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Perfekt organisiert. Große Onlinehändler profitieren. Kunden könnte Konsequenzen ziehen und kleine Läden bevorzugen.

© imago images/Robert Michael

Update

Onlinehandel und Corona: Amazon und die Macht der puren Größe

Während der Handel in Deutschland strauchelt, profitiert Amazon. Selbst das wachstumsstarke Zalando muss Einbußen hinnehmen. Überleben nur die Größten?

Während die meisten Einzelhändler in Deutschland wegen der Corona-Maßnahmen vor immensen Problemen stehen, gibt es ein Unternehmen, das derzeit eine positive Nachricht nach der nächsten verschickt: Amazon. So gab der weltgrößte Online-Händler in dieser Woche bekannt, weitere 75 000 Mitarbeiter anzuheuern, um den großen Andrang von Kunden zu bewältigen.

Die Mitteilung kam nur einen Monat, nachdem der Konzern bereits die Einstellung von 100 000 neuen Beschäftigten angekündigt hatte. In Deutschland will das Unternehmen immerhin 350 neue Logistikjobs aufbauen und die Gehälter in der Versandsparte um zwei Euro erhöhen.

So wertvoll diese Maßnahmen für die Amazon-Belegschaft auch sind, so zeugen sie auch von einer deutlichen Marktverschiebung zu Ungunsten kleinerer Händler. Schon im zweiten Halbjahr 2019 war der US-Konzern dreimal so schnell gewachsen wie der deutsche Einzelhandel. Nachfragen zur aktuellen Entwicklung ließ Amazon unbeantwortet, doch in der Coronakrise dürfte sich diese Schere weiter eklatant geöffnet haben. Es stellt sich die Frage, ob am Ende der Krise nur die größten Firmen überleben.

Auch Zalando muss Rückschläge hinnehmen

Auch in der Politik wird die Entwicklung wahrgenommen. „Ob wir wollen oder nicht: Digitalriesen wie Amazon haben massiv von der Schließung der Geschäfte in der Coronakrise profitiert“, sagte Anke Rehlinger, Wirtschaftsministerin des Saarland und SPD-Bundesvize, dem Tagesspiegel. „Dass das ausgerechnet Konzerne sind, die immer noch wenig Steuern zahlen, verletzt zurecht das Gerechtigkeitsgefühl vieler Menschen“, sagte sie weiter und sprach sich für die von der SPD forcierte internationale Digitalsteuer aus.

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Dass auch durchaus große Onlinehändler mit dem Erfolg von Amazon nicht Schritt halten können, zeigen auch die Quartalszahlen von Zalando. Das Berliner Unternehmen teilte am Donnerstag mit, dass der Verlust in den ersten drei Monaten zwischen 90 und 110 Millionen Euro lag. Zwar stieg der Umsatz im Januar und Februar noch um 10,1 bis 11,6 Prozent auf gut 1,5 Milliarden Euro an, es musste aber sogar das normalerweise extrem wachstumsstarke M-Dax-Unternehmen einen Umsatzrückgang verkraften. Im April habe das Geschäft bislang aber wieder angezogen.

Insgesamt ist der Onlinehandel im März um fast 20 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum eingebrochen, wie Christoph Wenk-Fischer, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh), dem Tagesspiegel sagte. „Profitieren konnten die großen, als verlässlich bekannten Marken und Anbieter.“

Unternehmen müssten sich auf geänderte Lebenssituationen der Konsumenten einstellen und ihre eigenen Verkaufskanäle überdenken. Laut Wenk-Fischer konnten auch "diejenigen Unternehmen profitieren, die bei Wegfall des Logistikdienstleisters selbst die Päckchen packen, die Sortimente und das Angebot flexibel handhaben können." Massive Rückgänge gab es dem bevh zufolge vor allem in den großen Kategorien wie Bekleidung (-35 Prozent) und Schuhe (-31 Prozent).

