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Doppelte Unterstützung. Im Rahmen des Hackathons der Bundesregierung hat Yannik Gassmann die App ErnteErfolg entwickelt, die Landwirte und Erntehelfer zusammenbringt. Im April half er dann gleich selber bei der Ernte.

© imago images/Bernd Friedel

Die Regierung lobt das Hackathon-Experiment: Sehnsucht nach Ideen

Das Projekt „WirVsVirus“ ist beendet – die Politik verspricht sich dennoch mehr von den Programmierern: "Beginn einer großen Reise"

Mit vielen warmen Worten hat die Bundesregierung die Tech-Initiative „WirVsVirus“ am Donnerstag in den Ruhestand verabschiedet. Sechs Monate nach dem Wochenend-Hackathon, in dem Zehntausende Freiwillige Tausende digitale Lösungen für die Herausforderungen der Corona-Krise konzipiert hatten, endete das Umsetzungsprogramm mit einem virtuellen „Demo Day“, den Bundeskanzlerin Angela Merkel am Abend mit einem Grußwort beschloss. „Einer Krise solchen Ausmaßes, wie sie mit der Corona-Pandemie einhergeht, können wir nur mit einem breiten Miteinander von Staat und Zivilgesellschaft wirksam begegnen“, ließ Merkel per Videobotschaft an Teilnehmer und Organisatoren verlauten.

"Beginn einer großen Reise"

Dabei war es keineswegs die Politik, die den Anstoß für das digitale Miteinander gab. Die Initiatoren waren auf die Regierung zugegangen. Der Begriff Hackathon war im Sprachgebrauch vieler Ministerien bis dato nicht einmal vorhanden. Umso größer scheint jetzt die Sehnsucht der Politik nach mehr Input zu sein. „Auch wenn wir heute im Finale sind, ist eines doch ganz klar: Das kann doch nicht alles gewesen sein. Aus meiner Sicht ist das der Beginn einer großen Reise", sagte Kanzleramtschef Helge Braun.

Projekte aus sieben Feldern

Was die Regierung so begeistert, waren Projekte aus sieben Themenfeldern wie Gesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung oder soziale Gerechtigkeit. Einige wurden am Donnerstag noch einmal vorgestellt: „Corona Begleitung“, ein digitaler Kanal für Sterbebegleitung; „Roomie2, ein grundschulgerechtes Lernportal oder „Commissura“, ein digitaler Kommunikationskanal für die Kinder- und Jugendhilfe. Ebenfalls präsentiert wurden die Corona-Informationsplattform „Dealog“ und „U:DO“, ein Assistent für den Kurzarbeitergeld-Antrag sowie „Facts for Friends“, ein Projekt gegen Desinformation. Ein wichtiger Schwerpunkt bildete zudem das Thema Gesundheit, dem mehrere Projekte angehören. Allen ist gemein, Staat und Gesellschaft in Krisenzeiten Werkzeuge an die Hand zu geben, um effizienter auf akute Herausforderungen reagieren zu können.

Auf dem Bildschirm eines Laptops ist der Binärcode zu sehen.

© picture alliance / Oliver Berg/dpa

Mit Beendigung des Umsetzungsprogramms wurden die 147 Projekte, die aus der Masse ausgesucht wurden, in die Selbstständigkeit entlassen. Sie müssen künftig eigene Wege finden, die Finanzierung langfristig zu sichern. Manche versuchen es über die Gründung eines Vereins, andere wählen das Crowdfunding.

Inspiration für die Politik

Zentrale Frage ist auch, ob sich die Bereitschaft auf beiden Seiten über den formellen Rahmen der Initiative bewahren lässt. Auf der einen Seite stehen Politik und Verwaltung, die sich mit innovativen Konzepten traditionell schwertun. Auf der anderen Seite Menschen mit hohem digitalen Sachverstand und unternehmerischer Dynamik. „Was WirVsVirus demonstriert hat und der Politik vielleicht zur Inspiration verhilft, ist die Tatsache, dass auch bei solchen Projekten zwangsläufig Dinge ins Leere laufen. Und wenn sie das tun, dann ist das auch völlig in Ordnung so“, sagt Mitinitiatorin Anna Hupperth.

Stift und Papier statt Software

Erfolgsrezept sei die niedrige Schwelle für alle Bürger gewesen, sich für ein dringendes gesellschaftliches Anliegen zu engagieren, betonen die Beteiligten. Ziel müsse es sein, diese niedrigen Schwellen zu bewahren. „Unser Anspruch muss sein, ein erfolgreiches Format wie WirVsVirus nicht nur fortzuführen, sondern auch agil weiterzuentwickeln“, sagte die Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, Dorothee Bär, dem Tagesspiegel. Problematisch sieht die CSU-Politikerin die Diskrepanz zwischen jenen, denen die Digitalisierung am Herzen liegt, und dem „großen Defizit über digitale Grundkenntnisse bei vielen Menschen“. Deshalb schlägt sie ein „Programm für Digitalbotschafter“ vor, das den Rahmen für einen gezielten Austausch setzen soll. Gemeint sind auch Mitarbeiter von Ämtern und Behörden. Die Praxis hat gezeigt, dass zu viele immer noch Stift und Papier einer Software vorziehen und damit die Prozesse verlangsamen, die zur schleunigen Bewältigung einer Krise initiiert werden müssen.

Überkomplexität blockiert

„Um international wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir in Deutschland insbesondere das Digitalisierungshindernis Überkomplexität pulverisieren und konsequent auf agile Verfahren setzen.“, sagt Ammar Alkassar, Bevollmächtigter des Saarlandes für Innovation und Strategie. „WirVsVirus hat gezeigt, wie das erfolgreich funktionieren kann, jetzt gilt es, dies in den Regelbetrieb zu überführen“. Das Saarland war das erste Bundesland, das sein Gesundheitswesen flächendeckend mit der Anti-Seuchen-Software Sormas des Helmholtz-Instituts in Braunschweig ausstattete. Die Brücke hatte das Projekt Imis geschlagen, das im Rahmen von WirVsVirus aus der Zivilgesellschaft heraus entwickelt wurde. „Wir brauchen in Zukunft mehr WirVsVirus, wir müssen als Staat die Fragen der Zukunft gemeinsam mit der Zivilgesellschaft angehen“, sagt Alkassar.

Angst vor Veränderung

Dazu gehört auch, die Türen für private Anbieter digitaler Konzepte auf kommunaler Ebene zu öffnen. Viele Start-ups haben in den vergangenen Jahren die kalte Schulter gezeigt bekommen von Ämtern und Behörden. Nicht immer böswillig, sondern oft auch aus Angst vor Veränderung. Und es bleibt auch die Frage, ob all die Entwickler und Tüftler, deren Input und Ideen Deutschland benötigt, ähnlich große Formate wie WirVsVirus auch in Zukunft annehmen. Denn Tausende, die ihre Ideen eingebracht hatten, erhielten keine Förderung und keine explizite Wertschätzung, die über die allgemeine Danksagung hinausging. Theresa Willem vom Projekt Digitales Wartezimmer ist hier optimistisch: „Ich glaube, jedem ist klar, dass auch von der Regierung geförderte Initiativen und hochkarätige Schirmherrschaften kein Garant dafür sind, dass eine Idee letztlich auch umgesetzt wird.“

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