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Tilo Szczech (l.) war immer mal wieder arbeitslos, zuletzt sieben Jahre lang. Jetzt erzählt er Arbeitsminister Hubertus Heil (r.) seine Geschichte.

© imago images/Christian Ditsch

Wieder drin im Leben: 42 000 Langzeitarbeitslose haben einen Job gefunden

Seit vergangenem Jahr bezuschusst die Regierung Arbeitgeber, die Langzeitarbeitslose einstellen. Tilo Szczech wechselt bei der Bahn jetzt Fahrpläne aus.

Tag für Tag wechselt er am Ostbahnhof die Fahrpläne an den Gleisen aus. Glasklappe auf, alter Zettel raus, neuer rein. Tilo Szczech gefällt der Job. Ihm gefällt es, überhaupt wieder was zu tun. Denn sieben Jahre war das anders. Nicht, weil der 63-Jährige nichts vorzuweisen hätte. Der Mann ist Meister seines Fachs, war in großen Filmkopierwerken tätig. Doch erst nahm ihm die Wende die Arbeit, dann die Technik mit all ihren neuen, digitalen Möglichkeiten. Und was Tilo Szczech einst gelernt hatte, war immer weniger bis nichts mehr wert.

Seit November ist Tilo Szczech einer von 17 Frauen und Männern, die bei der Deutschen Bahn trotz großer Lücken im Lebenslauf einen festen Vertrag unterschrieben haben. Auch deswegen, weil es seit einem Jahr das sogenannte Teilhabechancengesetz gibt. Mit Coachings und Lohnkostenzuschüssen fördert der Staat Unternehmen, die Langzeitarbeitslosen eine Chance geben. Einige der neuen Bahn-Mitarbeiter haben nun Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD), Bahn-Personalvorstand Martin Seiler und Daniel Terzenbach,Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, getroffen.

„Wir wissen, dass Lebensläufe nicht immer grade verlaufen und dass das Leben manchmal besondere Herausforderungen bereithält“, sagte Bahn-Personalvorstand Martin Seiler. Sie haben mit dem Projekt in Berlin und Nordrhein-Westfalen begonnen. Die ersten Teilnehmerinnen und Teilnehmer arbeiten im Konzern als Servicekräfte an den Bahnhöfen, etwa am Fahrkartenautomaten, am Bahnsteig oder als Reinigungskräfte. Zuvor seien die vom Jobcenter ausgewählten Kandidaten acht Wochen lang geschult und „intensiv“ auf ihren künftigen Job vorbereitet worden. Die Bahn ist zufrieden und könne sich gut vorstellen, mehr Menschen auf diesem Weg einzustellen.

Heil: "Arbeit ist mehr als Broterwerb"

Als Heil für sein Gesetz warb, sprach er von 150000 geförderten Stellen. Bislang sind 42000 Menschen aus der Langzeitarbeitslosigkeit geholt worden. Knapp 728000 Menschen suchen in Deutschland seit mindestens einem Jahr noch vergeblich nach Arbeit. Für Heil ist die Zwischenbilanz trotzdem ein Erfolg. Er hört am Ostbahnhof die Geschichte von Tilo Szczech. Von der alleinerziehenden Frau. Von dem Mann, der alles Mögliche probierte, von der Stelle in der Zigarettenfabrik bis zur Versicherung. All das habe Heil wieder einmal verdeutlicht, „dass Arbeit mehr ist als Broterwerb“, sagt er. „Sie gibt Struktur, Anerkennung und sorgt für soziale Kontakte.“

Das Teilhabechancengesetz richtet sich an zwei Gruppen. Stellen Betriebe einen Arbeitslosen ein, der seit mindestens sechs Jahren Hartz IV bezieht, zahlt der Staat für bis zu fünf Jahre die Lohnkosten – in den ersten zwei Jahren komplett, danach sinkt der Zuschuss jedes Jahr um zehn Prozentpunkte. Von dieser Förderung profitieren rund 34000 Personen. Die übrigen 8000 waren mindestens zwei Jahre arbeitslos. Hier kann sich der Arbeitgeber 75 Prozent der Lohnkosten erstatten lassen. Für alle gibt es außerdem ein staatlich bezahltes Coaching.

Der Bund zahlt bis 2022 vier Milliarden Euro

„Erste Befragungen ergaben, dass zwei Drittel der Arbeitgeber das Coaching und den Verlauf der geförderten Beschäftigung mit ,gut’ oder ,sehr gut’ beurteilen“, sagte Heil. Aus seiner Sicht sei es zudem erfreulich, dass fast drei von vier Jobs im privaten Sektor entstanden seien. Für den sozialen Arbeitsmarkt stellt der Bund bis 2022 vier Milliarden Euro zur Verfügung. Davon wurden nach Heils Angaben etwa 500 Millionen Euro ausgegeben. Es sei zwar ein „teures Instrument“, aber auch nachhaltiger als permanent von einer kurzen Maßnahme in die nächste geschickt zu werden. 90 Prozent der Menschen halten durch.

Der FDP-Arbeitsmarktexperte Johannes Vogel kritisiert, das Gesetz sei kein großer Wurf, um Langzeitarbeitslosigkeit zu reduzieren. Die Bundesregierung müsse vielmehr „endlich an die Zuverdienstregeln bei Hartz IV ran“, sagte Vogel. Nach den ersten 100 Euro müssten von jedem verdienten Euro 80 Cent abgegeben werden. Das sei „grotesk“. Deutschland brauche „eine trittfeste Leiter aus Hartz IV raus““, meint er.

Ob er bei der Bahn denn wohl auch ohne das Programm einen Job bekommen hätte? Tilo Szczech glaubt nicht. Er hätte sich aber auch eine Bewerbung nie getraut. Jetzt ist Tilo Szczech einfach nur froh, eine sinnvolle Aufgabe zu haben. „Hartz IV kriegen ist deprimierend“, erzählt er. „Man ist raus aus dem Leben. Und ich hab sechs Kinder.“ Auch die wissen, was es heißt, nie weg zu fahren und jedes neue Kleidungsstück abzuwägen.

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