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Europa und die USA ringen um ihr geplantes Freihandelsabkommen.

© dpa

Transatlantisches Freihandelsabkommen: Einwände hier, Ängste dort

Auch in den USA gibt es Vorbehalte gegen das geplante Freihandelsabkommen TTIP. Verbraucherschützer dort halten ihre Lebensmittelstandards für höher.

Im „Capital Grill“ auf der Pennsylvania Avenue servieren sie imposante „Broiled Fresh Lobster“. Unter den Fleischgerichten empfiehlt der Chef ein „Dry Angus Porterhouse Steak“. Im „DC Coast“ auf der K Street in Washington steht das „Louisiana Seafood Gumbo“ auf der Speisekarte, der „Roseda Farms Black Angus Burger“ und, wie in jedem Restaurant in den USA, der „Ceasar Salad“. Wenn deutsche Verbraucher indes an das geplante transatlantische Handelsabkommen TTIP denken, dann steigen ihnen andere Bilder auf. Seit Verhandlungsbeginn denkt man eher an Chlorhühner, Hormonfleisch und Genmais.

In Europa wurden die Verhandlungen über das Abkommen von Protesten begleitet

In dieser Woche haben sich die Emissäre aus Europa und den USA zur sechsten Verhandlungsrunde in Brüssel getroffen. Beraten wurde, wie europäische Dienstleistungen und Investitionen auf den US-Markt kommen und wie einheitliche Hygieneregeln in der Landwirtschaft erreicht werden können. Die Verhandlungen wurden in Europa wieder mit Protesten begleitet. Um der Angst der deutschen Verbraucher vor dem zu begegnen, was mit TTIP auf sie zukommen könnte, verspricht Justizminister Heiko Maas aber, Verbraucherschutz dürfe „keine Verhandlungsmasse sein“. Und Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich ebenfalls festgelegt: „Es wird keinen Import aus Amerika von Chlorhühnchen geben.“ Was in der Diskussion aber vernachlässigt wird, ist, dass die USA in den vergangen Jahren den Schutz dessen, was gegessen werden soll, selbst erheblich verbessert haben. Manche Standards gehen über die europäischen hinaus. Und auch in den Vereinigten Staaten fürchten Verbraucherorganisationen einen Abbau dessen.

In den USA haben sich Farmer und Verbraucherschützern gegen TTIP formiert

Etwas außerhalb von Washington im Südwesten liegt Arlington. Wo in der amerikanischen Hauptstadt kein Gebäude höher aufragen darf als das Capitol, blickt man aus den Hochhäusern Arlingtons über den Potomac River auf das Machtzentrum der USA. Am 21. Mai fand hier die fünfte TTIP-Verhandlungsrunde statt. Vor dem Verhandlungsort protestierten Abgesandte aus 120 Gruppen gegen das geplante Abkommen. Umweltgruppen, Bürgerrechtsvereinigungen und Internetaktivisten hatten sich mit Farmern, Verbraucherschützern und Gewerkschaftern zusammengetan, um gegen die Freihandelszone zu mobilisieren. In einer gemeinsamen Erklärung warnte das Bündnis, TTIP werde zu einer „Hintertür der Deregulierung“. „Auf beiden Seiten des Atlantik“, erklärte die Sprecherin des Bündnisses, Gynnie Robnett, betrachte man das Projekt des freien Handels als Mittel, um Standards zu verhindern und abzubauen, „die die Luft, die wir atmen, schützen, das Wasser, das wir trinken und das Essen, das wir unseren Kindern geben“.

Die Zulassung von "Chlor-Hühnchen" steht auf dem Verhandlungsprogramm

Die Zulassung von mit Chlor und anderen Desinfektionsmitteln behandeltem Hühnerfleisch und das Abschaffen der Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln steht auf dem Verhandlungsprogramm, ebenso wie Fleisch von Tieren, die mit Wachstumshormonen behandelt wurden. US-Verbraucherschützer jedoch warnen auch vor „Gefahren für US-Standards“. Zu den Richtlinien, die infrage stehen, gehören nach einer Analyse des „Center for Food Safety“ etwa das Einfuhrverbot für Rindfleisch. Bislang gilt: Sollte in der Futterkette das Fleisch von Wiederkäuern verwendet worden sein, dann hat das Steak nichts auf dem amerikanischen Markt zu suchen. Stärker als Europäer fürchten US-Verbraucher Verunreinigungen durch Bakterien. Mit dem Einfuhrverbot soll die Gefahr von BSE eingedämmt werden. Lieber nehmen die US-Verbraucher da das Desinfektionsbad für Hühnchen in Kauf, das Koli- und andere Bakterien auf den Hähnchenteilen abtöten soll.

