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Mensch und Maschine. Wie Erster Letzteren bedient, muss erst gelernt werden. Ein Gewerkschaftsprojekt zum „Corporate Learning“ half etwa dabei, ältere Mitarbeiter in ostdeutschen Unternehmen mit neuer Software vertraut zu machen – und die Teamleiter für die Schwierigkeiten dabei zu sensibilisieren.

© Thomas Gasparini/VW

Informelles Lernen als Chance: Lernen im Arbeitsrhythmus

Neue Software, globaler Markt: Berufstätige müssen immer schneller dazulernen. Oft geschieht das nicht in einem Seminar, sondern bei der Arbeit. Das sollte gut organisiert sein.

Zum Beispiel die deutsche Textilbranche: die Produktion von Stoffen und Kleidung wurde in den letzten Jahrzehnten in Schwellenländer mit niedrigen Löhnen ausgelagert. Die Unternehmen, die heute in Deutschland produzieren haben sich neu positioniert und auf technische Textilien spezialisiert. Und das in einer Branche, die eine überdurchschnittlich alte Mitarbeiterschaft hat. Ganze Betriebe müssen zugleich ihre Arbeitsweise umstellen. Auf neue Handgriffe, neue Methoden, neue Fachausdrücke – es gibt hohen Lernbedarf, der über ein zweitägiges Seminar weit hinausgeht. Das Lernen am Arbeitsplatz, während der Arbeit, rückt in den Fokus.

Formale Weiterbildungen bringen wenig

„Nur etwa zehn Prozent der Kompetenzen erwerben wir in formal geplanten Weiterbildungen“, sagt Peter Miez-Mangold vom Weiterbildungsanbieter Haufe-Akademie. Das sei zwar an sich keine Neuigkeit und auch schon in klassischen Handwerksberufen so gewesen - doch das Tempo, mit dem sich Arbeitsanforderungen an ein und demselben Arbeitsplatz mittlerweile verändern und damit Lernen nötig machen ist ungleich gestiegen. Unternehmen beschäftigen sich nun stärker damit, was genau Lernen am Arbeitsplatz beeinflusst und wie sie als ganze Organisation dazu lernen können. Auch beim sogenannten informellen Lernen geht es um Qualität.

Wir lernen ständig dazu am Arbeitsplatz, indem wir uns Arbeitsweisen von Kollegen abschauen oder anfallende Probleme im Team lösen. Anders als bei einer organisierten Weiterbildung hat man dabei oft gar nicht angestrebt, etwas zu lernen. Man will einfach seine Arbeit erledigen. Besonders stark gilt das für wissensbasierte Tätigkeiten. „Lernen fängt schon an, wenn man mit Google nach einem Begriff sucht“, sagt Miez-Mangold von der Haufe Akademie. Doch welcher Antwort, welcher Website glaubt man? Und kommt die Kollegin nebenan zu demselben Ergebnis? Auch für das informelle Lernen gilt es deshalb guten Input zur Verfügung zu stellen und einen förderlichen Rahmen zu schaffen: durch Wikis, Blogs oder Soziale Netzwerke, durch Austausch und Supervision.

Unterschiedliche Lernmodelle, praxisnah und alltagstauglich

Von der passenden Technik für E-Learning bis zur Dokumentation von Mitarbeiterwissen – es gibt viele Wege, wie ein Unternehmen das Lernen am Arbeitsplatz organisieren und erleichtern kann.

Dabei geht es auch um Standards. Eine Firma kann zum Beispiel ein Glossar erstellen, in dem einerseits das allgemeine Wissen zu einem Thema, etwa Kartellrecht, abrufbar ist, aber auch die ganz konkreten Begriffe oder ein Code of Conduct, auf den sich das einzelne Unternehmen verständigt hat. Besonders relevant wird das Lernen am Arbeitsplatz, so Miez-Mangold, wenn ganze Organisationen auf einmal lernen. Zum Beispiel bei einer Übernahme oder wenn zwei Firmen zusammen geführt werden. Dann lernen ganze Abteilungen oder Tochtergesellschaften, vielleicht in unterschiedlicher Intensität, aber doch auf einmal. Dann brauche es „Lösungen für ganze Organisationen“.

Lernen als längerfristiger Prozess

Mensch und Maschine. Wie Erster Letzteren bedient, muss erst gelernt werden. Ein Gewerkschaftsprojekt zum „Corporate Learning“ half etwa dabei, ältere Mitarbeiter in ostdeutschen Unternehmen mit neuer Software vertraut zu machen – und die Teamleiter für die Schwierigkeiten dabei zu sensibilisieren.

