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Finanzkrise: Von Japan lernen

Das Land hat seine eigene Finanzkrise hinter sich. Die Banken sind sauber – trotzdem herrscht Sorge über die weitere Entwicklung.

Donnerstag war ein schwarzer Tag an der Börse von Tokio. Die Kurse rauschten so stark in den Keller wie seit dem Crash von 1987 nicht mehr. Doch die Reaktionen fielen gelassen aus. „Der massive Ausverkauf an der Wall Street hat eine weitere Verkaufswelle in Tokio ausgelöst“, sagte Analyst Kazuki Miyazawa von der Daiwa-Bank lapidar. Auch die Pleite des Lebensversicherers Yamato eine Woche zuvor hatte keine Panik ausgelöst.

Amerika ist schuld, unsere Banken sind sauber – diese Haltung schlägt einem in Japan ständig entgegen. Denn das Land hat seine eigene Finanzkrise hinter sich. Bereits Anfang der 90er Jahre platzte eine Immobilienblase, die den Banken die Bilanzen zerschoss und das Land in jahrelange Stagnation führte. Eine Ursache war, dass die Regierung erst nach acht, neun Jahren eingriff und Banken vor der Pleite rettete – die USA und Europa haben für ihre Rettungspakete wenige Wochen gebraucht.

Takahide Kiuchi, Chef-Volkswirt der Nomura-Bank, die gerade Lehman-Reste kauft, begrüßt das. „Man muss gleichzeitig Problemkredite aufkaufen und Eigenkapital zur Verfügung stellen. Das ist die Lehre aus Japan.“ Allerdings müssten die Staaten die Rettung großer internationaler Banken koordinieren. „Land für Land – das funktioniert nur bei kleinen Instituten.“

Die Erinnerung an die eigene Finanzkrise ist wach. „Bis heute haben wir tiefe Narben in unserer Wirtschaft“, sagt Nobukatsu Kanehara, ein hochrangiger Beamter des Außenministeriums. Japan habe zu lange gewartet, um aktiv zu werden. „Aber es hilft nichts: Man muss die faulen Kredite herausschneiden, um Vertrauen zu gewinnen. Es ist wie mit Fleisch. Schlechtes und gutes Fleisch wurden zusammen verkauft. Jetzt will niemand mehr Fleisch haben.“ Japans Banken seien nach der Rosskur zwar gegen die aktuelle Finanzkrise gefeit. „Aber die zweite Welle trifft uns. Uns erwartet eine echte Krise, wenn Amerika hart getroffen wird“, befürchtet Kanehara.

Japan, nach den USA die größte Volkswirtschaft der Welt, wird in Deutschland inzwischen weniger stark wahrgenommen als China oder Indien. Dabei ist das Bruttoinlandsprodukt des Landes immer noch so groß wie das der beiden Schwellenländer zusammen. Und Japan ähnelt Deutschland in vielen Dingen: Die Wirtschaft ist mittelständisch strukturiert, Hochtechnologie spielt eine große Rolle, die Autobranche und der Maschinenbau sind stark, und der Exportanteil ist hoch.

Mancher Unternehmer in Japan empfindet Angst vor der zweiten Welle der Krise. „Unter optimistischen Annahmen gehen unsere Aufträge 20 bis 30 Prozent zurück“, sagt Kunihiro Ohta, Chef von Tamachi, einem Spezialisten für Motorsporttechnik mit gut 100 Mitarbeitern, der für Toyota und andere Kunden aufwendige Prototypen und Kleinstserien produziert. „Direkt trifft uns die Finanzkrise nicht, weil wir uns nicht in Amerika finanzieren. Aber unsere Kunden geraten in Schwierigkeiten.“ Zwei Töchter hat er, den dreijährigen Enkel wünscht sich der schmale 62-Jährige einmal an der Spitze der Firma, die er in dritter Generation führt. Doch in Kürze will er die Führung erstmal an seinen Werksleiter übergeben. „Mein Nachfolger ist aggressiv und energisch gegenüber den Kunden. Er hat einen anderen Charakter.“

Auch ein Großkonzern wie NEC muss kämpfen. „Das Problem wird größer und größer, und das Ende ist noch nicht in Sicht“, sagt Senior Vice President Kunitomo Matsuoka. Für den IT-Konzern – 1899 gegründet, 150 000 Mitarbeiter – machen die schwächelnden Regionen Europa und Amerika rund die Hälfte des Auslandsgeschäfts aus. Nomura-Volkswirt Kiuchi sieht die Antwort für Japans Exportwirtschaft in China. „Die USA und Europa geraten gleichzeitig in eine Rezession. Aber Japan hat einen Wachstumsmotor in der Nachbarschaft“, sagt er. Doch der NEC-Manager ist wegen langer Rechtsstreits mit chinesischen Stellen skeptisch. „In den letzten 20 Jahren waren wir süchtig nach dem chinesischen Markt. Jetzt müssen wir uns wieder stärker auf das Inland konzentrieren.“

Für den Außenpolitiker Kanehara, der den G-8-Gipfel im Sommer in Toyako vorbereitet hat, ist China viel mehr als ein Handelspartner. Deswegen sei man auch nicht allzu glücklich über die amerikanischen Ermahnungen, Japan möge auf die Demokratisierung Chinas hinwirken. „Wir können uns diesen Luxus nicht erlauben. Es sind unsere Nachbarn, und sie sind es seit Jahrtausenden.“ Für ihn steht Asien am Anfang einer gemeinsamen Emanzipation, die Japan eine führende Rolle beschert. „Asien war wie ein Kino. Der Film war amerikanisch, und alle haben im Dunkeln gesessen“, sagt der Stratege des Außenministeriums. „Aber die Dinge haben sich geändert. Das Licht ist angegangen, und die Menschen im Saal sprechen miteinander.“

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