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Selbstbestimmt und angstfrei arbeiten. So sieht das Büro der Zukunft aus.

© imago/Westend61

New Work Utopia: Willkommen in der Vuka-Welt

Die Zukunft bringt Ungewissheit, Komplexität und Widersprüchliches – und birgt die Chance, die Arbeitswelt neu zu denken, sagt der Forscher Carsten Schermuly.

„Das gibt es bisher ansatzweise nur in Japan und ist in Deutschland noch kaum vorstellbar. Mehr als 1,4 Millionen Fachkräfte fehlen heute in Deutschland, bis zum Jahr 2030 werden es fünf Millionen sein“, sagt Carsten C. Schermuly. Dadurch wird sich das Verhältnis von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern komplett verändern, ist sich der Professor für Wirtschaftspsychologie an der privaten SRH Hochschule in Berlin sicher.

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Kaum ein Stein wird in der Arbeitswelt auf dem anderen bleiben, auch durch die Globalisierung, die zu noch mehr Diversität in Unternehmen führen wird, den Klimawandel, der Nachhaltigkeit noch dringlicher macht, Social Media, Big Data und künstliche Intelligenz, die Produkte und gesamte Arbeitsorganisationen verändern.

Zukunftsfähig durch selbstbestimmtes Arbeiten

Und um die neuen Herausforderungen anzugehen brauchen Unternehmen „New Work“? „In Branchen, in denen die großen Trends der Arbeitswelt keine große Rolle spielen, die stabil sind und davon völlig unberührt, könnte man theoretisch weitermachen wie bisher“, sagt der Wissenschaftler. Aber solche Branchen fallen ihm nicht ein, höchstens kleine Nischenbereiche funktionierten noch ohne Transformation, so wie eh und je. In allen anderen müsse man sich sehr wohl fragen, mit welchen neuen Ideen und Konzepten sich die neue Arbeitswelt bewältigen lässt.

Während angesichts des großen Wandels Gewerkschaften einen Index für gute Arbeit aufgestellt haben, die Politik ein Recht auf Homeoffice, ein Weiterbildungsjahr für alle Beschäftigten und die Ausbildungsgarantie plant, hat Carsten Schermuly das Buch „New Work Utopia“ geschrieben, in dem er die Zukunftsvision einer besseren Arbeitswelt entwirft, anhand des fiktiven IT-Unternehmens „Stärkande", 1000 Mitarbeiter, Sitz in Wiesbaden. Das große Ziel seines New Work-Modells: Selbstverständlich ist das auch in Zukunft der unternehmerische Erfolg, New Work kann ja kein Selbstzweck sein, sagt er. Aber genauso wichtig sind gute Arbeitsbedingungen, gemeinschaftlich funktionierende Organisationen, die Innovationen auf den Weg bringen, um dazu beizutragen, die neuen Herausforderungen zu bewältigen.

Utopist. Der Berliner Wirtschaftspsychologe Carsten Schermuly erklärt, wie die Arbeitswelt der Zukunft funktionieren könnte.
Utopist. Der Berliner Wirtschaftspsychologe Carsten Schermuly erklärt, wie die Arbeitswelt der Zukunft funktionieren könnte.

© Ivgenia Möbus

New Work, neue Arbeit, was das eigentlich heißt, dazu haben Arbeitgeber ganz unterschiedliche Vorstellungen. Für manche ist es die Möglichkeit, jetzt auch im Homeoffice zu arbeiten, für andere, per digitaler Tools im Team zu kooperieren. Andere wollen die Chefs abschaffen und die Mitarbeiter mitentscheiden lassen, geben die 500 Unternehmen an, die Schermulys Team jährlich für ein New Work Barometer befragt.

Für den Berliner Wirtschaftspsychologen steckt hinter dem Begriff „psychologisches Empowerment“, sagt er, und beruft sich dabei auf ein Konzept der US-amerikanischen Wissenschaftlerin, Gretchen Spreitzer. „Danach steht New Work dafür, Mittel und Wege zu finden, damit Mitarbeitende in ihrem Job Kompetenz, Selbstbestimmung, Einfluss und Bedeutsamkeit erleben“, erklärt Schermuly. Wozu das wichtig ist? „Das befähigt sie dazu, kreativ und motiviert zu arbeiten, sich gemeinsam für ihre Firma zu engagieren“, erklärt er.

22 Arbeitsprinzipien hat Schermuly für das fiktive Unternehmen Stärkande aufgestellt, die er „Axiome“ nennt. Jede Organisation habe solche Prinzipien, meistens seien das aber ungeschriebene, intransparente Gesetze, an die sich alle mehr oder weniger bewusst halten, die nicht in Frage gestellt werden, aber zum Teil längst überholt seien. Diese Prinzipien aber bestimmen die Unternehmenskultur.

Die Unternehmenskultur verändern

Und die beginnt mit der Frage, wer in einem Meeting als erstes seine Meinung sagen darf. Wie normal ist es, nach 17 Uhr noch am Schreibtisch zu sitzen oder an der Werkbank zu stehen? Ist die Arbeitszeit insgesamt knapp bemessen für die zu erledigenden Aufgaben? Mit welchem Ton begegnet man sich im Unternehmen? „Praktikanten, neue Mitarbeiter müssen solche typischen Verhaltensmuster erstmal entdecken, um sich ihnen anzupassen“, sagt Schermuly.

