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Immer online. Mehr Menschen ziehen daraus weniger Nutzen.

© IMAGO/photothek.de/Ute Grabowsky

Digitalpessimismus feiert ein Comeback: Mehr Menschen nach Corona-Pandemie gestresst von Technologisierung

Die Pandemie hat die Digitalisierung im Alltag beschleunigt. Für manche Menschen vielleicht zu sehr, wie der jüngste Digitalindex der Initiative D21 nahelegt.

Während der Coronapandemie haben viele Menschen die Vorzüge der Digitalisierung zu schätzen gelernt. Essen bestellen, im Homeoffice bleiben, daran gewöhnten sich auch solche, die der Technik traditionell skeptisch gegenüber stehen. Jetzt aber scheint sich der Trend wieder umzukehren: Der Digitalpessimismus der Deutschen ist zurück.

Das geht aus dem Digitalindex der Initiative D21 hervor, der einmal im Jahr veröffentlicht wird. Eines der auffälligsten Ergebnisse dabei ist, dass es weniger Bürger:innen gibt, die noch das Gefühl haben, von der Digitalisierung zu profitieren – mit 55 Prozent der Befragten sind es knapp vier Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Die Unterschiede zwischen Jung und Alt (73 zu 21 Prozent), zwischen formal höher und niedriger Gebildeten (71 zu 37 Prozent) und zwischen Stadt und Land (60 zu 48 Prozent) sind groß. Auch zwischen den neuen und alten Bundesländern (45 zu 57 Prozent) herrscht eine große Kluft.

Zugleich steigt das Gefühl in einigen Bevölkerungsteilen, von der Digitalisierung gestresst zu werden. „Die verschlechterten Einstellungswerte sind es, die mir am meisten zu denken geben – dass weniger Menschen das Gefühl haben, von Digitalisierung zu profitieren, zugleich aber das Gefühl zunimmt, dass dieser Wandel sie unter Druck setzt“, erläutert die Autorin der D21-Studie, Sandy Jahn, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Nach einem starken „Corona-Effekt“, der den Bürger:innen die positiven Aspekte der Digitalisierung aufgezeigt hatte, sei man aktuell offenbar „eher in einer Art Übersättigung angekommen“.

In einer Art Übersättigung angekommen

Sandy Jahn, Autorin der D21-Studie

Auch was die Digitalisierung in den derzeit ohnehin von Personalmangel geplagten deutschen Schulen anbelangt, offenbart der Index eine große Schwäche: Demnach trauen nur 31 Prozent der Befragten dem hiesigen Schulsystem zu, die nötigen digitalen Fähigkeiten zu vermitteln, damit Schüler:innen international mithalten können – auch hier ist die Tendenz sinkend. Dies gehe weniger von den Schüler:innen als vielmehr von der Elterngeneration aus, erläutert Jahn.

Die Jugendlichen selbst zweifeln weniger an ihren digitalen Kompetenzen, aber fühlen sich laut der D21-Expertin oftmals isoliert im Umgang mit Digitalisierung. „Bei den Jüngeren sehen wir, dass sie sich durch ihre starke Exposition in sozialen Medien, ihre häufigere Konfrontation mit Desinformation im Netz, sich häufiger auf sich allein gestellt fühlen und sich aus dem digitalen Raum auch mal zurückziehen wollen“, erklärt Jahn. Hier brauche es mehr Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen in den Schulen, die über den Unterricht hinaus Betreuung bereitstellen bei Themen wie Cybergrooming, Desinformation, problematischen Körper- und Selbstbildern und auch Suchtverhalten.

Nachrichtenkompetenz und Resilienz nehmen zu

Für den Arbeitsmarkt gibt es hingegen positive Signale: Jeder und jede vierte Beschäftigte hat dem Index zufolge innerhalb eines Jahres Weiterbildungsangebote zum Erwerb digitalen Wissens genutzt. Was den möglichen Wegfall von Jobs durch Digitalisierung anbelangt, bezieht nur ein Fünftel der Beschäftigten dieses Risiko auf sich selbst. Kritisch gesehen wird jedoch auch, wie die Arbeitgeber dem digitalen Wandel begegnen: Insgesamt glauben nur 58 Prozent, dass diese die nötigen Schritte ergreifen, um in Zeiten der Digitalisierung mitzuhalten. Bei Menschen ohne Bürojob liegt dieser Wert gar bei nur 46 Prozent.

Verbessert hat sich die digitale Nachrichtenkompetenz in Deutschland. So glauben 60 Prozent der Bürger:innen, vier Prozentpunkte mehr als im Vorjahr, unseriöse Nachrichten im Netz erkennen zu können. Hier merkt Autorin Jahn aber an, „dass das vor allem bei Menschen mit höherer Bildung und bei Männern, aber auch Älteren und Menschen in den neuen Bundesländern der Fall ist – und dass es sich um eine Selbsteinschätzung handelt.“

55
Prozent der Befragten haben das Gefühl zu profitieren. Das sind knapp vier Prozentpunkte weniger.

Zwar stehen die Ängste rund um den Einfluss der Digitalisierung auf Demokratie und sozialen Zusammenhalt oftmals im Fokus, doch immerhin 56 Prozent sehen den digitalen Wandel als „eher positiv“ für die Demokratie. Demgegenüber sehen 64 Prozent Desinformationen – vor allem mit Blick auf massentaugliche KI-Anwendungen wie Deepfakes oder ChatGPT – als eines der größten Risiken für die Demokratie. Die Digitalisierung selbst wird jedoch nur von einem Fünftel der Befragten als eine Gefahr für die Demokratie gesehen.

Eine Verbesserung gab es auch bei der digitalen Resilienz, also den Fähigkeiten und Einstellungen von Menschen, um sich an Veränderungen durch Digitalisierung anzupassen. Gemessen an Basiskompetenzen im Umgang mit Digitalisierung – dazu zählen das Suchen mittels Suchmaschine oder das Erstellen von einfachen Texten in einer Textverarbeitungssoftware – ließen sich 64 Prozent der Befragten als resilient im digitalen Wandel erfassen. Positiv wird auch angeführt, dass sich 69 Prozent der Befragten innerhalb des letzten Jahres Wissen zu digitalen Themen angeeignet haben.

Mit Blick auf Menschen mit formal niedriger Bildung fällt dieser Wert deutlich geringer aus, hier haben im selben Zeitraum nur 39 Prozent digitales Wissen erlangt. Ein weiterer Aspekt, der für eine wachsende Spaltung in der deutschen Gesellschaft im digitalen Wandel spricht. Hier weist Studienautorin Jahn auch auf den Faktor der Initiative hin: So sehen 80 Prozent der höher Gebildeten eine gewisse Eigenverantwortung dafür, mit dem digitalen Wandel mitzuhalten, während dies bei den niedriger Gebildeten nur 63 Prozent so sehen.

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