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Ausgemustert. Kurz vor Fußballmeisterschaften häufen sich bei den Versicherern die Schadensmeldungen über Unfälle mit Fernsehern.

© Imago

Versicherungsbetrug: Viele Fernseher gehen ausgerechnet zur EM kaputt

Ein Milliardengeschäft: Mit welchen Tricks Kunden versuchen, ihre Versicherung zu betrügen, und was die Unternehmen dagegen tun.

Immer wenn sich die besten Fußballer der Welt zur Europa- oder zur Weltmeisterschaft treffen, werden die deutschen Versicherer noch wachsamer als sonst. „Viele Menschen wollen sich neue Fernsehgeräte anschaffen“, weiß Günter Selentin, Schadensexperte der Feuersozietät Berlin Brandenburg. Doch zahlen sollen möglichst andere. „Die auffälligen Schadensmeldungen haben vor der Fußball-Europameisterschaft zugenommen“, berichtet Selentin: „Fernseher fallen herunter, Controller von Spielkonsolen fliegen in den Bildschirm.“ Schuld ist immer jemand anderes: ein Freund, ein Nachbar, ein Bekannter, der – welches Glück – eine private Haftpflichtversicherung hat, die für den Schaden aufkommt.

„Die Mehrheit der Versicherten ist ehrlich“, betont Selentin. Doch gerade bei Fernsehgeräten häufen sich die auffälligen Schadensmeldungen. Der Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) hat knapp 1800 Schadensmeldungen für TV-Geräte untersuchen lassen, im Schnitt 745 Euro wollten die Versicherungsnehmer von der Versicherung. Doch jede vierte Schadensmeldung war nicht plausibel, sagt Thomas Leicht, Vorsitzender der GDV-Kommission Kriminalitätsbekämpfung. Kurz vor der EM dürfte diese Zahl noch höher liegen.

Versicherer bilden Spezialistenteams

Die Versicherer rüsten auf. Sie fordern Bilder an und Beschreibungen, wie es zum Schaden gekommen ist. Bei Ungereimtheiten werden Gutachter eingeschaltet. Passt das Bild zur Schilderung? Geht ein Handy wirklich kaputt, wenn es auf den Boden fällt? War das Display vielleicht schon vorher zerbrochen? Die Feuersozietät hat gemeinsam mit der Konzernmutter, der Bayerischen Versicherungskammer, eine Spezialisteneinheit von zehn Mitarbeitern gegründet, die verdächtigen Fällen nachgeht.

„Versicherungsbetrug ist kein Kavaliersdelikt“, sagt Selentin. Wird der Betrug nachgewiesen, zahlt die Versicherung nicht für den Schaden und verlangt die Gutachterkosten zurück. Es drohen zudem die Kündigung des Versicherungsvertrags und eine Strafanzeige. Zudem wird der Kunde dem elektronischen System HIS gemeldet. Dort landen Versicherungsnehmer, die drei Schäden innerhalb von 24 Monaten gemeldet haben, oder Menschen, denen ein Betrugsversuch nachgewiesen worden ist. Seit Einführung des Systems Ende 2011 hat sich die Zahl der gemeldeten Personen von 800 000 auf nunmehr knapp 1,4 Millionen erhöht.

Tipps aus dem Internet

Manchmal gelingt die Überführung, manchmal auch nicht. Im Internet kursieren Tipps, wie man selbst verbockte Schäden über die Versicherung abrechnet. Die Regel: Ob Fernseher, Handy, Laptop oder Brille – immer hat sich vermeintlich jemand anderes draufgesetzt, das Gerät herunterfallen lassen oder war sonst irgendwie schuld. Die Privathaftpflicht, die in solchen Fällen einspringt, ist der Versicherungszweig, in dem Betrug besonders häufig vorkommt. Zehn Prozent aller Schadensmeldungen, so schätzt man in der Branche, sind merkwürdig, in der Privathaftpflichtversicherung sind es 15 Prozent. Häufig betroffen ist auch die Kaskoversicherung. Weil man nach einem selbst verursachten Schaden zurückgestuft wird oder über die Selbstbeteiligung zur Kasse gebeten wird, wird auch hier gern ein anderer Schadensverursacher vorgeschoben. „Beliebt ist das Nachbarskind, das mit der Schubkarre den Kratzer am Auto verbockt haben soll“, sagt Selentin. Die Spezialisten werden in solchen Fällen hellhörig und schauen sich die Sache näher an.

Imitate als Originale ausgegeben

„Für den Versicherungsbetrug zahlen die ehrlichen Kunden“, ärgert sich der Schadensexperte. Auf vier Milliarden Euro im Jahr schätzt der GDV das Ausmaß des Versicherungsbetrugs. 40 bis 50 Euro könnte jeder Haushalt im Jahr an Versicherungsbeiträgen sparen, wenn es keinen Versicherungsbetrug gäbe, glaubt Selentin. Getrickst wird nicht nur, was den vermeintlichen Täter angeht, sondern auch beim Schaden. Nicht selten werden den Versicherungen Imitate untergeschoben und als Originalware verkauft – besonders beliebt ist das bei Tablets und Smartphones. Der billige Nachbau für 50 Euro wird mit 800 Euro angesetzt, Originalrechnungen gibt es angeblich nicht. „War ein Geschenk“, heißt es dann meistens. Wenn die Versicherer den Betrug nicht nachweisen können, zahlen sie. Sonst nicht.

Manchmal machen es ihnen die Leute aber auch leicht. Selentin erinnert sich an einen Brief, in dem jemand seinem Freund Kevin minutiös beschrieben hat, wie der Fall angeblich gelaufen ist und was Kevin zu sagen habe. Blöderweise hat den Brief nicht Kevin bekommen, sondern die Versicherung.

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