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Von wegen günstig. Kunden, die einen Notdienst anrufen – vor allem im Bereich Rohrreinigung und Schlüsseldienst – laufen Gefahr, über den Tisch gezogen zu werden.

© Getty Images/iStockphoto

Schlüsseldienste, Rohrreinigung: So funktioniert die Abzocke mit Notdiensten

Zu hohe Rechnungen, dreiste Monteure, nicht auffindbare Firmen – in Deutschland wächst ein Betrügernetzwerk.

Mario Müller* schaut verärgert seine Küchenspüle an, in der Essensreste in einer milchigen Brühe schwimmen: Der Abfluss ist verstopft – und das ausgerechnet an einem Samstagmorgen. Müller, der am Stadtrand von Berlin lebt, sucht im Internet nach einem Notdienst-Klempner und findet viele Angebote. Er ruft eine Berliner Nummer an und eine freundliche Frauenstimme versichert ihm: Ein Handwerker wird in Kürze bei ihm sein. Müller fragt nach dem Preis, doch darüber könne die Frau am Telefon keine Auskunft geben.

Stunden vergehen. Endlich steht der Handwerker vor der Tür: ein stämmiger Mann in Jeans und Pulli, nicht in Arbeitskleidung. Auch sein Auto ist kein Dienstwagen, sondern ein ganz normaler PKW, ein Mietwagen, erklärt er. Werkzeuge hat er fast keine dabei, sondern nur eine Spirale für die Rohrreinigung. Was der Einsatz kostet, will Müller wissen. Der Handwerker zuckt mit den Achseln: Hängt von den Materialkosten ab.

500 Euro für eine Rohrreinigung

Er macht sich an die Arbeit und zehn Minuten später fließt das Wasser wieder. Der Handwerker legt dem Kunden die Rechnung vor: knapp 500 Euro. Müller kann es kaum glauben. Er versucht zu protestieren, doch der Handwerker macht ihm unmissverständlich klar, dass er keine Widerrede toleriert. Die Rechnung müsse gleich beglichen werden, Bar oder mit EC-Karte. Müller zahlt.

Später ruft er einen befreundeten Klempner an: Er will wissen, ob der Preis angemessen ist. Der Freund bestätigt: Der Kollege habe viel zu viel Geld verlangt. Müller will sich bei der Firma, für die der Handwerker angeblich arbeitet, beschweren. Erst dann sieht er in der Rechnung, dass diese ihren Sitz nicht in Berlin, sondern in Bottrop hat.

Woher kommt eigentlich die Firma?

Dies ist inzwischen eine gängige Masche: Kunden, die einen Notdienst anrufen – vor allem im Bereich Rohrreinigung und Schlüsseldienst – werden mit horrenden Rechnungen konfrontiert – bis in den dreistelligen Bereich. Wenn sie sich bei der Firma beschweren wollen, stellen sie fest, dass diese mehrere hundert Kilometer entfernt angesiedelt ist. Oder überhaupt nicht existiert.

Vor allem im vergangenen Halbjahr sei die Zahl solcher Fälle bundesweit stark angestiegen, bestätigen die Verbraucherzentralen mehrerer Bundesländer dem Tagesspiegel. Warum, können die Kundenberater nicht sagen. Es wird vermutet, dass das mit dem Erfolg der sogenannten Vermittlungszentralen zu tun hat.

Eine Provision für die Vermittlung

Als Herr Müller den Notdienst anrief, wählte er eine Berliner Nummer. Was er nicht wusste: Sein Anruf wurde automatisch zu einer Telefonzentrale in einer anderen Stadt weitergeleitet. Diese Firma beauftragte dann den Handwerker. Dafür kassierte sie eine heftige Provision – vermutlich mehr als die Hälfte der geforderten Rechnungssumme.

Die Webseite, auf der Herr Müller die Rufnummer fand, wies kein Impressum auf. Sie wurde aber unter dem Namen einer Hamburger Geschäftsfrau registriert, die etwa 70 weitere Webseiten betreibt mit Namen wie „Rohr-Reinigung 24“, „Rohrfrei 24H“ und „Sanitär-Hilfe-24“ in Deutschland, Österreich und Norwegen. Fast alle Seiten sind auf russischen Servern gespeichert und sehen fast identisch aus: in der oberen Spalte eine Festnetz-, Handy- oder 0800-Telefonnummer und darunter das (etwas ironische) Motto: „Schnell, zuverlässig, günstig“.

Besonders problematisch: Rohrreinigung und Schlüsseldienste

Sucht man im Internet nach Begriffen wie „Rohrreinigung“ oder „Schlüsseldienst“, stößt man auf Dutzende solcher Seiten – alle unter den besten Suchergebnissen. Dahinter stecken Unternehmen, die sich darauf spezialisiert haben, Kunden in Not und hilfsbereite Handwerker zu verbinden. Daran ist zunächst einmal nichts zu beanstanden, sagt Hasibe Dündar von der Verbraucherzentrale Berlin. Das Problem ist: Die Verhältnisse zwischen Vermittlungszentralen und Monteuren sind alles andere als transparent. Wenn es also – so wie in Herrn Müllers Fall – zu Unregelmäßigkeiten kommt, kann es schwierig werden, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

„Bei den Beschwerden wegen überteuerter Rechnungen (etwa für einfachste Türöffnungen), die wir in Berlin bearbeiten, handelt es sich in fast allen Fällen um Firmen aus Nordrhein-Westfalen“, sagt Dündar. Wie Herr Müller ahnen die meisten Kunden nichts davon. Eine Vermittlungszentrale kann durch eine örtliche Telefonnummer immerhin vortäuschen, eine Firma aus der Nachbarschaft zu sein. Das schafft Vertrauen. In einem von mehreren Fällen habe die Bundesnetzagentur 54 000 Telefonnummern abgeschaltet: „Betroffen“, sagt die Agentur gegenüber dem Tagesspiegel, „waren vor allem überregional tätige Schlüsseldienste, Kanalreiniger und Entrümpelungsunternehmen, aber auch Unternehmen anderer Branchen“.