Kleine Modehändler fürchten Rabattschlacht

Ohnehin ist die Modebranche von der Coronakrise hart getroffen. Da der Verkauf über den stationären Handel gut einen Monat lang nicht möglich war, musste ein Großteil der Frühjahr- und Sommerkollektion online verkauft werden. Doch auf diese Volumina sind die wenigsten Ketten ausgelegt, einige Onlineshops wie etwa die Yoox-Gruppe mussten ihr Geschäft sogar einstellen, weil sie nicht wie Amazon ihre eigenen Logistikzentren haben, sondern auf die Zusammenarbeit mit externen Anbietern angewiesen sind. Diese konnten wegen des Coronavirus aber oft nur eingeschränkt arbeiten.

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Und weil die Kunden zudem weniger kaufen, sich die Ware allerdings stapelt, locken nun viele Händler mit Rabatten oder reduzierten Versandkosten. Auch hier wächst in der Branche die Sorge, dass nur die größten Händler diese Rabattschlacht überleben.

Ähnlich dramatisch ist die Situation in der Modeindustrie. Laut dem Gesamtverband der deutschen Textil- und Modeindustrie sind die Umsätze, vor allem bei den Bekleidungsherstellern, um bis zu 85 Prozent und mehr eingebrochen. „Für unsere mittelständischen Unternehmen der deutschen Textil- und Modeindustrie ist die Lage über nahezu die gesamte Branche existenzbedrohend“, sagte eine Sprecherin.

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In einer Umfrage des Verbandes gaben 80 Prozent der befragten mittelständischen Betriebe an, bereits Kurzarbeitergeld angemeldet zu haben. „22 Prozent der Unternehmen können die Krise zu den aktuellen Bedingungen nur noch maximal zwei Wochen durchstehen“, heißt es vom Verband. „Dann droht eine Insolvenz.“

Lederindustrie sauer auf Amazon

Und auch hier wird die Rolle von Amazon kritisch betrachtet. Denn der US-Händler hat Ende März Bestellungen bei seinen deutschen Schuhlieferanten kurzfristig storniert. Sollten die bestellten Artikel dennoch angeliefert werden, behalte sich Amazon das Recht vor, diese auf Kosten des Herstellers zu retournieren, berichtet der Bundesverband der Schuh- und Lederwarenindustrie. Hier würden „langjährige, verlässliche Lieferanten abgestraft und zu Lieferstopps gezwungen“. Den überwiegend mittelständischen Herstellern brachen damit eingeplante Millioneneinnahmen weg.

Amazon nennt eine in der Krise veränderte Nachfrage als Grund für den Bestellstopp. "Wir konzentrieren unsere verfügbaren Kapazitäten auf die Produkte mit der höchsten Priorität, die unsere Kunden derzeit am dringendsten benötigen und sich am meisten wünschen", erläutert ein Sprecher. Man habe vorübergehend den Eingang von Waren für den täglichen Bedarf, von medizinischen Verbrauchsgütern und von anderen Produkten mit hoher Nachfrage priorisiert. "Wir werden weiterhin Bestellungen bei unseren Lieferanten aufgeben, wenn wir den regulären Betrieb fortsetzen."

Aus Sicht von Oliver Roll ist der Erfolg in der Krise aber nicht nur ein Thema der Größe. „Wer – wie Amazon – aktuell Dinge liefern kann, die es auf Grund des Schließens vieler stationärer Läden nicht mehr gibt und die dennoch dringend gebraucht werden, dürfte von der Krise eher profitieren“, meint der Wirtschaftsprofessor der Hochschule Osnabrück.

Wichtig ist aus seiner Sicht vor allem die Kommunikation. „Wem es gelingt, die sozialen Medien so zu bespielen, dass er auch aktuell im Gespräch bleibt, kann die Nase vorne haben.“ In einigen Branchen mit engen Kundenbeziehungen könne auch an die Solidarität der Kunden appelliert werden. Unternehmen müssten verstehen, welche Kundengruppe in der Krise welche Produkte benötigt.

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