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In einigen Unternehmen sollen sich Mitarbeiter mittlerweile gegenseitig bewerten.

© Jesus Sanz/Fotolia

Mitschriften und Bewertungs-Apps: Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter kontrollieren

Die Modekette H&M soll heimlich private Informationen ihrer Beschäftigten gesammelt haben. Auch andere Unternehmen erfassen das Verhalten ihrer Mitarbeiter.

Von Laurin Meyer

Streit mit dem Partner, schwerwiegende Krankheiten, Menstruationsprobleme: Private Informationen wie diese würden die meisten wohl nur mit ihren engsten Vertrauten teilen. Der schwedische Modekonzern H&M hat diese Informationen Berichten zufolge von zahlreichen Mitarbeitern im Nürnberger Servicecenter gesammelt und gespeichert.

Dem Konzern könnte deswegen einer der größten Datenschutzskandale der vergangenen Jahre drohen, schätzen Experten. Der Vorwurf der Beschäftigten: Vorgesetzte hätten sie gezielt in vertrauliche Gespräche verwickelt, um von privaten Problemen zu erfahren. War ein Mitarbeiter kurze Zeit weg, soll es sogenannte „Welcome-Back“-Treffen gegeben haben, Pausengespräche hätten in freundschaftlicher Atmosphäre stattgefunden.

Teamleiter sollen die Informationen anschließend aufgeschrieben und gespeichert haben. Aufgeflogen ist das offenbar erst durch einen Fehler: So soll ein verantwortlicher Mitarbeiter die Mitschriften versehentlich auf einem öffentlich zugänglichen Laufwerksordner abgelegt haben. Darin fanden Beschäftigte laut Medienberichten neben den Arbeitsverträgen und Bewerbungen ihrer Kollegen auch die sogenannten „Gesprächsnotizen“ der Teamleiter. H&M hat die Datenpanne der zuständigen Aufsichtsbehörde in Hamburg gemeldet. Nun prüft der Datenschutzbeauftragte der Hansestadt, ob die gespeicherten Mitschriften gegen geltendes Datenschutzrecht verstoßen.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hatte den Fall zuerst aufgegriffen. Gegenüber dem „Bayerischen Rundfunk“ äußern Mitarbeiter nun einen neuen Verdacht: Die Daten könnten nachträglich manipuliert worden sein, nachdem das Unternehmen ihnen offenbar das Recht auf Einsicht gewährt hatte. H&M weist die Kritik zurück: „Mit Entdeckung des Vorfalls wurden alle Daten umgehend gesichert“, erklärt eine Sprecherin auf Nachfrage des Tagesspiegels. „Es können seitdem keine Änderungen oder Löschungen vorgenommen werden.“

Warum die Teamleiter private Informationen ihrer Mitarbeiter gesammelt haben sollen, lässt H&M offen. Das Unternehmen verweist lediglich darauf, dass Daten, die das Arbeitsverhältnis betreffen, laut Bundesdatenschutzgesetz gespeichert werden dürfen. „Bei H&M nehmen wir den Vorfall nach wie vor sehr ernst“, erklärt die Sprecherin.

Zalando lässt Mitarbeiter untereinander bewerten

Nicht nur H&M ist wegen seines Mitarbeiterumgangs in die Kritik geraten, auch Zalando setzt auf zweifelhafte Methoden beim Personalmanagement. Mithilfe einer speziellen Software erfasst der Onlinehändler die Leistung und das Sozialverhalten Tausender Mitarbeiter systematisch. Vor wenigen Wochen hat die Hans-Böckler-Stiftung das System untersucht.

Die Funktionsweise: Über das Programm namens „Zonar“ können Zalando-Mitarbeiter die Arbeit ihrer Kollegen bewerten, ähnlich eines Bewertungsportals im Internet. Darüber hinaus sollen sie ihre Leistung regelmäßig selbst einschätzen. Auf dieser Basis teilt ein Algorithmus die Beschäftigten in unterschiedliche Leistungskategorien ein, in sogenannte Low-, Good- und Top-Performer. Die Rangliste soll das Unternehmen nutzen, um Mitarbeiter zu befördern oder über ihre Lohnerhöhung zu entscheiden, erklärt die Hans-Böckler-Stiftung.