© Thomas Gasparini/VW

Für Personalabteilungen und Weiterbildungsanbieter kommt damit ein neues Aufgabenfeld in den Blick. Statt der Weiterbildung als einmaliger Veranstaltung ist zunehmend das Begleiten von Lernprozessen als Dienstleistung gefragt. Die Haufe-Akademie zum Beispiel hat die ursprünglich fünftägige Grundausbildung Projektmanagement in ein „Blended learning“-Format umgebaut: Bei zwei kurzen Präsenzveranstaltungen kann man üben und trainieren. Dazu kommen Selbstlernphasen im Unternehmen auf einer Lernplattform mit elf kurzen Modulen, die man in etwa sechs Stunden absolvieren kann: von der Rollenverteilung im Projekt bis zur Ergebnisdokumentation mit Theorieeinheiten, Praxistipps, interaktiven Übungen. Zusätzlich gibt es das Angebot, die ganze Organisation und Steuerung von Weiterbildung für Kunden zu übernehmen: von der Bedarfsanalyse über abgestimmte Trainingskonditionen.

Lernprozesse standardisieren

Auch das Projekt „Betrieblichen Bildungsmanagements in der Textilindustrie“ der IG Metall mit acht ostdeutschen Unternehmen hatte das informelle Lernen am Arbeitsplatz zum Thema. Dabei wurden besonders die Team- und Schichtleiter angesprochen und für das Lernen am Arbeitsplatz sensibilisiert. Sie haben eine entscheidende Rolle, Lernprozesse zu fördern. In einem Unternehmen sind zum Beispiel durch eine neue Software zusätzlich zum Zuschneiden und Nähen neue Tätigkeitsschritte angefallen, auch Kundenwünsche wurden genauer erfasst. Die Berufsausbildung der Mitarbeiter lag zum Teil schon zwanzig Jahre und länger zurück.

Mit dem Projekt führten die Unternehmen mit jedem Schichtwechsel einen kurzen Erfahrungsaustausch zwischen den Mitarbeitern ein, bei dem über Fehlerquellen und Auffälligkeiten bei der Arbeit gesprochen wurde. Es wurde standardisiert, wie Mitarbeiter neue Kollegen für Maschinen oder Software einarbeiten. Einmal pro Monat gab es zusätzliche kollegiale Beratung, in der Spezialfragen wie das richtige Einspannen des Stoffs oder rückenschonendes Sitzen ausgetauscht wurden – oder jemand von seiner Maschinen-Schulung erzählte.

Informelles Lernen hängt vom Lernenden ab

Für Weiterbildungsexperten ist das ein wichtiger Punkt: Das informelle Lernen bei der Arbeit sollte die klassischen Weiterbildungsangebote nur ergänzen – und nicht ersetzen. Denn beim informellen Lernen ist auch Vorsicht geboten. Eva Ahlene, die bei der Hans-Böckler-Stiftung das Referat Qualifikation leitet, gibt zu bedenken, dass informelles Lernen am Arbeitsplatz für Mitarbeiter sehr unterschiedlich gut funktioniert. Das Alter spiele zwar nicht mehr eine so große Rolle, auch wenn E-Learning und damit IT-Grundkenntnisse den Bereich dominieren. Es funktioniert aber besonders für wissensbasierte Berufe. Tätigkeiten, in denen der Einzelne gewisse Autonomie hat, Antworten auf Fragen zu finden und Arbeitsprobleme selbst zu lösen. Bei repetitiven Aufgaben ist das wenig der Fall. Studien haben außerdem gezeigt, dass besonders profitiert, wer einen hohen Schulabschluss hat und auch beruflich hoch qualifiziert ist.

Informelles Lernen ist von starker Unübersichtlichkeit geprägt. Zudem verlagert sich informelles Lernen – etwa über Lernplattformen – häufig in die Freizeit, so Eva Ahlene. Die Grenzen was einfach Hilfe unter Kollegen ist, was Einschulung, was freiwillige Weiterbildung, was nötiges Programm, verschwimmen. Auch stellt sich die Frage, ob mit zunehmender Verlagerung vom formalen zum informellen Lernen am Arbeitsplatz nicht Berufsbilder mit festgelegten Kompetenzen diffus werden. Auch der Umgang mit dem Lernen will gelernt sein.

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