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Ohne Bremse. 2007 lagen die Schulden der Vereinigten Staaten noch bei rund 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Inzwischen dürfte das Defizit genauso hoch sein wie die Wirtschaftsleistung. Präsident Obama und Finanzminister Geithner wollen nun gegensteuern.

© dpa

Drohender Staatsbankrott: USA treiben auf den finanzpolitischen Abgrund zu

Washington warnt vor der Pleite - aber das Land bleibt gelassen. Kern des Problems ist die dürftige Lage auf dem Arbeitsmarkt.

Die Warnung des amerikanischen Finanzministers Timothy Geithner vor dem nahen Staatsbankrott der USA hat rund um die Erde Unruhe ausgelöst und Milliarden Menschen – das darf man ohne Übertreibung sagen – um ihr Erspartes fürchten lassen. Der Dollar bleibt die wichtigste Reservewährung. In Ländern mit hoher Inflation und weicher Nationalwährung legen die Bürger, was sie übrig haben, bevorzugt in Dollar an.

Die USA dagegen reagierten gelassen. In den Medien spielte die düstere Prognose keine große Rolle. Sie interessieren sich für die Personalwechsel im Weißen Haus, den verschärften Machtkampf im Kongress, wo nun die Republikaner die Mehrheit haben, sowie den Theaterdonner um die bescheidenen Kürzungen im Militäretat und die Drohung der Konservativen, Präsident Obamas Gesundheitsreform rückgängig zu machen: ein Wahlversprechen, das freilich zum Scheitern verurteilt ist. Hätten sie Erfolg, würden sie die Budgetkrise im Übrigen um weitere 230 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren verschärfen. Die Reform ist langfristig kein Kostentreiber, wie sie behaupten, sondern ein Kostendämpfer.

Amerikas Ignoranz gegenüber den Dollarsorgen der übrigen Welt ist einerseits verständlich, andererseits erschreckend. Verständlich, weil auch Geithners Warnung nur Theaterdonner im innenpolitischen Kampf ist. Der Staatsbankrott wird nicht eintreten. Die USA gelten weiter als kreditwürdig. China und andere leihen ihnen gerne. Das wissen auch die Märkte. Am Tag nach Geithners Brandbrief stieg der Dollar gegenüber dem Euro.

Den USA droht vielmehr eine partielle Zahlungsunfähigkeit wegen der Fesseln, die sie sich selbst auferlegt haben. Sobald sie die gesetzliche Schuldenobergrenze erreicht haben, dürfen sie keine neuen Schulden aufnehmen, um alte Schulden zu bedienen. Sie müssen dann Ausgaben kürzen. Selbst dann würde also kein Bankrott im üblichen Sinn eintreten. Die USA würden Tilgung und Zinsen bedienen, müssten aber andere Ausgaben streichen. Unter Bill Clinton bekamen die Pensionäre kurzzeitig die Grundrente (Social Security) nicht mehr ausbezahlt.

Es gibt einen simplen Ausweg. Obama und Republikaner verhandeln seit Wochen darüber. Der Kongress muss nur beschließen, die gültige Schuldenobergrenze von 14,3 Billionen Dollar anzuheben. Die wird nach jetziger Prognose im Mai erreicht. Es bleiben vier Monate. So haben sich die USA seit zwanzig Jahren unter wechselnden Präsidenten aus der Bredouille befreit. Das ist die erschreckende Seite. Die Lage ist viel ernster, als Amerika sich eingesteht. Bisher wurde stets dieser auf die Dauer unverantwortlich leichte Ausweg gewählt. 1990 lag die Obergrenze bei drei Billionen Dollar. Parallel zum Schuldenberg stieg sie unter Bush senior auf vier, unter Clinton auf sechs, unter Bush junior auf zwölf und unter Obama auf 14,3 Billionen Dollar.

Jedes Mal gab es gute und angeblich vorübergehende Gründe, voran unerwartete Ausfälle von Steuereinnahmen wegen Wirtschaftskrisen. Oder angeblich unvermeidliche Ausgabenexplosionen durch Kriege und Konjunkturprogramme. Im Haushaltsjahr 2010 betrug das laufende Defizit 1,3 Billionen Dollar, etwa neun Prozent des BIP. Die für Mai erwarteten Gesamtschulden von 14,3 Billionen Dollar entsprechen 100 Prozent des BIP. Zum Vergleich: Die Euro-Stabilitätskriterien erlauben drei Prozent laufendes Defizit und 60 Prozent Gesamtschulden. Den Zahlen nach ist Amerika dramatischer verschuldet als die Euro-Pleitekandidaten Portugal oder Spanien. Doch der dynamischen US-Wirtschaft traut man eher zu, die Schulden zurückzuzahlen.

Acht Millionen Jobs sind in der Krise verloren gegangen. Um das Budget auszugleichen, muss Amerika sie zurückgewinnen. Oder sparen. 2010 entstanden netto nur 1,1 Millionen neue Jobs. Republikaner und Demokraten verfolgen gegensätzliche Ideologien. Die Konservativen wollen bei Staatsapparat und Sozialausgaben kürzen. Sie propagieren die Selbstverantwortung der Bürger und setzen auf Budgetsanierung durch einen Aufschwung, den die Regierung durch Steuersenkungen anstoßen soll. Die Demokraten wollen beim Militär sparen, den bescheidenen Sozialstaat verteidigen und Steuern erhöhen. Nun wird gepokert, wem die Bürger die Schuld gäben, wenn es zum Äußersten käme. Das Lager wird nachgeben.

An die drei Ausgabenblöcke mit dem höchsten Sparpotenzial – Verteidigung, die staatliche Grundrente und die staatliche Gesundheitsversorgung (Medicare) für alle über 65 Jahren – trauen sich die Politiker bisher nicht heran. Amerikaner sind stolz auf ihr Militär. Das Land gibt 553 Milliarden Dollar dafür aus plus die laufenden Kosten im Irak und in Afghanistan: in der Summe mehr, als die Verteidigungsetats der folgenden 25 Staaten zusammen. Selbst kleine Kürzungen im Leistungskatalog von Social Security und Medicare würden mittelfristig hohe Einsparungen bewirken. Auch die US-Gesellschaft altert. Senioren sind aber die Gruppe mit der höchsten Wahlbeteiligung. Unter Clinton lenkten die Republikaner ein, als die Rentenschecks ausblieben, und erlaubten höhere Schulden.

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