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Je mehr Waren die Deutschen über das Internet bestellen, desto mehr Müll produzieren sie.

© picture alliance / Patrick Pleul

Mehr Pakete, mehr Verpackungsmüll: Wie Produkte nachhaltig verschickt werden könnten

Der Onlinehandel boomt. Das lässt die Müllberge steigen. Waren in Mehrwegbeuteln zu verschicken, wäre eine Lösung – doch Konzernen ist das zu teuer.

Von Carla Neuhaus

Die Geschenke bringt in diesem Jahr der Postbote. 70 Prozent der Deutschen bestellen sie teilweise online. Was angesichts des Lockdowns kaum verwunderlich ist, hat Folgen. Denn bevor Verbraucher die Geschenke hübsch eingewickelt unter den Baum legen können, müssen sie sie erst einmal auspacken. Dabei stapeln sich Kartons, Plastiktüten, Styropor und Luftpolsterfolie. Das ist die Schattenseite des Booms im Onlinehandel: Berge an Verpackungsmüll.

Und von dem fällt immer mehr an. Laut Umweltbundesamt kommt jeder Deutsche im Schnitt inzwischen auf 227,5 Kilogramm Verpackungsmüll pro Jahr – eine Zahl, die regelmäßig nach oben korrigiert wird. Dafür ist zwar nicht allein der Onlinehandel verantwortlich, darunter fallen auch To-go-Becher, Styroporboxen für die Essenslieferung und Lebensmittelverpackungen aus dem Supermarkt. Doch je mehr Waren die Deutschen über das Internet bestellen, desto mehr Müll produzieren sie.

Zahlen des Bundesumweltministeriums zeigen, wie stark allein die Verbreitung des Onlinehandels die Müllberge hat wachsen lassen: Demnach ist der Verbrauch von Einweg-Versandverpackungen zwischen 1996 und 2017 um 607 Prozent gestiegen. Das Umweltbundesamt mahnt deshalb: „Auch im Onlinehandel könnten deutlich mehr Mehrweg-Versandverpackungen zum Einsatz kommen, die von den Kunden kostenlos zurückgeschickt werden können.“

Die Betten werden nicht in Folie gepackt

Zumal es solche Alternativen längst gibt. Eine davon hat der Finne Juha Mäkelä entwickelt. Vor Jahren hat der Designer für ein Projekt mit der finnischen Post zusammengearbeitet. Er soll schockiert gewesen sein, als er die Paketberge sah, die stündlich ein Logistikzentrum passieren. Mäkelä kam dabei die Idee, eine Art Pfandsystem zu etablieren: So wie Menschen ihre Getränkeflaschen zurück in den Laden bringen, so sollten sie auch die Versandverpackung wieder abgeben, damit sie erneut benutzt werden kann.

Repack heißt die Versandtasche, die Mäkelä mit Kollegen entwickelt hat. Sie lässt sich zusammenfalten und per Post zurückschicken. Auch in Deutschland kommt sie mancherorts bereits zum Einsatz. Dass dabei Größe und Gewicht eines Produkts keine Rolle spielen, beweist der Berliner Unternehmer Steve Döschner.

Steve Döschner verschickt seine Betten in wiederverwendbaren Taschen.

© promo

Er ist ein gelernter Umweltberater, der unter die Schreiner gegangen ist. Seit 2016 fertigt er Betten aus Holz, das ausschließlich aus Wäldern im Berliner Umland stammt. Produziert werden die Einzelteile bei „Kiezbett“ in einer Förderwerkstatt. Also alles nachhaltig und sozial. Die Betten dann in Kartons und Folie zu verpacken, kam für Döschner deshalb nicht in Frage.

Stattdessen schickt er seine Betten in großen, länglichen Versandtaschen des Finnen Mäkelä zum Kunden. In Berlin liefern die Mitarbeiter das in Einzelteile zerlegte Bett per Lastenrad, packen beim Kunden alles aus und nehmen die Taschen wieder mit. Kommt die Bestellung aus einem anderen Teil von Deutschland, aus Österreich oder der Schweiz, wird das Bett ebenfalls in Versandtaschen transportiert – mit der Bitte an den Kunden, sie zurückzuschicken. Döschner zufolge klappt das gut. „Die Kunden beweisen eigenen Einsatz, da sie außerhalb Berlins die Verpackungen zur Post bringen“, sagt er.

Otto und Tchibo waren positiv überrascht

Trotzdem weiß auch Döschner, dass es nicht ganz leicht ist, ein solches Mehrwegsystem aufzubauen. „Nachhaltige Verpackungen fordern Unternehmen mehr Aufwand ab, in Form von Kosten, Energie und Zeit.“ Auch Döschner musste anfangs kreativ werden. Denn die Taschen allein haben das Holz nicht ausreichend geschützt. Deshalb hat er Alternativen zu Styropor und Plastik gesucht. Seine Lösung sind Filzdecken sowie Ecken aus Holz mit Korkeinlagen.

