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Fliegen oder nicht? Im Sommer sind Tausende Verbindungen wegen Personalmangels gestrichen worden.

© dpa/Peter Kneffel

Trotz Flugchaos im Sommer: Es bleibt wohl bei der Vorkasse

Viele Kunden warten noch immer auf ihr Geld. Beschwerden häufen sich. Doch der Justiz- und der Verkehrsminister halten an der Vorkasse fest.

Sabine Cofalla hat viel zu tun. Für Reisende ist das keine gute Nachricht. Denn an Sabine Cofalla und ihr Team von der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr (SÖP) wenden sich Menschen, auf deren Reisen etwas schief gegangen ist - etwa weil Fluggesellschaften Flüge abgesagt haben. Das ist im vergangenen Sommer häufiger passiert. Wie häufig, kann SÖP-Geschäftsführerin Cofalla an den Beschwerden ablesen, die bei der SÖP in Berlin eingehen.

Schlichtungsstelle: Drei Mal so viele Beschwerden wie 2021

Im August verzeichnete die Schlichtungsstelle 2593 Beschwerden von Kunden über Fluggesellschaften. Das ist fast das Dreifache des Vorjahres. Da 2021 aber coronabedingt wenig los war an den Flughäfen, ist ein Vergleich mit den Zahlen des Vorcorona-Jahres 2019 interessanter. Damals waren es im August 2112 Beschwerden von Fluggästen. Der Frust über die Airlines ist heute also deutlich größer und wird nur getoppt vom Chaosjahr 2020, als wegen Corona sämtliche Flüge abgesagt und die Kunden ihrem Geld hinterlaufen mussten.

Der Trend könnte sich bis November fortsetzen.

Sabine Cofalla, SÖP-Geschäftsführerin

Ein Ende der Beschwerdewelle ist nicht in Sicht. Im Gegenteil. „Wir gehen davon aus, dass uns auch in den nächsten Tagen zahlreiche Schlichtungsanträge erreichen“, sagte Cofalla dem Tagesspiegel. Für September rechnen die Schlichter mit 3205 neuen Fällen, auch in den Folgemonaten stellen sie sich auf viel Arbeit ein. „Der sich aktuell für September abzeichnende Trend könnte sich bis in den November hinein fortsetzen“, glaubt Cofalla.

Das ist plausibel. Denn Beschwerdefälle erreichen die SÖP oft mit einiger Verzögerung. Um die Schlichtung in Anspruch nehmen zu können, müssen sich die Kunden nämlich zuvor an die Airline gewandt haben. Erst wenn diese ablehnt oder sich zwei Monate lang nicht rührt, darf die SÖP tätig werden. Kommerzielle Internetportale wie Flightright sind schneller, nehmen dafür aber bis zu einem Drittel des Anspruchs als Provision. Die SÖP arbeitet für Verbraucher dagegen kostenlos.

Vor allem Lufthansa-Kunden sind betroffen

Die Beschwerdezahlen sind ein guter Seismograph für Probleme und Pannen im Luftverkehr. Viele Menschen haben das in den Sommerferien selbst erlebt. Wegen Personalmangels an den Flughäfen und in den Flugzeugen wurden Tausende Flüge abgesagt. Einsamer Spitzenreiter war die Lufthansa. So strich die Airline vom Anfang der Ferien im ersten Bundesland Nordrhein-Westfalen bis zum Ende der Ferien im letzten Bundesland Bayern insgesamt 2853 Flüge aus Europa - etwa doppelt so viele wie Easyjet und dreieinhalb Mal so viele Flüge wie Ryanair, hat Flightright ausgerechnet.

Das sind Ihre Rechte

Wird ein Flug annulliert, muss die Fluggesellschaft innerhalb von sieben Tagen den Ticketpreis erstatten. Bei kurzfristigen Absagen, die nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen sind, können Fluggäste zudem eine Entschädigungszahlung von 250 bis 600 Euro - je nach Länge der Strecke - verlangen. Doch viele Kunden warten deutlicher länger auf ihr Geld als sie müssten. Nach Flightright-Recherchen gilt das vor allem für Passagiere, die mit der Lufthansa fliegen wollten.

Verbraucherschützer: Die Vorkasse muss weg

Verbraucherschützer fordern daher, dass der Staat den Kunden helfen muss. Statt wie bisher im voraus für den Flug zu zahlen, sollen Reisende erst beim Check-in belastet werden - wenn klar ist, dass der Flug wirklich stattfindet.

