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Wirtschaft: Sozialreformen – erster Akt RENTE GESUNDHEIT PFLEGE

Rürup-Kommission legt Abschlussbericht vor / Regierung will nur Teile davon umsetzen

Berlin (ce/fo/hej). Unter scharfem Protest der Gewerkschaften und der Sozialverbände hat die RürupKommission am Donnerstag ihre Vorschläge für die Reform der Sozialsysteme vorgelegt. Die Arbeitgeber begrüßten die Empfehlungen dagegen als „richtig und wegweisend“. Sozialministerin Ulla Schmidt (SPD) kündigte an, nach „eingehender Prüfung und Beratung“ in den Koalitionsfraktionen einen Teil der Vorschläge umsetzen zu wollen. Noch im Herbst will sie ein Konzept zur Rentenreform vorlegen.

Während Schmidt die Gesundheitsreform „spätestens im nächsten Jahrzehnt“ auf den Weg bringen will, sind die Chancen auf eine Umsetzung der Vorschläge im Bereich der Renten- und der Pflegeversicherung besser. So sprach sich die Ministerin dafür aus, über einen Nachhaltigkeitsfaktor langfristig den Anstieg der Renten zu dämpfen. Noch umstritten ist in der rot-grünen Koalition dagegen die Anhebung der Regelaltersgrenze auf 67 Jahre. Bundesaußenminister Joschka Fischer (Grüne) forderte die Regierung auf, auch die Vorschläge der Rürup-Kommission zur Krankenversicherung aufzugreifen. In einem Handelsblatt-Interview schlug er ein mehrstufiges Gesundheitssystem vor, das aus einem Mix aus Bürgerversicherung und Kopfpauschalen bestehen soll. Alle Bürger sollten in eine Bürgerversicherung einzahlen, die aus einheitlichen Kopfpauschalen finanziert wird, sagte der Minister. Die Rürup-Vorschläge im Überblick:

Mehr Arbeit, weniger Geld

Einen Systemwechsel zu einer steuerfinanzierten Grundrente lehnt die Kommission ab. Die Experten setzen weiter auf die leistungsbezogene gesetzliche Rente. Die Vorschläge:

Das Rentenalter soll von 65 auf 67 Jahre in kleinen Schritten ab 2011 heraufgesetzt werden. Erst im Jahr 2035 wäre die Umstellung abgeschlossen. Lebenslange Weiterqualifizierung muss gefördert werden, meint die Kommission.

Der vorgezogene Renteneinstieg um drei Jahre ist weiter möglich unter Inkaufnahme von Abschlägen. Das mögliche Einstiegsalter soll parallel zur schrittweisen Erhöhung des Rentenalters auf letztlich 64 Jahre angehoben werden. Die Kommission empfiehlt, bei vorzeitigem Rentenbezug bei einem Abschlag von 0,3 Prozent pro Monat zu bleiben. Von der Abschlagsregelung dürfe es keine Ausnahmen geben – auch nicht für Versicherte mit besonders vielen Beitragsjahren.

Langjährige Versicherte mit mehr als 45 Beitragsjahren (auch unter Anrechnung von Kindererziehungszeiten) sollen stattdessen – unter Inkaufnahme entsprechender Abschläge – bis zu fünf Jahre früher in Rente gehen können.

Der Abschlag für Erwerbsminderungsrenten soll weiterhin maximal 10,8 Prozent betragen. Eine volle Erwerbsminderungsrente soll aber nicht mehr gezahlt werden, wenn aus gesundheitlichen Gründen nur eine Teilrente gerechtfertigt wäre, aber für die Versicherten keine entsprechenden Arbeitsplätze gefunden werden. Sonderregeln für Schwerbehinderte sollen komplett gestrichen werden.

Hinzu kommt eine neue Formel zur Berechnung der Rentenanpassung. Durch einen so genannten Nachhaltigkeitsfaktor wird die jährliche Rentenanpassung reduziert, wenn sich das Verhältnis von Rentnern zu Beitragszahlern zu Lasten der Zahlenden verändert. Durch den Faktor werden nach Meinung der Kommission die steigende Lebenserwartung, sinkende Geburtenraten sowie die Veränderung der Zahl der Erwerbstätigen berücksichtigt.

Die Riester-Rente als zusätzliche private Altersvorsorge soll gestärkt werden. Das Verfahren müsse vereinfacht, alle Steuerzahler förderberechtigt werden.

Zwei Modelle zur Wahl

Bei der gesetzlichen Krankenversicherung ist sich die Kommission nur in dem einig, was sie nicht will. Leistungskürzungen für ältere Versicherte soll es nicht geben, höhere Beiträge für Frauen , wie sie in der privaten Krankenversicherung üblich sind, lehnt die Rürup-Kommission ebenfalls ab. Zudem sei es familienpolitisch geboten, auch weiterhin einen Ausgleich zwischen Versicherten mit Kindern und Versicherten ohne Nachwuchs zu finden, heißt es in dem Gutachten. Das heißt: Kinder sollen auch weiterhin keine Kassenbeiträge zahlen müssen.

