch eine Ritt auf der neuen Manni-Pranger-Piste in Steinach am Brenner, mit 46 Grad die steilste präparierte Abfahrt Österreichs. Wen es in Wagrain nahe Salzburg nach Abwechslung verlangt, der kann die gerade eröffnete „G-Link“-Gondel besteigen – und sich quer über das Tal von einem Skigebiet ins andere schaukeln lassen, 230 Meter über der Erde. Ein Paradies für Tiefschneefans erschließt die futuristische Pendelbahn „Piz Val Gronda“ im Party-Mekka Ischgl. Sie eröffnet 900 bislang unberührte Höhenmeter und Hänge mit der Fläche von 100 Hektar.

Doch der Sport ist in den Bergen oft nur noch Nebensache. Im Zillertal lockt das Design- und Gourmet-Restaurant „Kristallhütte“, für den Aufstieg kann man es sich in der BMW-Gondel bequem machen, mit beheizten Ledersitzen aus dem 7er-Modell und Champagnerflaschenhalter. Bad Gastein setzt im Februar auf die „Art on Snow“, die angeblich größte Kunstshow der Alpen mit Gemälden, Fotografien und Eisskulpturen. Alle zwei Jahre kontert Sölden mit dem „Hannibal“-Spektakel, bei dem Pistenraupen, Hubschrauber und Skibobs in 2700 Metern Höhe die Alpenüberquerung des Heerführers nachstellen.

Mit allen Mitteln versuchen Wintersportorte, im Konkurrenzkampf zu bestehen. Skifahren ist in Europa kein Wachstumsmarkt mehr und teuer ohnehin. Und die Fernziele sind deutlich günstiger zu erreichen als noch vor 30 Jahren. Um den Milliardenmarkt ist ein enormer Verdrängungswettbewerb entbrannt – nicht jede Region wird überleben. Vor allem geht es um Technik. „Schneesicherheit ist das wichtigste Kriterium bei der Wahl des Urlaubsziels“, weiß Michael Manhart, Geschäftsführer von Ski Arlberg. Und so haben vor allem Österreicher und Italiener in den vergangenen Jahren massiv Schneekanonen, Speicherseen und Wasserleitungen in den Berg geschraubt. In schneearmen Wintern wie diesem macht sich die Investition bezahlt.

Einige Skigebiete müssen die Kunstschnee-Menge verdreifachen

Zudem kommt es auf die Größe an: Viele Regionen setzen auf Seilbahnen, die eine Verbindung zum benachbarten Skigebiet schaffen. Wie der Auenfeldjet, der seit diesem Winter die mittelgroßen Regionen Warth-Schröcken und Lech zu einem Super-Skigebiet mit 340 Pistenkilometern verbindet, das nun mit den bedeutendsten Destinationen der Welt mithalten kann. Moderne Sessellifte mit Sitzheizung sind ohnehin Standard – Schlepplifte, die den Touristen die Kniekehlen zerbeulen, sind Auslaufmodelle. Das kostet. Allein die Seilbahnen Österreichs haben seit 2000 rund sechs Milliarden Euro in ihre Infrastruktur gesteckt. Große Skiverbünde können die Anschaffungen noch einigermaßen finanzieren und sie auf viele Gäste umlegen. „Kleine Gebiete müssen dafür die Tarife stärker erhöhen – das ist aber schlecht für das Preis-Leistungs-Verhältnis. Dann fahren die Leute lieber gleich in die renommierten Orte“, sagt Arnold Oberacher von der Wiener Tourismus-Beratungsfirma Conos.

Aber selbst prall gefüllte Kassen schützen nicht vor dem Klimawandel. „In den Alpenrandbereichen werden immer mehr Regionen mit Schneeproblemen zu kämpfen haben“, sagt Robert Steiger, Geograf an der Universität Innsbruck. Gebiete wie Kitzbühel etwa müssten in den nächsten Jahrzehnten doppelt so viel Kunstschnee herstellen wie heute, Liftbetreiber in Osttirol sogar dreimal so viel.

Doch Skifahren ist nicht alles. Ischgl und Sölden sind längst für Party und Rummel bekannter als für ihre Pisten und eifern dem Vorbild Mallorcas nach. Viele Destinationen versuchen, sich eine Nische zu schaffen. Sie lassen die Touristen in Schneeschuhen durch die Berge stapfen oder im Eis herumklettern, präparieren Winterwanderwege, lassen Gäste von der Skischanze hüpfen und in edlen Spaßbädern planschen. „Skifahrer brauchen wir, um die Strukturen hier auszulasten – aber es müssen zusätzlich Alternativen her“, sagt Berater Oberacher.

Das haben auch die Deutschen begriffen, deren Skigebiete es schwer haben gegen die Konkurrenz aus Österreich. In Oberaudorf nahe der Grenze hat die erste Rodelschule der Republik eröffnet. „Das ist ein starkes Thema geworden, Rodeln ist leichter zu erlernen als Skifahren“, sagt Hannes Rechenauer, Geschäftsführer der Hocheck-Bergbahnen. Unter Flutlicht mit hohem Tempo gibt auch das einen Kick – fast wie in Frankreich in der Bobbahn.

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