„Eine vierköpfige Familie zahlt viel Geld für ihren Flug in den Urlaub im Voraus, hat aber keine Garantie, dass der Flug tatsächlich stattfindet“, sagte die Chefin des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Ramona Pop, kürzlich im Tagesspiegel-Interview. „Wird der Flug annulliert, muss sie auf die Erstattung warten und gleichzeitig neue Flüge buchen und bezahlen.“ Pop fordert, die komplette Vorkasse bei Flügen abzuschaffen. „Verbraucher sollen den Airlines nicht länger faktisch zinslose Kredite geben müssen“, meint Deutschlands oberste Verbraucherschützerin.

Verbraucherministerin Lemke prüft die Vorkasse

Das Land Niedersachsen hat nun Nägel mit Köpfen gemacht und einen entsprechenden Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht. Die Vorkasse, so fordert die rot-schwarze Koalition, müsse auf nationaler Ebene abgeschafft werden, zudem solle sich die Bundesregierung auch auf EU-Ebene für eine solche Reform stark machen.

Bundesverbraucherminister Steffi Lemke (Grüne) unterstützt Niedersachsen. Ihre Staatssekretärin Christiane Rohleder hat sich mit Vertretern von Fluggesellschaften getroffen und sie gewarnt. „In den Gesprächen haben wir gegenüber den Fluggesellschaften deutlich gemacht, dass, wenn dies keine gute Entwicklung nimmt, wir noch einmal die Vorkassepraxis überprüfen werden“, betonte ein Ministeriumssprecher.

„Ich habe noch einen Koffer in Berlin“, viele Reisende warten seit Monaten auf ihr Gepäck.

© dpa/Jonas Walzberg

Justiz- und Verkehrsministerium sind für die Vorkasse

Doch in der Bundesregierung hat Lemke bisher wenig Rückhalt. Denn anders als die Verbraucherministerin sehen die zwei anderen Ressorts, die an einer Reform beteiligt wären, keinen Handlungsbedarf. Sowohl das Justiz- als auch das Verkehrsminsterium verfolgen „derzeit keine Pläne, Vorauszahlungen bei Flugreisen gesetzlich einzuschränken“, betonen Sprecher beider Ministerien. Dass sich die beiden FDP geführten Häuser abstimmen, lässt sich daran ablesen, dass die Antworten beider Ministerien auf die Tagesspiegel-Anfragen praktisch wortgleich sind.

So argumentieren die FDP geführten Häuser

„Würde man Vorauszahlungen bei Flugreisen im deutschen Recht verbieten, könnten ausländische Fluggesellschaften eine solche Regelung durch Wahl eines anderen Rechts umgehen“, antworten der Sprecher des Justiz- und die Sprecherin des Verkehrsministeriums identisch. „Flugreisende würden in vielen Fällen also nicht profitieren. Außerdem würde eine solche Regelung zu Verzerrung des Wettbewerbs auf dem Flugreisemarkt führen.“

Auf einer Linie mit der Flugbranche

Genauso argumentiert die Luftverkehrsbranche. Eine Abschaffung der Vorkasse liege zudem nicht im Interesse der Verbraucher, gibt der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL), Matthias von Randow, darüber hinaus zu bedenken. Flüge würden teurer, weil die Airline einkalkulieren müsse, dass der gebuchte Sitzplatz unter Umständen frei bleibt und nicht mehr verkauft werden kann. Auch dieses Argument findet sich praktisch eins zu eins in den Antworten der Ministerien wieder. Die Handschrift des BDL ist unverkennbar.

„Zu erwarten ist ferner, dass ein Vorkasseverbot Flugtickets verteuern würde“, heißt es in den Antworten der beiden Ministerien auf die jeweiligen Tagesspiegel-Anfragen. Denn den betroffenen Fluggesellschaften entstünden zusätzliche Kapitalkosten, die sie an die Kunden weitergeben müssen. „Die bei frühzeitiger Buchung gewährten Preisnachlässe dürften bei einem Vorkasseverbot regelmäßig wegfallen. Für Flugreisende, die von Frühbucherrabatten profitieren, dürfte ein Vorkasseverbot also besonders nachteilig sein“, schreiben Justiz- und Verkehrsministerium übereinstimmend.

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