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Auch Rentner:innen leiden besonders stark unter den gestiegenen Preisen.

© Imago/Panthermedia

Rasant gestiegene Preise: Alt, arm, Single – diese Menschen sind am stärksten von der Inflation betroffen

Vor allem Energie und Lebensmittel wurden zuletzt deutlich teurer. Eine neue Studie zeigt, welche Teile der Gesellschaft das am härtesten trifft.

Die Verbraucherpreise in Deutschland steigen so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. 5,2 Prozent betrug die Inflationsrate gegenüber dem Vorjahr im November laut Statistischem Bundesamt – der höchste Wert seit 1992. Vor allem Heizöl, Gas, Strom und Benzin sind zuletzt deutlich teurer geworden, aber auch Nahrungsmittel und Getränke. Im kommenden Jahr soll sich die Lage laut Expert:innen zwar wieder entspannen, doch ab wann genau die Preise wieder fallen und wie stark, ist unklar.

Besonders hart trifft das Arme, Alte, Single-Frauen und Alleinerziehende. Das hat eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) ergeben, die dem Tagesspiegel vorliegt. Die Kölner Forscher haben anhand von Daten aus den Jahren seit 1995 untersucht, welche gesellschaftlichen Gruppen am stärksten von Inflation betroffen sind

„Lebensnotwendige Güter“ stark verteuert

Ärmere Haushalte mussten demnach stärker steigende Lebenshaltungskosten hinnehmen als reichere. Für sie gingen die Verbraucherpreise im Untersuchungszeitraum um 33,9 Prozent nach oben, für die Wohlhabenden nur um 28 Prozent. Zum Vergleich: Im Durchschnitt stieg der Verbraucherpreisindex für Deutschland in diesem Zeitraum um 30,9 Prozent. „Ein Grund hierfür ist, dass die ärmeren Haushalte einen größeren Anteil ihres Einkommens für Wohnen und Lebensmittel ausgeben, die recht stark im Preis gestiegen sind“, erklären die IW-Forscher. Weil dies „lebensnotwendige Güter und Dienstleistungen“ seien, könnten die Haushalte mit weniger Einkommen sich schlechter gegen Inflation schützen. Reichere hätten hingegen bessere Möglichkeiten, „durch Änderung ihrer Lebensgewohnheiten Preissteigerungen zu vermeiden und Güter mit Preissteigerungen gegen andere Güter zu substituieren“. Beispielsweise würden sie mehr Elektronikgeräte kaufen, die über die Jahre qualitätsbereinigt im Preis gefallen seien.

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Auf die Rolle der Wohnkosten für die Inflation hatte in dieser Woche auch das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hingewiesen: Die Inflation in Deutschland und dem Euroraum wäre laut den Forscher:innen in den vergangenen Jahren im Schnitt sogar noch um 0,3 Prozentpunkte höher ausgefallen, hätte man die Kosten für selbstgenutztes Wohneigentum miteinberechnet. Die Europäische Zentralbank will das erst ab 2026 tun, ihre Berechnung beruht wie die des Statistischen Bundesamtes auf einem fiktiven Warenkorb.

Wer allein lebt, zahlt mehr

Doch nicht nur der soziale Status, auch das Alter spielt laut der IW-Studie eine wichtige Rolle für die individuelle Inflationsbetroffenheit. Für die über 80-Jährigen lag die langfristige Preissteigerung mit 42,6 Prozent am höchsten, bei den 18- bis 24-Jährigen war sie mit 18,7 Prozent nicht einmal halb so groß. Auch kommen Rentner:innen auf einen deutlich höheren Wert als Angestellte (37,9 vs. 27,5 Prozent). Das erklären die Studienautoren ebenfalls mit den deutlich verteuerten Faktoren Wohnen und Energie: Ihr Anteil an den Lebenshaltungskosten steige mit dem Alter, vermutlich wegen der größeren Wohnungen, in denen Ältere verglichen mit Jüngeren leben. Auch die in späteren Lebensjahren höheren Gesundheitsausgaben würden sich auswirken.

Alleinstehende Frauen sind laut der IW-Studie ebenfalls besonders von der Inflation betroffen. Für sie stiegen die Preise seit 1995 um 37,2 Prozent, für Single-Männer nur um 31,3 Prozent. In der Gruppe der Alleinerziehenden waren es 35,7 Prozent – und damit ebenfalls überwiegend für Frauen. Fast 2,1 Millionen alleinerziehende Mütter standen laut Statistischem Bundesamt 2020 in Deutschland 435.000 alleinerziehenden Vätern gegenüber. Den Geschlechterunterschied führt das IW auf Konsummuster und die Zusammensetzung der Lebenshaltungskosten zurück: Alleinlebende hätten zwar allgemein einen höheren Wohnkostenanteil als Paare und Familien, bei Single-Frauen liege dieser aber noch einmal höher als bei Männern ohne Partner:in. Diese würden wiederum mehr Geld für langfristig im Preis gefallene Güter wie Elektronik ausgeben.

Verbände fordern höhere Grundsicherung

Die IW-Studie untermauert den Eindruck, dass Inflation vor allem jene trifft, die ohnehin finanziell oder sozial benachteiligt sind. „Werden die Lebenskosten teurer, fressen Preissteigerungen kleine Einkommen besonders schnell auf“, sagt etwa Michael Groß, Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Er warnt vor Strom- und Gassperren, wie es sie schon im vergangenen Winter gegeben habe, wenn Rechnungen nicht bezahlt werden konnten, und fordert Nachbesserungen bei Hartz IV beziehungsweise dem kommendem Bürgergeld: „Wenn, wie beschlossen, der Regelsatz für eine alleinstehende Person im kommenden Jahr um nur drei Euro steigen wird, kommt das de facto einer Leistungskürzung gleich.“ Wie zahlreiche Sozialverbände oder auch die Linkspartei fordert die AWO deswegen von der neuen Bundesregierung einen Zuschlag bei der Grundsicherung, der über das im Ampel-Koalitionsvertrag Vereinbarte hinausgeht und die Preissteigerungen abfedert.

Die IW-Forscher nehmen hingegen die Steuer- und Geldpolitik in den Blick. Sie fordern, die sogenannte kalte Progression zu bekämpfen, also das Auffressen von Einkommenszuwächsen durch gleichzeitig überproportional steigende Steuern und Abgaben. Und sie plädieren für eine Geldpolitik, die zwar „nicht jede individuelle Inflationsrate ansteuern“ könne, aber doch so ausgestaltet sei, dass sie „die negativen Auswirkungen einer Rezession abmildert und gleichzeitig ein Überschießen der Inflationsrate verhindert“. Das dürfte an die Europäische Zentralbank adressiert sein, der Kritiker:innen eine zu lockere Geldpolitik in der Coronakrise vorwerfen, die sie für die hohe Inflation mitverantwortlich machen.

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