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Von Nahem betrachtet:  Christine Lagarde wird am Donnerstag die erste Pressekonferenz in diesem Jahr geben.

© imago images/Xinhua

Vor der Ratssitzung der EZB: Was die neue Chefin Christine Lagarde vorhat

Die Europäische Zentralbank will nach 16 Jahren ihre Strategie überprüfen. Für Chefin Christine Lagarde könnte das zur Bewährungsprobe werden.

Christine Lagarde genießt Sympathien. Sie zeigt sich in Frankfurt am Main. Mit Bundesbank-Präsident Jens Weidmann schaut sie sich die neue Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) die aktuelle Van Gogh-Ausstellung im Städel-Museum an und ist begeistert. Beim Neujahrsempfang der Stadt im Römer hält sie – zum Teil auf Deutsch – eine launige Rede. Sie lobt Frankfurt als „offen, vibrierend und ehrgeizig“, als Vorbild für die Europäische Zusammenarbeit. Applaus ist der Französin sicher. Auch in der EZB kommt sie gut an. Doch dort steht ihr die Bewährung noch bevor.

16 Jahre lang hat die Zentralbank ihre Strategie nicht auf den Prüfstand gestellt. 16 Jahre, in denen sich das Umfeld massiv geändert hat. In der achtjährigen Amtszeit von Mario Draghi bis Ende Oktober vergangenen Jahres hat es nicht eine einzige Zinserhöhung gegeben. Dafür hat die Notenbank den Leitzins auf null, den Einlagezins für Banken mit minus 0,5 Prozent sogar ins Negative gedrückt und über Anleihekäufe mehr als 2,6 Billionen Euro in den Markt gepumpt, um die Banken zur Vergabe von mehr Krediten anzuregen. Die Erfolge sind überschaubar, die Zinsen weiter im Keller und die EZB kauft nach einer kurzen Pause seit Dezember wieder Staatsanleihen. „Die EZB steckt in einer Sackgasse“, sagt Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Das würde Lagarde so natürlich nicht formulieren, aber sie hält eine grundlegende Strategie-Überprüfung für angebracht.

Bis Jahresende soll die Überprüfung abgeschlossen sein

Die soll noch im Januar beginnen, Details könnte die Französin am Donnerstag auf ihrer ersten Pressekonferenz in diesem Jahr nennen. Sie will die Analyse zum Jahresende abgeschlossen haben. Im Führungsgremium der EZB und im Rat findet sie dafür Unterstützung. „Aus meiner Sicht wäre es sinnvoll, die Erfahrungen mit dem operationalen Ziel ebenso zu evaluieren wie die Instrumente“, sagt die neue deutsche EZB-Direktorin Isabel Schnabel. Dabei würde die wichtige Aufgabe der ehemaligen Wirtschaftsprofessorin berührt – die Umsetzung der Geldpolitik und damit auch die Anleihekäufe. Das ehemalige Mitglied des Sachverständigenrates sagt aber auch: „Mit der Überprüfung der Geldpolitik wird es nicht zu einer ganz anderen Geldpolitik kommen. Viele Dinge haben sich ja bewährt.“

Längst, das zeigen die Aussagen Schnabels, hat die Debatte darüber begonnen, was die Überprüfung beinhalten sollte und welche Ergebnisse sie liefern könnte. „Die Meinungen im Rat über den Änderungsbedarf gehen weit auseinander. Es droht ein Patt“, sagt Commerzbank-Ökonom Michael Schubert, einer profunder Beobachter der EZB. Es werde jeder Stein umgedreht, hatte Lagarde im Dezember gesagt. Für die EZB-Experten ist das eine Mammutaufgabe: 2003 hatten sie für dem Rat Studien im Umfang von fast 340 Seiten vorgelegt.

Auch das Inflationsziel könnte angepasst werden

Klar ist: Die EZB kämpft vor allem mit dem Problem, dass die Inflation trotz ihrer äußerst großzügigen Geldpolitik deutlich hinter ihrer Vorgabe von knapp zwei Prozent zurückbleibt. 2019 lag sie bei 1,2 Prozent, in diesem Jahr soll sie, so die EZB-Projektionen, auf nur noch 1,0 Prozent sinken und 2021 wieder auf 1,5 Prozent steigen. Damit wird die Marke von knapp zwei Prozent auch in den nächsten beiden Jahren nicht erreicht. Die einen im Rat wie Österreichs Notenbank-Chef Robert Holzmann befürworten deshalb eine niedrigere Inflationsvorgabe von 1,5 oder sogar nur 1,25 Prozent. Andere ein Band um das aktuelle Ziel herum, um so mehr Flexibilität zu gewinnen. Geschäftsführer Christian Ossig vom Bankenverband plädiert für eine Spanne von ein bis zwei Prozent. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann will an der Marke von knapp zwei Prozent festhalten.

Wieder andere wie der finnische Notenbank-Chef Oli Rehn und EZB-Chef-Ökonom Philipp Lane sehen das ähnlich. Sie haben eine „temporäre Preisniveau- Steuerung“ im Blick: Bei einem Leitzins von Null und einer Inflationsrate von unter zwei Prozent, soll die EZB den Leitzins erst dann erhöhen, wenn die Inflationsrate länger über zwei Prozent liegt und damit die schwache Entwicklung davor quasi ausgleicht.

Lagarde dürfte sich alle Optionen offenhalten

Commerzbank-Ökonom Schubert sieht einen möglichen Kompromiss darin, dass die EZB das Ziel „schlicht auf zwei Prozent“ festlegt. Das sei dann auch für die Öffentlichkeit leichter nachzuvollziehen. Und würde es Lagarde einfacher machen, die Geldpolitik gerade in Deutschland verständlicher darzulegen. Genau das hat die neue EZB-Präsidentin zu einer ihrer zentralen Aufgaben erklärt. Schubert erwartet aber nicht, dass die EZB ihren Instrumentenkasten quasi ausmisten wird. Sie werde sich weiter alle Optionen erhalten wollen, auch den Kauf von Staatsanleihen.

Neu-EZB-lerin Schnabel hatte sich vor ihrer Berufung in das Direktorium skeptisch zu den Anleihekäufen geäußert. Und dabei auf mögliche negative Nebenwirkungen verwiesen. Lagarde will die freilich verstärkt in den Blick nehmen. Schubert – wie andere Ökonomen auch – erwarten allerdings nicht, dass die EZB Helikoptergeld und damit die Verteilung von Geld direkt an Verbraucher und Unternehmen in Erwägung ziehen wird, um dadurch den Konsum und die Investitionen anzukurbeln.

Unabhängig von der Strategie-Überprüfung wird die EZB erst einmal bei ihrem Kurs bleiben. Volkswirte sind sich einig, dass der Leitzins in diesem Jahr bei null Prozent verharren wird und die Anleihekäufe weiterlaufen. Zumal Lagarde im Dezember gesagt hat, dass die Zinsen noch lange auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben – oder sogar gesenkt werden.

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