Als Kleinunternehmer gelingt es Döschner also durchaus, seine Waren nachhaltig zu verschicken. Doch ist das auch eine Lösung für die Masse? Döschner ist da skeptisch. „Der Logistikmarkt ist bisher leider nur auf Wegwerfverpackungen ausgelegt.“

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Das spüren auch die großen Onlinehändler. Dabei haben sie in ersten Tests durchaus gute Erfahrungen mit den Mehrwegverpackungen gemacht. Erst vor einigen Wochen haben Otto und Tchibo zusammen mit dem kleineren Avocadostore ein Pilotprojekt abgeschlossen. 15000 Waren – von Kleidung bis Staubsaugerbeuteln – haben sie in wiederverwertbaren Taschen versandt. Von dem Ergebnis war man bei Otto und Tchibo positiv überrascht: Die Kunden haben freiwillig 75 Prozent der Verpackungen zurückgeschickt. Und das obwohl sie im Test dafür keinen Pfand zurückbekommen haben und sich bei der Bestellung nicht bewusst für oder gegen die Mehrwegverpackung entscheiden konnten. „Dafür finde ich das sehr gut“, sagt ein Otto-Sprecher. „Wir hatten mit einer geringeren Rücksendequote gerechnet.“

Auch Till Zimmermann, der für das Institut für Ökologie und Politik das Projekt wissenschaftlich begleitet hat, ist mit dem Testergebnis zufrieden. Er sagt aber auch: „Damit die Mehrwegverpackung unter Umweltaspekten tatsächlich deutlich besser abschneidet als die Einwegverpackung, bräuchte man Rücklaufraten von 80 bis 90 Prozent.“ Die Kunden müssten also noch sehr viel mehr der wiederverwendbaren Taschen zurückschicken. Tun sie das nicht und landet die Mehrfachverpackung stattdessen im Müll, ist der Umwelt kaum geholfen. Auch muss die Versandtasche je nach Transportweg drei bis sieben Mal eingesetzt werden, damit die Ökobilanz besser ausfällt als etwa bei einem Plastikbeutel, in dem Onlinehändler häufig Kleidung verschicken.

Kunden wünschen sich mehr Nachhaltigkeit

Dabei ist das Interesse der Verbraucher an Mehrweglösungen durchaus da. So ergab eine Umfrage, die Tchibo parallel zum Test durchgeführt hat: Die Nachhaltigkeit ist den Kunden bei der Verpackung sogar noch wichtiger als der Schutz des Produkts. Eine große Mehrheit von ihnen wäre demnach auch bereit, für die Mehrwegverpackung eine Pfandgebühr zu zahlen. Drei Euro fänden die meisten von ihnen in Ordnung.

Trotzdem wird es bei Otto und Tchibo zumindest vorerst bei dem Test bleiben. Ein flächendeckender Einsatz der Mehrwegbeutel ist bislang nicht geplant. Das gilt auch für den Berliner Onlinehändler Zalando, der eine wiederverwendbare Verpackung ebenfalls bereits getestet hat. Eine Sprecherin sagt zwar: „Mehrwegversandverpackungen sind sehr interessant für uns und wir beschäftigen uns kontinuierlich damit.“ Wann und ob sie aber in der Breite zum Einsatz kämen, würden die nächsten Jahre zeigen. Statt auf die wiederverwendbaren Verpackungen setzt Zalando derzeit eher auf Recyclingmaterial.

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Forscher Zimmermann kann die Zurückhaltung der Konzerne aus betriebswirtschaftlicher Sicht verstehen. „Mehrwegverpackungen bedeuten aktuell noch Mehrkosten“, sagt er. „Für viele Onlinehändler ist das derzeit keine Option.“ Stellen sie den Kunden den Rückversand in Rechnung, könnten die auf die Konkurrenz ausweichen, bei der die Waren ohne Zusatzkosten geliefert werden. Erheben sie hingegen keine Gebühr, schmälert das ihren Gewinn, weil sie selbst die Kosten übernehmen müssen.

Die Umweltministerin hat das Thema erkannt

Zumal die Mehrwegverpackung nicht nur in der Anschaffung kostet. Sie muss auch zurücktransportiert und gereinigt werden. Und gerade letzteres war im Test zum Teil gar nicht so einfach. Bei Retouren haben Kunden zum Beispiel die Verpackung mit viel Klebeband umwickelt, dessen Rückstände erstmal wieder entfernt werden mussten.

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Allein aufgrund dieser höheren Kosten scheint ein Einsatz von Mehrwegverpackungen in der Breite derzeit unrealistisch – es sei denn, die Politik greift ein. Das zumindest fordern die Grünen. „Überall dort, wo Mehrwegprodukte ökologisch vorteilhaft sind, müssen sie einen gesetzlich verankerten Vorrang vor Einwegprodukten haben“, meint Bettina Hoffmann, Grünen-Sprecherin für Umweltpolitik. Ihrer Ansicht nach sollte das auch für den Versandhandel gelten. „Wir warten schon lange darauf, dass die Umweltministerin eine gesetzliche Grundlage schafft, um Versandpakete in benutzerfreundliche Mehrwegsysteme zu überführen“, sagt sie.

Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat das Thema durchaus erkannt. Sie erhofft sich weitere Erkenntnisse aus dem Forschungsprojekt von Wissenschaftler Zimmermann, in dessen Rahmen auch Otto und Tchibo ihren Kunden Waren in Mehrwegbeuteln zugeschickt haben. „Mit Blick auf die Abfallvermeidung müssen Maßnahmen ergriffen werden, um den Mehrweganteil zu steigern“, sagt eine Sprecherin von Schulze. Sie schränkt allerdings ein: Man könne Onlinehändler kaum zum Einsatz von wiederverwendbaren Taschen zwingen. Das gehe allein rechtlich nicht: „Einer gesetzlichen Pflicht, bestimmte Verpackungen zu verwenden, stünde das europäische Recht entgegen.“

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