Nicht einigen konnte sich die Kommission jedoch auf ein gemeinsames Modell, wie die gesetzliche Krankenversicherung reformiert werden soll. Zwar wollen alle Experten die „beschäftigungsfeindliche“ Finanzierung der gesetzlichen Kassen über die Löhne beenden und die Einnahmen auf eine breitere Basis stellen, doch wie das geschehen soll, ist umstritten:

Bei der Bürgerversicherung, die der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach favorisiert, sollen alle Bürger – auch Selbstständige und Beamte – gesetzlich krankenversichert werden. Die Versicherungspflichtgrenze für einen Eintritt in die private Krankenversicherung wird aufgehoben, die Beitragsbemessungsgrenze – der Teil des Einkommens, für den Kassenbeiträge abgeführt werden müssen – soll von derzeit 3450 Euro auf 5100 Euro steigen. Bei der Bürgerversicherung wird nicht nur das Arbeitseinkommen zur Finanzierung der Kassen herangezogen, sondern auch Kapitalerträge oder Mieteinnahmen. Nach Berechnungen der Kommission würde dieses Modell den durchschnittlichen Beitragssatz von derzeit 14,4 Prozent kurzfristig auf 13,1 Prozent und langfristig auf 12,4 Prozent senken. Profitieren würden Haushalte mit einem Bruttoeinkommen von unter 40 000 Euro jährlich, alle anderen zahlen drauf.

Beim Modell der Kopfpauschale oder Gesundheitsprämie , das vom Vorsitzenden Rürup unterstützt wird, sollen statt einkommensabhängiger Beiträge feste Monatsprämien eingeführt werden. Nach dem derzeitigen Stand wären es rund 210 Euro pro Erwachsenem. Unterschiede zwischen den Kassen sind jedoch möglich. Der Arbeitgeberbeitrag soll dem Versicherten mit dem Lohn ausgezahlt werden, das Mitglied überweist dann die gesamte Prämie an seine Kasse. Versicherte mit geringem Einkommen sollen steuerfinanzierte Zuschüsse erhalten. Die Kopfpauschale würde Haushalte mit einem Jahreseinkommen von 40 000 bis 115 000 Euro entlasten, Haushalte im Einkommensbereich von 10 000 bis 40 000 Euro wären die Verlierer dieses Modells. Welchem Modell der Vorzug gegeben werden soll, müsse nun die Politik entscheiden, fordern die Gutachter.

Rentner sollen zahlen

Die 1995 eingeführte Pflegeversicherung soll zwar modernisiert, aber nicht grundsätzlich neu organisiert werden. So lehnen die Gutachter sowohl eine Finanzierung der Pflegeversicherung aus Steuermitteln als auch eine kapitalgedeckte, private Versicherung ab. Die Reformvorschläge:

Rentner sollen ab dem Jahr 2010 statt bisher 0,8 Prozent 2,6 Prozent ihrer Altersbezüge an die Pflegekasse abführen. Für den Standardrentner wären das 20 Euro im Monat mehr. Begründung: Nur wenn die Senioren mehr zahlen, kann der derzeit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber geltende Beitragssatz von 1,7 Prozent in der gesetzlichen Pflegeversicherung beibehalten werden. Und: Immerhin würden die Rentner auch vorrangig in den Genuss der ab dem Jahr 2005 verbesserten Pflegeleistungen kommen, meint die Kommission.

Arbeitnehmer und Arbeitgeber zahlen auch weiterhin gemeinsam 1,7 Prozent an die gesetzliche Pflegeversicherung. Davon sollen aber nur 1,2 Prozent der Pflegekasse zu Gute kommen, die restlichen 0,5 Prozent fließen auf „private Pflegekonten“, die bei den Rentenversicherungsträgern zentral geführt werden könnten. Im Rentenalter soll den Versicherten das auf diesen Konten angesparte Kapital als zusätzliche Rente ausgezahlt werden.

Pflegebedürftige: Die Pflegeleistungen sollen ab dem Jahr 2005 um 2,25 Prozent pro Jahr erhöht werden. Zudem sollen einheitliche Leistungssätze für die ambulante und die stationäre Pflege gelten – leichte Pflegefälle sollen künftig grundsätzlich eher zu Hause versorgt werden als im Heim. Die Leistungspauschalen will die Rürup-Kommission in der Pflegestufe I bei 400 Euro festsetzen, in der Pflegestufe II bei 1000 Euro, und für schwerst Pflegebedürftige (Stufe III) soll eine Pauschale von 1500 Euro gelten. Das Pflegegeld soll jeweils in der jetzigen Höhe erhalten bleiben. Demenzkranke sollen ab dem Jahr 2005 pauschal 30 Minuten mehr Pflegezeit zugebilligt bekommen.

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