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Wirtschaft: Maxi Baier

(Geb. 1920)||Ob ihr das Eislaufen denn Freude bereitet? „Kaum.“

Ob ihr das Eislaufen denn Freude bereitet? „Kaum.“ Maxi ist fünf Jahre alt, als ihr Vater sie zum ersten Mal mit auf die Eisbahn nimmt. Sie soll eine Eiskunstläuferin werden, der Vater stellt sich das so vor. Er trainiert das Kind, ein einfühlsamer Pädagoge ist er nicht. Maxi Herber übt von früh bis spät. Am Nachmittag besucht sie eine Privatschule. Im Sommer geht sie zum Turnen und zum Schwimmen. Als sie neun Jahre alt wird, gewinnt sie die bayerische Damenmeisterschaft im Einzellauf. Mit elf Jahren die deutsche Meisterschaft.

Sie erläuft sich fünfmal Gold und zwei- mal Silber, bevor sie im Jahr 1933, auf der Friedrichshainer Freilufteisbahn Ernst Baier begegnet. Es ist November. Maxi Herber trägt ein dünnes Mäntelchen, sieht übernächtigt aus und friert. Ernst Baier hat den Eindruck, sie beschützen zu müssen. Er ist Deutscher Meister im Einzellauf. Von Beruf Architekt, Eisläufer aus Passion. Er ist 15 Jahre älter als Maxi Herber, und er nimmt dem Vater das Zepter aus der Hand.

Fragt man Maxi Herber, ob ihr das Eislaufen Freude bereitet, so antwortet sie: „Kaum.“ Und wo sie denn glücklich sei? Zu Hause, bei ihrer Mutter. Am Abend. Sonst nicht.

Ernst Baier trainiert das Kind auf eine Weise, die er selbst als grausam, unerbittlich und fanatisch bezeichnet. Der Erfolg gibt ihm Recht. Baier gilt als Ästhet, Maxi als ein schönes Eislaufwunder. Aus dem Eislauf zu zweit wird ein Paarlauf, dessen weiche Formen und harmonischer Gleichklang Revolution machen. Der Walzer, den Ernst Baier mit dem Kind Maxi Herber tanzt, wird später als „der Unsterbliche“ in die Eislaufgeschichte eingehen. 1936 werden sie in Garmisch-Partenkirchen Olympiasieger, Maxi Herber ist zu diesem Zeitpunkt 15 Jahre alt. Vier Jahre darauf heiraten die beiden auf dem Standesamt in Berlin und fahren im Anschluss an die Trauung zur Eisbahn. Zum Training.

Das ist die eine Geschichte. Nachzulesen in dem Buch „Maxi und Ernst Baier erzählen“, was ein wenig irreführend ist, weil eigentlich Ernst Baier erzählt. Maxi hat ein Schlusswort, zwei kleine, bescheidene Seiten, auf denen sie anmerkt, dass Ernst nicht geschwindelt, eher nur verschwiegen habe, und dass ihr Vater zu kurz gekommen sei. Sie schreibt: „Die strengen Väter sind die besten.“ Und zitiert d’Annunzio „Das Schöne liegt immer am anderen Ufer.“

Die andere Geschichte ist zwischen den Zeilen – fast wörtlich. Das Buch „Maxi und Ernst Baier erzählen“ ist illustriert mit kleinen, anmutigen, filigranen Zeichnungen. Das Publikum an der Eisbahn, Reisende auf großen Bahnhöfen, kleine dicke Männer und dünne Frauen mit Lorgnon, Engelchen und Teufelchen, schwebende Eiskunstläufer, stürzende. Es sind komische Zeichnungen, vorsichtig, sehr zurückhaltend und fein, bestimmt von Zärtlichkeit für die Figuren und einem leisen Humor.

Maxi Baier hat gezeichnet, und sie durfte auch ein wenig die Zeichenschule besuchen, und wenn sie mit Ernst Baier auf Reisen war, zeichnete sie auf Programmhefte, Menükarten und Einladungen alles was sie sah – die Skyline von New York, die farbigen, Schlittschuh laufenden Kinder in Chicago, das Publikum in Philadelphia und Atlantic City. Den Schluss des Buches ziert ein Zwergenzelt, auf dem in winzigen Buchstaben das Wort „Eisballett“ steht. Das Eisballett gehört auch zur anderen Geschichte, zu jener nämlich, die Maxi Baier dann doch glücklich gemacht hat.

War sie schön? Umwerfend. Freundlich? Immer. Diszipliniert? Unfassbar. Herzlich? Eher kühl. Ein wenig unnahbar. Die Göttliche, so ist sie dann genannt worden im „Eisballett Maxi und Ernst Baier“, das sie 1951 zusammen mit ihrem Mann gründete. „Olympische Reise“, „Circusluft – ein Eisballett in 3 Akten“, „Andalusische Serenade“. Maxi Baier choreographierte und entwarf die Kostüme, und sie tanzte ihre Rollen so ergriffen, dass das Publikum sie dafür geliebt hat.

Wofür genau? Für ihre – Göttlichkeit.

Sie bereisen in sechs Jahren 170 Städte. Geben 2200 Vorstellungen vor 6 000 000 Besuchern. Dann ist Schluss. Maxi Baier hört auf. Sie zieht ihre drei Kinder groß. Läuft nicht mehr. Zeichnet ein wenig. 1965 lässt sich das Ehepaar Baier scheiden.

„Toujour l’amour“ heißt ein Walzer aus der Eisrevue. Da ist noch etwas, etwas Leises. Auch Kurzes. Im Ensemble der Eisrevue gibt es einen Tänzer, der zum Beispiel die Rolle des Mephisto tanzt. Der Tänzer heißt Frank Sawers. Frank Sawers und Maxi Baier tanzen gemeinsam. Maxi Baier tanzt auch mit ihrem Mann, das hat sie ja 20 Jahre lang gemacht. Die Tänze mit Frank Sawers sind anders. Beglückend. Weil Maxi Baier verliebt ist. Und mehr ist nicht. 50 000 gemeinsam zurückgelegte Kilometer Reiseweg, einmal um die Welt und zurück, und sie ist die ganze Zeit verliebt. Dann steigt Frank Sawers aus dem Ensemble aus. Das ist alles.

Am Ende ihres Lebens wird sie darüber sprechen. Das Ende ist in einem Altersheim in Garmisch, unweit des Eisstadions, in dem Maxi Baier gelaufen ist, als sie ein junges Mädchen war. Aber darüber spricht sie nicht. Sie spricht über das Zeichnen. Sie zeichnet auch noch ein wenig – Engel auf Schlittschuhen. Und sie spricht über Frank Sawers. Sie sagt, sie sei kein gutes Mädchen gewesen. Und warum nicht? Keine Antwort. Das Schöne liegt immer am anderen Ufer? Ja – vielleicht.

Dora Winkelmann

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