Die deutsche Lebensmittelindustrie ist verärgert über das US-Importverbot von Rindfleisch

Das Importverbot auf Rindfleisch, ebenso wie das etwa auf Rohmilchprodukte ist schon lange ein Ärgernis für die europäische Lebensmittelindustrie. Rohmilchkäse aus Frankreich zum Beispiel erfüllt für amerikanische Restaurants und Küchen nicht den Standard. Genau darüber wird jetzt im Rahmen von TTIP auch verhandelt. Der europäischen Milchindustrie ist zudem der US-Milch-Sicherheitsstandard „Grade A“ zu hoch. Europa fordert eine Angleichung auf dem europäischen Niveau. Nach Informationen der amerikanischen Lebensmittelschützer zielen die europäischen Verhandlungsführer auch auf Ausnahmeregeln bei der „Kaufe-Lokal-Politik“ amerikanischer Behörden ab. Dem Prinzip folgend werden zum Beispiel Schul- und Verwaltungskantinen in vielen Bundesstaaten und Städten von lokalen Farmern beliefert. Und während US-Firmen die Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln im Rahmen von TTIP zur Verhandlungsmasse addieren, gibt es in mehr als der Hälfte aller US-Bundesstaaten selbst gesetzliche Vorlagen, Gentechnik zu kennzeichnen. Die USA haben aber nicht nur ihre Standards, sondern auch deren Kontrolle verbessert.

Obama hat 2011 ein Gesetz für den vorbeugenden Lebensmittelschutz unterzeichnet

Am 4. Januar 2011 unterzeichnete US-Präsident Barack Obama das „Lebensmittel-Sicherheits-Modernisierungs-Gesetz“, den Food Safety Modernization Act. Was die Regierung als „umfassendste Reform unserer Lebensmittelsicherheitsgesetze in mehr als 70 Jahren“ lobt, ist der Versuch Amerikas, vorbeugenden Lebensmittelschutz einzuführen. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes war die US-Nahrungsmittelaufsicht (FDA) im Wesentlichen ein reaktiver Verein. Inzwischen ist die FDA zur Kontrolle entlang der kompletten Produktionskette eines Lebensmittels befugt. Eingeführt wurden die Nachweispflicht für durchgeführte Kontrollen und die FDA hat im Zweifel die Kompetenz, kontaminierte Nahrungsmittel ganz vom Markt zu nehmen. Diese Kompetenz bekämpfen europäische Konzerne vehement. Denn auch Lebensmittelimporte unterliegen zu weiten Teilen den verschärften Kontrollen durch die FDA. Der europäische Unternehmensverband „BusinessEurope“ nennt den FSMA unter den „größten Hindernissen für den Handel mit Lebensmitteln“.

EU-Handelskommissar De Gucht verteidigt das geplante Abkommen

Mit dem transatlantischen Freihandelsabkommen wollen die EU und die USA die größte Freihandelszone der Welt schaffen. Die Gespräche darüber waren vor einem Jahr gestartet. Vor dem Europaparlament in Straßburg verteidigte EU-Handelskommissar Karel De Gucht vergangene Woche TTIP. Die Debatte dürfe nicht „irrational und auf der Grundlage falscher Informationen“ geführt werden, sagte er. Es gebe keinen Grund zu Befürchtungen vor einer Aufweichung der EU-Vorschriften zur Lebensmittelsicherheit. Hormonfleisch und Chlorhühner aus den USA werde es auch in Zukunft nicht geben. Wer wissen wolle, was hinter verschlossenen Türen verhandelt wird, müsse nur in die Lesesäle amerikanischer Botschaften gehen. Dort erhalte jeder Zugang zu den Unterlagen. Die Ergebnisse der Verhandlungen würden zum Abschluss veröffentlicht, wobei das Europaparlament das letzte Wort habe. „Sie werden letztlich mit ihrem Votum über das Schicksal des TTIP entscheiden“, sagte De Gucht.

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