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Hoher Verbrauch. Autos verbrauchen fast immer mehr Sprit, als der Hersteller angibt.

© Jan Woitas/dpa-Zentralbild/dpa

Neue Studie: Neuwagen verbrauchen 42 Prozent mehr Sprit als angegeben

Die Abweichung zwischen offiziellen Angaben und dem tatsächlichen Spritverbrauch war nie größer. Die Kosten tragen die Verbraucher. Umweltverbände schlagen Alarm.

Der tatsächliche Spritverbrauch eines Autos hat mit den offiziellen und in der Werbung verbreiteten Angaben der Hersteller wenig zu tun. Diesen seit langem empirisch belegten Vorwurf untermauert jetzt – wie berichtet – eine aktuelle Untersuchung des Forscherverbundes ICCT (International Council on Clean Transportation). Danach liegt der reale Kraftstoffverbrauch neuer Pkw in Europa durchschnittlich um 42 Prozent höher als der von den Autoherstellern angegebene Testverbrauch. So groß war die Kluft noch nie – und sie ist nirgendwo auf der Welt größer als auf dem europäischen Markt. Laut ICCT verbrauchten Neuwagen im Jahr 2013 im Normalbetrieb „nur“ etwa 25 Prozent mehr als unter Testbedingungen. Die Organisation, die maßgeblich an der Aufdeckung des VW-Dieselskandals beteiligt war, stützt sich auf die Daten von 1,1 Millionen Fahrzeugen aus acht europäischen Ländern.

"Autohersteller betrügen seit Jahren"

Politiker und Umweltverbände reagierten am Montag empört auf die neuen Zahlen. „Seit Jahren betrügen die Automobilhersteller ihre Kunden beim Spritverbrauch“, sagte Michael Müller-Görnert, Verkehrsexperte des ökologischen Verkehrsclubs VCD. Die Zeche zahlten die Verbraucher, die laut ICCT im Schnitt 400 Euro pro Jahr an zusätzlichen Spritkosten ausgeben müssten. „Die Umweltschäden durch diese Tricksereien sind enorm: Seit 2001 beträgt die erzielte CO2-Reduktion bei Pkw nur ein Drittel dessen, was gesetzlich vorgeschrieben ist“, sagte Müller-Görnert.

Die Autoindustrie weist die Vorwürfe zurück und argumentiert mit den gesetzlichen Vorgaben. Nicht alle Bedingungen im realen Straßenverkehr könnten im Labor getestet werden. Außerdem sei die vom Gesetzgeber beabsichtigte Vergleichbarkeit von Fahrzeugen nur durch ein normiertes Geschwindigkeitsprofil im Labor zu erreichen. Der Autoverband VDA glaubt, dass das neue Labortestverfahren WLTP, das im kommenden Jahr für alle Fahrzeuge gilt, zu realistischeren Werten führen wird.

Grüne fordern schärfere Regulierung

Rebecca Harms, grüne EU-Abgeordnete und klimapolitische Sprecherin, kritisierte, das Problem werde auch durch das neue Verfahren nicht vollständig gelöst. „Bereits jetzt sind Verbrauchsabweichungen auch mit dem Test von bis zu 20 Prozent möglich“, sagte Harms. „Über die Jahre wird sich diese Kluft wieder vergrößern, wenn die Hersteller lernen, alle Schlupflöcher auszunutzen.“ Die EU-Abgeordnete verwies auf die am Mittwoch erwartete Veröffentlichung neuer CO2Grenzwerte für die europäische Autoindustrie durch die EU-Kommission. Sie erwarte, das die Kommission „das Problem nicht länger verleugnet und einen Vorschlag für Straßentests auch für die CO2-Messungen macht“.

Die Grünen im Europaparlament fordern von der Europäischen Kommission drastische Klimaschutzvorgaben für das nächste Jahrzehnt. Neben der Quote von 50 Prozent emissionsfreier Neuwagen solle die Brüsseler Behörde eine Senkung der Autoemissionen um 60 Prozent im Vergleich zu 2020 vorgeben, verlangten die Abgeordneten am Montag. Die Kommission will nach Tagesspiegel-Informationen eine Verringerung des Ausstoßes um 30 Prozent bis 2030 und möglicherweise eine Quote von 15 bis 20 Prozent emissionsfreier Autos. Mit so wenig Ehrgeiz werde man die Ziele des Pariser Klimaabkommens nie erreichen, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Claude Turmes. Nur ambitionierte Vorgaben schüfen Anreize für einen Innovationsschub. Klagen der Autoindustrie, so drastische Ziele seien nicht zu schaffen, wies Turmes zurück. Norwegen habe binnen drei Jahren erreicht, dass 25 bis 30 Prozent der Neuwagen elektrisch angetrieben werden.

Umwelthilfe fordert Eingreifen des Staates

Je höher der Spritverbrauch eines Fahrzeugs ist, desto mehr klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) stößt es aus. Der Dieselskandal, so Harms, habe gezeigt, dass Grenzwerte wenig Wert seien, wenn man sie nicht auch auf der Straße überprüfe.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) forderte die künftige Bundesregierung zum umgehenden Eingreifen auf. Teil eines „Sofortprogramms“ müsse eine effizientere Marktüberwachung durch unabhängige amtliche Stellen sein, Straßentests, Sanktionen bei zu großer Abweichung sowie ein Limit von vier Prozent für die maximale Abweichung zwischen bei Straßenmessungen ermittelten CO2-Emissionen und dem Laborwert.

Nirgendwo so große Abweichungen wie in Europa

Die ICCT-Studie zeigt, dass die Diskrepanz bei den Spritverbräuchen vor allem bei großen Limousinen auffällig ist, die als Dienstwagen eingesetzt werden und vorzugsweise von deutschen Herstellern stammen. Bei neuen Firmenfahrzeugen lägen die Abweichungen zwischen Test- und Straßenverbrauch bei 45 Prozent, so ICCT, bei Privatwagen bei 39 Prozent.

Zum ersten Mal hat die Organisation auch die Abweichungen bei anderen, nicht europäischen Herstellern untersucht. Auch in China, Japan und in den USA seien die offziellen, in Labortests ermittelten Verbrauchsangaben viel zu niedrig. „Allerdings ist der Anstieg der Diskrepanz in Europa am ausgeprägtesten“, sagte Peter Mock von ICCT. Das Beispiel USA zeige, wie man mit angemessenen politischen Maßnahmen – etwa behördliche Nachtests von Serienfahrzeugen – das Problem in den Griff bekommen könne.

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