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Bald nicht mehr zu haben: der Ikea-Katalog

© Reuters/Anna Ringstrom

Update

Nach 70 Jahren: Ikea stellt seinen Katalog ein

Der schwedische Möbelhändler reagiert auf das geänderte Kundenverhalten. Ikea verzichtet auf den gedruckten Katalog - doch Liebhaber kommen auf ihre Kosten.

Den bekanntesten Fun-Fact über den Ikea-Katalog hat wohl jeder schon einmal irgendwo gehört: Die Auflage des Prospekts ist höher als die der Bibel. Tatsächlich ist der Unterschied sogar gewaltig: Während das schwedische Möbelhaus im auflagenstärksten Jahr 2016 200 Millionen Exemplare seines Katalogs drucken ließ, lag die Auflage der Gottesbücher zuletzt bei „nur“ knapp 40 Millionen pro Jahr.

Doch die Religion hat den längeren Atem. Während wohl auch im nächsten Jahr wieder Millionen Bibeln unters Volk gebracht werden, ist für den Möbel-Katalog 2021 Schluss. Ikea stellt die Publikation ein, wie das Unternehmen am Montag bekannt gegeben hat.

Der Grund sind die veränderten Gewohnheiten der Kunden. „Seit 70 Jahren gehört er zu unseren bekanntesten und beliebtesten Produkten und hat Milliarden Menschen weltweit inspiriert“, sagte der Ikea-Manager Konrad Grüss. Doch inzwischen sei Ikea digitaler geworden und habe neue Wege gefunden, um die Menschen zu erreichen, heißt es von dem Konzern. Das Kundenverhalten und der Medienkonsum haben sich gewandelt. In der Folge sei der Ikea-Katalog immer weniger genutzt worden. „Wir werden die vielen Menschen künftig über neue Wege erreichen“, so Grüss.

Das Internet macht den Katalog überflüssig

Der erste Ikea-Katalog erschien 1950. Er war nur 16 Seiten lang und listete allerlei Produkte für den Haushalt auf, mit vielen Zeichnungen in schwarz-weiß. Auf dem Titelblatt waren Pakete und ein Flugzeug abgebildet. Ein Jahr später sah das ganze schon professioneller aus: Dem Unternehmen zufolge hat Ikea-Gründer Ingvar Kamprad den Katalog von 1951 persönlich zusammengestellt. Auf dem Cover prangte ein gepolsterter, brauner Schaukelstuhl. 285000 Exemplare des immerhin schon 68 Seiten dicken Katalogs wurden gedruckt und in Südschweden verteilt. In anderen Sprachen gab es den Katalog noch nicht.

Seit 1998 war der Prospekt auch online abrufbar. Jetzt hat das Internet die gedruckte Version ganz überflüssig gemacht – genau 70 Jahre nach der Erstpublikation. Ikea druckt zum Jubiläum allerdings dennoch etwas: Im Herbst 2021 will das Möbelhaus als Hommage an den Katalog ein Buch mit Tipps und Inspirationen für die Einrichtung herausgeben.

Ikea arbeitet schon länger an seiner Digitalisierung. Denn jüngere Möbel-Start-ups wie Westwing oder Home24 machen dem Konzern das Geschäft im Internet streitig und erwirtschafteten zeitweise online größere Umsätze als der Weltkonzern. Deshalb setzt Ikea auf neue Konzepte.

Ikea setzt auf digitale Vertriebskanäle

Von der Idee, dass jeder Kunde durch das gesamte Haus geschleust werden soll, ist das Unternehmen schon lange abgekommen. Immer mehr Abkürzungen machen ein kürzeres Einkaufen möglich. Und neue Mini-Filialen in Stadtzentren zeigen, dass der Wert des physischen Ausstellens in Zeiten des Internets weiter abnimmt. Kein Wunder; internet-affine Kunden sind es gewohnt, vorab das gewünschte Produkt online zu suchen und mit passgenauen Vorstellungen ins Möbelhaus zu gehen.

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Zusätzlich investiert Ikea in neue Möglichkeiten, die das Internet bietet. So können sich Kunden Möbelstücke mit Augmented Reality auf dem Tablet oder Smartphone in ihre Wohnungen projizieren. Die Resonanz der Kunden bestätigt diesen Kurs: Im vergangenen Jahr ist der Onlinehandel bei Ikea weltweit um 45 Prozent gewachsen, die Internetseite verzeichnete mehr als vier Milliarden Besucher. Auch zur Umweltbilanz soll die Einstellung des Katalogs beitragen. „Das spart Ressourcen“, hatte Konzernchef Jesper Brodin schon mehrmals in den vergangenen Jahren gesagt.

In der Corona-Pandemie hat Ikea seinen Online-Umsatz stark gesteigert bei gleichzeitig monatelang geschlossenen Einrichtungshäusern. Auf dem deutschen Markt kletterte der Anteil des im Internet erzielten Umsatzes im Geschäftsjahr 2019/2020 (30. August) von 9,4 auf 16,2 Prozent.

Otto-Katalog ebenfalls eingestellt

Ikea ist nicht das einzige Unternehmen, das vom Katalog als Instrument der Kundenkommunikation abrückt. Auch Otto hat seine traditionsreiche Publikation vor zwei Jahren beerdigt. „Ich bin dann mal App“, stand auf dem letzten Otto-Katalog. Der Slogan zeigte, dass auch der Hamburger Handelskonzern die Zukunft des Vertriebs in digitalen Kanälen sieht. Hier sprachen die Zahlen sogar eine noch deutlichere Sprache: Zum Zeitpunkt der Einstellung des Katalogs entfielen bereits 97 Prozent des Umsatzes auf Online-Bestellungen. Der Katalog spielte also kaum noch eine Rolle fürs Geschäft.

Tot ist der Katalog allerdings noch nicht. Er taugt nach Expertenmeinung wohl allerdings nicht mehr dazu, die breite Masse zu erreichen. Eine Erhebung des Marktforschungsinstituts Splendid Research von 2018 zeigte, dass 50 Prozent der Kunden, die einen Katalog lesen, im Anschluss „häufig“ die dazugehörige Internetseite besuchen. Zehn Prozent tun das der Umfrage zufolge sogar „immer“. Verkäufer von Nischenprodukten wie etwa Jagd- und Waffenzubehör setzen auch weiterhin auf Kataloge, in denen ihre Fans stöbern können.

Und auch Liebhaber des Ikea-Katalogs kommen im Internet auf ihre Kosten. Zum 70. Jubiläum hat der Konzern nämlich alle bisherigen Ausgaben von 1950 bis jetzt online gestellt. Dass der aktuelle Katalog der letzte sein würde, war damals wohl noch nicht klar.

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