Viele Firmen existieren gar nicht

Wenn man die Firma ermitteln kann, bleiben die Verantwortlichen trotzdem oft verschollen: „Unsere Recherchen zeigen, dass einige der auf den Rechnungen angegebenen Firmensitze private oder nicht existierende Adressen sind“, sagt Dündar. Wer also sein Geld zurück will, muss mehrere Hürden überwinden. Selbst dann, wenn die Verantwortlichen ausfindig gemacht, angezeigt oder verklagt werden, heißt das lange noch nicht, dass sie sich vor Gericht verantworten müssen, denn es kommt immer wieder vor, dass der Geschäftsführer das Gewerbe abmeldet und unter einem neuen Namen wieder anmeldet. Viele Anzeigen und Klagen laufen somit ins Leere.

So muss sich ein hinterhältiger Handwerker keine Sorgen um seinen Ruf machen: Schließlich hat der Kunde keine Ahnung, wen die Vermittlungszentrale zu ihm schicken wird. Monteure mit mangelndem Fachwissen oder gar kriminellen Absichten können immer neue Aufträge bekommen, denn die Vermittlungszentralen suchen rege nach Handwerkern. Für ihre Arbeit und den Umgang mit den Kunden übernimmt die Zentrale keine Verantwortung.

Eine Anzeige ist möglich

Immerhin: Wenn betrogene Kunden die Handwerker mal ausfindig machen, können sie diese wegen Betrugs oder Wuchers anzeigen. „Den Vermittlungszentralen ein kriminelles Verhalten nachzuweisen, ist jedoch viel schwieriger“, sagt der Dezernatsleiter für Betrug beim Berliner LKA, Oliver Klau: Einige dieser Firmen machten zwar irreführende Angaben über Ortsansässigkeit und vermutlich über die Qualifikation ihrer Monteure. Sie sagen aber: Unsere Aufgabe ist es ausschließlich, zu vermitteln. Wenn einzelne Handwerker Wucherpreise verlangen, können wir nichts dafür. Die Geschäftsstruktur erinnert an die mythische Hydra, das vielköpfige Monster der griechischen Mythologie: Schneidet man einen Kopf ab, wächst an seiner Stelle bald ein neuer.

Ein Musterprozess in Kleve

Das könnte sich aber bald ändern. Im Januar dieses Jahres hat in Kleve das bisher größte Gerichtsverfahren gegen eine dieser Vermittlungszentralen begonnen. Den zwei Geschäftsführern der „Deutschen Schlüsseldienst Zentrale“ aus der Kleinstadt Geldern im Niederrhein werden unter anderem bandenmäßiger Betrug und Wucher in mehr als 1000 Fällen vorgeworfen. Die „Schlüsseldienst Zentrale“ hätte nach Auffassung der Staatsanwaltschaft über zehn Jahre lang Kunden systematisch vorgespielt, für ortsansässige, qualifizierte Schlüsseldienste zu werben. Nicht nur seien die Monteure von weit her angereist, sondern sie seien auch unzureichend ausgebildet und hätten in zahlreichen Fällen nicht fachgerechte und nicht erforderliche Arbeiten zu überzogenen Preisen ausgeführt.

Die „Zentrale“ soll angeblich nur eine „Vermittlungspauschale“ von den Handwerkern bezogen haben, die sie vermittelte. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders: Der Angeklagte habe Handwerker über Jahre beschäftigt und bei jedem Einsatz 55 Prozent des Entgelts einbehalten. Fast 16 Millionen Euro Umsatzsteuer und Lohnnebenkosten hätten die Angeklagten somit unrechtmäßig gespart.

Staatsanwalt warnt vor DHE, A&S, ACC, NVD24, ARA, Abex und Remus

Für Staatsanwalt Hendrik Timmer lässt das darauf schließen, dass es sich um ein kriminelles Netzwerk handelt. „Eines von mehreren“, sagt er im Interview. „Wir gehen von fünf bis sieben großen Strukturen dieser Art deutschlandweit aus.“ Sie würden sich hinter Strohmännern, wechselnden Anschriften und einer Vielzahl von Kürzeln und Firmennamen verstecken: DHE, A&S, ACC, NVD24, ARA, Abex, Remus, etc. In den Rechnungen der Monteure vor Ort finden sich meist keine Hinweise auf diese Firmen und die wahren Hinterleute. Das mache die Arbeit der Ermittler besonders schwierig. „Ihre Aktivität ist aber meistens schon seit Jahren bekannt – etwa durch Anzeigen des Verbraucherschutzes oder journalistische Berichte“, sagt Timmer. „Doch zur Verantwortung ziehen konnten wir sie nicht – bis jetzt.“

Name von der Redaktion geändert

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