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Der Braunkohleabbau der Leag in der Lausitz geht dem Ende zu, trotzdem setzte die Gewerkschaft zuletzt erhebliche Einkommenserhöhungen durch.

© dpa/Patrick Pleul

Keine Angst vor Krise : Lohnforderung für chemische Industrie

Die erste große Tarifrunde in diesem Jahr steht an: Eine halbe Million Chemiebeschäftigte erwarten mehr Geld, die Arbeitgeber warnen vor weiteren Belastungen.

Gerade erst haben die Beschäftigten der Chemieindustrie eine Tariferhöhung um 3,25 Prozent bekommen, und schon bereiten sich Arbeitgeber und Gewerkschaft auf die nächsten Entgeltverhandlungen vor: Am Dienstag beschließt die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) die Lohnforderung für 585.000 Beschäftigte in 1700 Betrieben und eröffnet damit die erste große Tarifauseinandersetzung in diesem Jahr. Die Gewerkschaft der Lokführer (GDL), die tagelang den Bahnverkehr bestreikte, schließt Tarifverträge bei der bundeseigenen Bahn nur für rund 20.000 Beschäftigte.

Im Herbst 2022 hatten Arbeitgeber und Gewerkschaft in der Chemie eine zweistufige Einkommenserhöhung um jeweils 3,25 Prozent vereinbart, die zweite Tranche war in diesem Januar fällig. Dazu bekamen die Beschäftigten mit dem Januar-Gehalt auch eine Netto-Inflationsprämie von 1500 Euro. Alles in allem, so stellt der Arbeitgeberverband fest, steigen die Einkommen damit in diesem Jahr stärker als die Preise, da eine Inflationsrate von knapp drei Prozent erwartet wird. Die Botschaft der Arbeitgeber: Die Reallöhne sind stabil, es gibt keinen Grund, eine weitere Lohnerhöhung könnte die Probleme der Betriebe verschärfen.

Branche leidet unter Energiepreisen

Von einer „Krisen-Tarifrunde“ sprechen die Arbeitgeber. Tatsächlich ächzt die Chemie unter den hohen Energiepreisen, die Branchenführer BASF und Bayer bauen Tausende Arbeitsplätze ab, in der Grundstoffindustrie stehen ganze Standorte infrage. Alles in allem, so schlussfolgert der Bundesarbeitgeberverband Chemie, müsse man „den Fokus der Tarifpolitik auf den Schutz von Standort und Beschäftigung richten“. Die Unternehmen hätten eine Konjunktur- und Energiekrise zu überstehen und müssten „zeitgleich die Jahrhundertaufgabe der Transformation bewältigen“.

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Prozent schrumpfte der Chemieumsatz 2023

„Das aktuelle Bild in den Unternehmen ist sehr differenziert“, sagt Stephanie Albrecht-Suliak, Bezirksleiterin der IG BCE in Ostdeutschland. „Richtige Krisenstimmung gibt es nicht, obgleich die Energiepreise ein großes Thema in der Grundstoffindustrie und bei den energieintensiven Unternehmen bleiben“, sagte die Gewerkschafterin im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Aufgrund der Inflationsraten in den vergangenen Jahren sind die Erwartungen der Kolleginnen und Kollegen groß.“

Stephanie Albrecht-Suliak, Landesbezirkleiterin Nordost der IG BCE
Stephanie Albrecht-Suliak, Landesbezirkleiterin Nordost der IG BCE

© IG BCE

Die Arbeitgeber halten mit Zahlen aus dem Krisenjahr 2023 dagegen: Die Produktion der Chemie- und Pharmaindustrie schrumpfte um acht Prozent, wobei Pharma deutlich besser lief; allein in der Chemie betrug das Minus elf Prozent. Beim Umsatz gab es einen Rückgang um zwölf Prozent. Und es wird nicht besser: In diesem Jahr befürchtet der Branchenverband ein Umsatzminus um drei Prozent.

Wir sind immer noch die verlängerte Werkbank der Westkonzerne.

Stephanie Albrecht-Suliak, Bezirksleiterin der IG BCE über Ostdeutschland

Die Situation in Ostdeutschland ist speziell. „Wir sind immer noch die verlängerte Werkbank der Westkonzerne, es gibt hier kaum Unternehmenszentralen“, sagt Stephanie Albrecht-Suliak, in deren Bezirk Nordost, dem bis auf Thüringen alle ostdeutschen Bundesländer angehören und 150.000 Personen in der Chemie ihren Lebensunterhalt verdienen.

„Als einziger Landesbezirk in der IG BCE haben wir bei der Mitgliederentwicklung 2023 einen positiven Saldo erreicht“, freut sich Albrecht-Suliak. Das ist ein Effekt der geringen Tarifbindung: Da vergleichsweise wenig Unternehmen einen Flächentarif anwenden, setzt die Gewerkschaft in einzelnen Betrieben Tarifverträge durch. Diese „Häuserkämpfe“, wie Albrecht-Suliak sagt, mobilisieren die Beschäftigten und bringe der Gewerkschaft Mitglieder.

Ein weiterer Vorteil der Haustarife: Vorteile für Gewerkschaftsmitglieder sind eher zu erreichen. Beim Braunkohlekonzern Leag setzte die IG BCE eine Einmalzahlung von 6000 Euro für Gewerkschaftsmitglieder durch, das waren 1500 Euro mehr als für die übrigen Beschäftigten. „Wir haben einen fulminanten Tarifabschluss für unsere Mitglieder erreicht“, freut sich Albrecht-Suliak. Im Flächentarifvertrag, da legen sich die Arbeitgeber fest, soll es keine Privilegien für Gewerkschaftsmitglieder geben.

Zu Albrecht-Suliaks Organisationsbereich gehört das bedrohte Goodyear-Reifenwerk in Fürstenwalde sowie die Raffinerie PCK Schwedt, die bis zum Angriff Russlands auf die Ukraine vor allem russisches Öl verarbeitete. „2023 war zum Glück außerordentlich gut, heute ist die Auslastung mit 80 Prozent wieder so hoch wie vor dem Abdrehen des russischen Ölhahns“, berichtet Albrecht-Suliak.

Goodyear will die Reifenproduktion in Fürstenwalde 2027 beenden, 700 Arbeitskräfte wären betroffen. „In den USA arbeitet Tesla mit Goodyear zusammen; ich verstehe nicht, warum das hier nicht passiert, wo die beiden Werke nur 20 Kilometer voneinander entfernt liegen“, sagt Albrecht-Suliak. Tesla bezieht derzeit die Reifen von asiatischen Billigherstellern. Die Gewerkschafterin hofft auf Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) und dessen guten Kontakt zu Tesla. „Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz und arbeiten dabei eng mit der Landesregierung in Potsdam zusammen.“

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