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Der öffentliche Dienst muss in der Coronakrise vielfach digitaler arbeiten als bisher.

© Sebastian Gollnow(dpa) / Sebastian Gabsch

Verwaltung unter Druck: Wie die Coronakrise das Land digitalisiert

Die Flüchtlingskrise hat zu Innovationen in der Verwaltung geführt. Das könnte in der aktuellen Lage ähnlich sein. Denn Digitalisierung scheint alternativlos.

Die öffentliche Verwaltung ist eine Welt der Routine. Eine Welt, in der klar definierte Aufgaben seriell abgearbeitet werden. Das macht diesen Mikrokosmos besonders verlässlich und berechenbar, aber manchmal auch träge. Die Hauptaufgabe von Behörden ist es nämlich, Prozesse am Laufen zu halten – und nicht Innovationen aufzuspüren und sich zu modernisieren.

Anders ist das, wenn Krisen den öffentlichen Sektor erschüttern. Schmerz und hoher Druck haben in der Geschichte schon oft dazu geführt, dass Prozesse und Methoden überdacht wurden, dass man aus Alternativlosigkeit neue Wege gehen musste. Wie wird der öffentliche Sektor aus der Coronavirus-Krise herausgehen? Werden die Amtsstuben nachher digitaler als vorher sein? Tagesspiegel Background hat sich umgehört.

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„In unseren Organisationen sprechen wir schon lange davon, dass wir in einer volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt leben. Doch was das wirklich bedeutet, begreifen wir Menschen schlecht“, sagt Vincent Patermann. Die Coronavirus-Krise führe das nun allen „auf die harte Tour“ vor Augen. „Das Coronavirus zeigt der öffentlichen Verwaltung ihre digitalen Grenzen auf. Es gibt zu wenige Laptops für Homeoffices und zu wenige einheitliche Tools – etwa für Videokonferenzen.“ Dieser Lernprozess könne Leben kosten, schrieb er auf Twitter.

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Der 30-Jährige, der ursprünglich aus der Musikbranche kommt, ist Geschäftsführer des Next Netzwerks. Ein Verein, in dem sich Mitarbeiter aus bereits über 30 Behörden zusammengetan haben, um die deutsche Verwaltung zu digitalisieren. Schirmherr ist der scheidende Bundes-CIO (IT-Beauftragter der Bundesregierung) Klaus Vitt.

Beschäftigt ist Patermann in der IT-Abteilung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Die Behörde und ihr Vize-Präsident, Markus Richter, gelten als Vorreiter in Sachen Digitalisierung der Verwaltung. Richter gründete das Next Netzwerk, war IT-Chef im BAMF und wurde vor drei Jahren zu Europas CIO des Jahres gekürt.

Hintergrund über das Coronavirus:

Wie kam es dazu? Das Krisenjahr 2015 habe Innovationssprünge ausgelöst, die bis heute anhielten, erzählen Beteiligte. Denn der große Druck habe möglich gemacht, was vorher unmöglich schien. In wenigen Wochen entwickelte Richters Team etwa gemeinsam mit Bundes- und Landesbehörden die Datenaustauschplattform „Asyl online“. Oft dauern IT-Projekte im deutschen Föderalismus Monate – wenn nicht sogar Jahre. Dafür war schlichtweg keine Zeit: Mit den alten Systemen wären die Herausforderungen der vielen Asylanträge nicht zu meistern gewesen.

Im BAMF gibt es zudem seit drei Jahren ein eigenes IT-Labor, in dem die agile Entwicklungsmethode Scrum in der Softwareentwicklung eingesetzt wird – in einer der ersten deutschen Behörden überhaupt.

IT-Flickenteppich in Deutschland

Auch eines der größten Verwaltungsprojekte der vergangenen Jahrzehnte wurde quasi im Jahr 2015 geboren, sagt Marc Reinhardt, Leiter Public Sector bei Capgemini in Deutschland: „Das Onlinezugangsgesetz (OZG) wurde vor dem Hintergrund der überforderten Verwaltungen in der Flüchtlingskrise auf den Weg gebracht.“ Das 2017 beschlossene Gesetz sieht vor, bis 2022 so gut wie alle Verwaltungsleistungen zu digitalisieren.

Wenn die Aktenberge nicht mehr zu schaffen sind, muss sich die Verwaltung etwas überlegen.
Wenn die Aktenberge nicht mehr zu schaffen sind, muss sich die Verwaltung etwas überlegen.

© Stephanie Pilick/dpa

Eine Mammutaufgabe, da Deutschlands öffentliche IT-Landschaft einem Flickenteppich gleicht. Die Ziele werden wohl nicht erreicht, es gibt mehr offene als gelöste Fragen – und dennoch: Durch das Gesetz ging ein Ruck durch Bund, Länder und Kommunen, was die Digitalisierung der öffentlichen Hand betrifft.

Kommen digitale Konferenzen gut an?

Jan-Ole Beyer ist einer, der es wissen muss. Als Chef des Digital Innovation Teams im Bundesinnenministerium (BMI) soll der die Verwaltung digital fit machen. Dass Krisen den Innovationsdruck erhöhen, könne er aktuell beobachten. Sein Team hatte zum Beispiel schon vor dem Coronavirus darüber nachgedacht, eine rein digitale Konferenz zu veranstalten. Bisher war er unsicher, wie eine solche Idee angenommen würde.

„Nun werden digitale Formate für einige Zeit unabdingbar sein und wir haben schon einige Anfragen erhalten, ob wir Ideen haben, wie große Veranstaltungen digitalisiert werden können“, erzählt er im Gespräch mit Tagesspiegel Background. Aus der Not heraus wird bereits umgedacht, ein Wandel scheint alternativlos zu sein, will man den Betrieb aufrechterhalten.

Das wundert Nils Hoffmann nicht. Bis vor kurzem arbeitete er selbst noch im öffentlichen Dienst – als Chef des Innovationslabors GovLab Arnsberg in Nordrhein-Westfalen. Jetzt leitet er ein Programm, das Start-ups mit der Verwaltung zusammenbringen soll. „Definitiv gehören Schmerzen in der Verwaltung zu den großen Treibern, wie in jeder anderen großen Organisation auch“, sagt er. Und diese Schmerzen treten eben immer auf, wenn eingeübte Prozesse nicht mehr funktionieren. Genau das passierte 2015 – und das passiert auch nun wieder.

Auch wenn Krisen den Handlungsdruck erhöhen, gebe es noch andere wichtige Faktoren, ergänzt Jan-Ole Beyer: „Innovation ist eine Frage der Kultur, des Mindsets und des Bewusstseins von Organisationen und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.“ Denn letztendlich hänge alles an konkreten Personen auf konkreten Positionen. Und diese, so auch Marc Reinhardt, müssten Entscheidungen treffen: „Ein starker politische Wille ist in der Lage, Politik mit Weitblick auch abseits von Krisen zu gestalten.“

Die Verwaltung wird nachhaltig verändert aus der Krise herausgehen, das hofft zumindest Vincent Patermann: „Wenn wir Corona dann einmal überstanden haben, wünsche ich mir, dass wir alle gelernt haben, was Agilität bedeutet.“

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