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Um ihre Ware zu schützen, lassen sich Händler einiges einfallen – von Kameras bis zum Detektiv.

© picture alliance / dpa

Kriminalität: Ladendiebe verursachen Milliardenschäden

Die Fälle schweren Ladendiebstahls nehmen zu: Banden stehlen Ware palettenweise. Händler fordern höhere Strafen für die Täter.

Von Maris Hubschmid

Sie langen bei Parfüm, Elektronik, Markenkleidung und Spirituosen zu – aber auch Babynahrung gehört zu den gefragtesten Diebesgütern unserer Zeit. Ladendiebstahl ist vermutlich ein Thema, seit es Läden gibt. Die Dimensionen allerdings, mit denen sich Händler aktuell konfrontiert sehen, sind neu. Statistisch gesehen wird jedes Geschäft mehr als einmal pro Woche Opfer von Diebstahl. Jeder 200. Einkaufswagen passiert die Kasse unbezahlt. Man könnte auch sagen: Im Schnitt klaut jeder Bundesbürger pro Jahr Waren im Wert von 27 Euro. Das ist natürlich Quatsch, zeigt aber wie groß das Problem ist. Allein in Berlin werden jedes Jahr Waren im Wert von 160 Millionen Euro geklaut – etwa ein Prozent des Umsatzes.

Tatsächlich liegt die Zahl registrierter Ladendiebstähle – die freilich nur einen Ausschnitt widerspiegelt – unverändert bei etwa 400.000. Einfache Ladendiebstähle sind seit 1997 sogar stetig zurückgegangen. Der Jugendliche, der ein Päckchen Sammelkarten mitgehen lässt, oder der Alkoholiker, der eine Flasche Schnaps unter dem Mantel versteckt: Es gibt sie noch, in echte Bedrängnis bringen solche Fälle Händler aber kaum.

„Besorgniserregend ist der dramatische Anstieg von schwerem Ladendiebstahl“, sagt Peter Schröder, Leiter Recht und Verbraucherfragen beim Handelsverband Deutschland (HDE). Vitrinen werden aufgebrochen und Scheiben eingeschlagen, Banden tragen Waren palettenweise hinaus. „Draußen stehen mitunter Fluchtwagen bereit, und anschließend werden die Waren gut organisiert weiterverkauft“ sagt Schröder. Milchpulver oder Babybrei etwa verkaufen die Täter mit hohen Gewinnmargen nach Asien.

Schwerer Ladendiebstahl verursacht einen Milliardenschaden

Allein in den zurückliegenden vier Jahren stieg die Zahl schwerer Ladendiebstähle laut HDE um fast ein Drittel auf 22.476. Einer Studie des Kölner Handelsforschungsinstitut EHI zufolge beträgt der durchschnittliche Wert der Beute knapp 400 Euro – im Jahr entstanden den Händlern so Schäden in Höhe von insgesamt 2,4 Milliarden Euro.

Offensichtlich, bestätigt man bei der Polizei, verlegen sich gerade osteuropäische Banden zunehmend von Wohnungseinbrüchen auf Ladendiebstahl. Da sind die Barrieren niedriger, wissen die Verbrecher, was sie bekommen – nicht zuletzt erheblich geringere Strafen. „Während die Übergriffe mit immer größerer krimineller Energie ausgeführt werden, hat sich in der Branche der Eindruck verfestigt, dass dem Staat der Wille zur Rechtsdurchsetzung fehlt und er die Fälle ignoriert oder bagatellisiert“, klagt der Verband. Viele Verfahren würden nach wenigen Wochen eingestellt. Der Handel fordert deshalb, härter durchzugreifen und die Mindeststrafe von derzeit drei Monaten auf ein Jahr zu erhöhen und nicht auf Bewährung auszusetzen. Nicht zuletzt wäre eine verbesserte länderübergreifende Zusammenarbeit der Polizeiorganisationen wünschenswert, sagt Günter Althaus, Präsident des Mittelstandsverbunds ZGV. In den seltensten Fällen ist ein Dieb, der erwischt wird, ein Ersttäter: Mithin klappern Profis systematisch ein Bundesland nach dem anderen ab.

Vor allem große Ketten sind betroffen

Überdurchschnittlich stark sind einer Branchenbefragung zufolge Baumärkte, der Lebensmitteleinzelhandel, Kauf- und Warenhäuser sowie Drogeriemärkte betroffen. Sind bei großen Ketten die Skrupel kleiner? Es hat wohl viel mehr Effizienz- und praktische Gründe, meint Schröder: Wieviel ist zu holen? Lässt sich die Beute bequem wegschaffen? Kleinere Unternehmen leiden gleichwohl kaum weniger unter dem Klau, sagt Althaus. „Angriffe auf die Bestände haben bei ihnen wirtschaftlich stärkere Auswirkung. Da kaum Vorsorge möglich ist, muss im Schadensfall der Händler den Verlust tragen.“ Zum Teil helfen Lieferanten und Verbundgruppen, die Ausfälle zu kompensieren. Schließlich bringen Einnahmeausfälle kleine Unternehmer schnell in Existenznot. „Neben dem reinen Ladendiebstahl werden zudem häufiger Warentransporte oder Warenlager von Dieben heimgesucht“, weiß Althaus. Die Händler wenden deshalb inzwischen umfangreiche Mittel auf, um sich zu schützen. Von 1,3 Milliarden Euro im Jahr spricht HDE-Fachmann Schröder. Inhaber investieren in Überwachungstechnik und Detektive, sichtbare Rotlicht-Warnsysteme, Kameras und Türsteher sollen Kriminelle abschrecken. Drehkreuze an den Eingängen erschweren die Flucht.

Der Schaden lässt die Preise für die Kunden steigen

„Besonders wichtig ist aber die Schulung des Personals“, sagt Phillip Haverkamp vom Handelsverband Berlin-Brandenburg. Dabei gelte es in erster Linie, die Mitarbeiter zu schützen. „Aus einem Diebstahl wird schnell ein Raub“, bestätigt Schröder. Nicht selten haben die Täter Waffen dabei – es besteht dann immer die Gefahr, dass diese auch eingesetzt werden. In Hamburg wurde im Oktober ein Ladendetektiv der Modekette H&M niedergestochen, als er zwei junge Männer aufforderte, ihre Taschen zu öffnen.

Der finanzielle Schaden wird meist von vornherein einkalkuliert – am Ende trifft jeder Delikt daher die ehrlichen Kunden. Der Handelsverband schätzt: Wenn es gelänge, die Ladendiebstähle nur um die Hälfte zurückzudrängen, würde das eine vierköpfige Familie im Jahr um 100 Euro entlasten.

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