System sei schlecht für das Arbeitsklima

Das Betriebsklima leide dadurch massiv, behaupten die Studienautoren. Das System suggeriere Vergleichbarkeit. „Dies verstärkt die Wahrnehmung einer Konkurrenzsituation unter den Beschäftigten, was wiederum Leistungsdruck, Selbstdisziplinierung und Stress erzeugt“, schreiben Philipp Staab und Sascha-Christopher Geschke in der Studie.

Sie mutmaßen zudem, dass sich Zalando ums Gehalt drücken könnte. Denn nur wer zur Spitzenkategorie zählt, habe Aussicht auf eine Lohnerhöhung. In einigen Abteilungen gehörten aber lediglich zwei bis drei Prozent der Beschäftigten dazu. Nach Zalando-Angaben sollen mehr als 5000 der insgesamt 14.000 Mitarbeiter an Zonar teilnehmen, davon offenbar 2000 allein in den Berliner Büros des Unternehmens.

Verdi kritisiert, Datenschutzbehörde prüft

Die Gewerkschaft Verdi kritisiert Zonar als „übergriffig“ und „arbeitnehmerfeindlich“. Das Bewertungssystem diene dem Unternehmen als billige Ausrede, keine Tarifverträge abzuschließen. „Stattdessen definiert Zalando völlig willkürlich, wer von den wenigen angeblichen Top-Performern eine Lohnerhöhung erhält“, behauptet Stefanie Nutzenberger, Mitglied im Verdi-Bundesvorstand.

Und auch die Berliner Datenschutzbeauftragte prüft jetzt das Bewertungssystem, nachdem Zalando im November über die Software freiwillig informiert hatte. Die Behörde empfahl dem Unternehmen daraufhin, vorerst auf den Einsatz zu verzichten. Wie lange das Verfahren dauert, sei noch nicht abzusehen, heißt es auf Nachfrage.

Onlinehändler wehrt sich gegen Kritik

Zalando weist die Kritik zurück. „Eine gesunde und faire Feedbackkultur bringt sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte weiter“, erklärt eine Zalando-Sprecherin auf Nachfrage. Die Studie der Hans-Böckler-Stiftung basiere hingegen nur auf Interviews von zehn Mitarbeitern. „Sie ist nicht repräsentativ und enthält grobe faktische Fehler“, heißt es.

So lagen etwa die durchschnittlichen Gehaltserhöhungen in den vergangenen zwei Jahren nach Unternehmensangaben deutlich über dem deutschen Mittelwert. Außerdem hätten Zalando-Betriebsräte die Einführung von Zonar mitbestimmt. Auch sieht der Onlinehändler keinen datenschutzrechtlichen Verstoß. Zonar sei mit der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) konform, mit der Berliner Datenschutzbehörde arbeite man vollumfänglich zusammen.

Andere setzen auf ähnliche Maßnahmen

Bei Zonar spricht Zalando von einem „360-Grad-Feedback“, so wie es in anderen Konzernen längst üblich sei. Und tatsächlich nutzen vor allem US-Firmen ähnliche Methoden. Der Onlinehändler Amazon setzt etwa auf den sogenannten Forte-Prozess. Das Prinzip: Einmal im Jahr geben Mitarbeiter eine Selbsteinschätzung ab, zusätzlich holt jeder ein Feedback von Vorgesetzten, Kollegen und Mitarbeitern ein.

Beim Hedgefonds Bridgewater soll eine Bewertungs-App auf den mobilen Dienstgeräten der Beschäftigten gleich vorinstalliert sein. Auf einer Skala von eins bis zehn können Mitarbeiter ihren Kollegen nach jedem Treffen eine Einschätzung zu Präsentationen oder Ideen mitteilen. Das Feedback ist nicht anonym, erklärte Bridgewater-Chef Ray Dalio zuletzt in einem Vortrag. Die Daten sollen für jeden im Unternehmen zugänglich sein.

Heute Software, früher Kamera

„Wir erleben bereits seit längerer Zeit, dass Unternehmen wie Amazon und Zalando neue Formen der digital gestützten Leistungskontrolle vorantreiben“, sagt Verdi-Vorstandsmitglied Nutzenberger. Dabei scheint der vermeintliche Drang nach Kontrolle der Mitarbeiter keineswegs neu zu sein. So hat angeblich schon vor knapp zehn Jahren der Discounter Lidl seine Mitarbeiter an der Kasse bespitzelt – allerdings ohne Software, dafür mit Kameras.

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