Die neue Generation werde ihren Beitrag dazu leisten, solche Verhaltensmuster aufzubrechen. „Die unter 30-Jährigen sind anders sozialisiert und selbstbewusst. Und weil sie so begehrt sind auf dem Arbeitsmarkt, haben sie viel Macht, Arbeitsbedingungen zu beeinflussen. Mehr Partizipation an Entscheidungen, flexibel arbeiten, projektbezogen, vielleicht auch nur vier Tage die Woche, das wünschen sich viele Jüngere – und inzwischen auch manche Ältere.

Der erste Schritt in Richtung New Work: Ziele definieren und diagnostizieren, wo das eigene Unternehmen steht. „Dazu sollten Firmen keine schicke Unternehmensberatung einladen, sondern die Betroffenen selbst mitreden lassen“, rät der Wirtschaftspsychologe.

Das Konzept muss passen

„Jedes Unternehmen muss für sich den passenden Weg finden und die verschiedenen Persönlichkeiten der Mitarbeiter berücksichtigen“, so der Wissenschaftler. Erklären die Mitarbeiter, dass sie gern geführt werden, passen holokratische Führungsformen nicht, bei denen Unternehmen selbstorganisiert und ohne Vorgesetzte agieren. Auch Weiterbildung sei hier gefragt. Mitarbeiter müssen in die Lage versetzt werden, sich zu entwickeln. Seien sie dazu nicht bereit, müssten sich gegebenenfalls gehen.

Überschaubare Arbeitseinheiten

Eine Organisationseinheit sollte nicht mehr als 150 Mitarbeiter haben, rät der Wissenschaftler. In seiner utopischen Unternehmenswelt bezieht er sich auf die von Robin Dunbar im Jahr 2002 tatsächlich entdeckte „Dunbar-Zahl", nach der das soziale Netzwerk von Menschen aus maximal 150 Personen besteht. „In diesem Rahmen funktionieren Kooperationen am besten. Denn mehr ist psychologisch schwierig, mehr Gesichter und Namen kann man sich in der Regel nicht merken, mit mehr Menschen keine direkte Beziehung eingehen“, erklärt Schermuly. Werde eine Niederlassung größer, würden Produkte in eine neue, rechtlich zum Unternehmen gehörende Einheit ausgegliedert.

Mitarbeiterinteressen schützen

Auch in einer Welt, in der Mitarbeiter sehr autonom und verantwortungsvoll arbeiten, ist ein starker Betriebsrat gefragt, der nicht nur die gesetzlichen Aufgaben erfüllt. „Engagierte Mitarbeiter beuten sich leichter selbst aus, davor muss der Betriebsrat sie schützen“, sagt Schermuly. Viele Studien hätten es gezeigt: Fühlen sich Mitarbeiter gut ausgerüstet, um selbstbestimmt einen sinnvollen Job zu machen, trägt das zu weniger Stress bei, die Depressionsneigung sinkt, Menschen gehen später in Rente. Betriebsräte sollten ihr Wirken darauf ausrichten.

Arbeit vereinfachen

Der Arbeitsalltag lässt sich vereinfachen und Mitarbeiter entlasten, sagt Schermuly. In der utopischen Welt gibt es „Sterbeworkshops“, in denen das beerdigt wird, was nicht mehr effektiv und erfolgreich ist, von bürokratischen Vorschriften bis zu ineffektiven Produkten. Essentiell zur Arbeitsentlastung sieht er auch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. „Assistenzsysteme übernehmen lästige Aufgaben, verfassen Protokolle von Sitzungen, übersetzen simultan Gespräche, stellt sich Schermuly vor, kümmern sich um vieles, damit sich der Mensch kreativen Aufgaben widmen kann.

[Lesen Sie auch: Sechs Thesen zur Zukunft der Arbeit. Der Begriff Büro, wie wir ihn benutzen, hat ausgedient. (T+)]

Jeder bekommt etwas vom Kuchen ab

Wer mehr Verantwortung trägt, muss auch entsprechend bezahlt werden, sagt Schermuly. Nach seinem New Work-Modell partizipieren Mitarbeiter einfach und direkt am Unternehmensgewinn. Jeder ist Mitinhaber und bekommt etwas vom Kuchen ab. Und zwar alle ein gleich großes Stück. Individuelle Boni führten zu viel Konkurrenz, die sich schlecht auf die Gemeinschaft auswirke. Dass Unternehmen an Aktionäre Dividenden auszahlen, und gemeinschaftlich erarbeitete Gewinne nicht wieder in das Unternehmen und an die Mitarbeiter geht, findet er „irritierend“.

Kontrolle abgeben

„Was New Work verhindert, ist Angst“, sagt Schermuly. Manche Unternehmen sähen Mitarbeiter als Gefahr an, würden ihnen nicht vertrauen, Führungskräfte setzten auf Kontrolle und würden lieber sicher fahren, alles im Griff haben. Genau das aber funktioniere nicht mehr in der Arbeitswelt der Zukunft. Auch sein fiktives Unternehmen hat das erst spät erkannt und sich dann aus einer Krise herausmanövrieren müssen. Stärkande ist es gelungen.

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