zum Hauptinhalt
Stolz darauf. Apple-Chef Tim Cook hat sich geoutet. Je höher die Position, desto schwerer fällt es vielen, zu ihrer Homosexualität zu stehen.

© AFP

Vielfalt und sexuelle Orientierung: Aus der Deckung kommen

Viele Schwule und Lesben verbergen am Arbeitsplatz ihre Identität – sollen sie sich outen?

Jetzt reichts! Was wollen die denn noch? So oder so ähnlich wird in konservativen Kreisen gegen mehr Sichtbarkeit und Gleichstellung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und transgeschlechtlichen Menschen argumentiert. So richtig korrekt ist die Aussage natürlich nicht, weil bis heute in gut 150 rechtlichen Themen noch keine Gleichstellung erfolgte. Homosexuelle dürfen Pflegeeltern werden, aber keine Kinder adoptieren, es bleibt bei der eingetragenen Lebenspartnerschaft und es wird vorerst keine Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare geben.

Den Gegnern bleibt, wenn man genau hinsieht, ein „komisches Gefühl“, wie es auch schon Frau Merkel vor gut einem Jahr bei einer Wahlkampfveranstaltung äußerte. Aber Gefühle sind eine schlechte Grundlage für eine sachliche Diskussion.

Um Gefühl geht es auch beim Thema Arbeitsplatz. Da sind zwar über das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz rein rechtlich die Barrieren aus dem Weg geräumt, aber das ungute Gefühl ist geblieben. Ganz oft findet man das Familienfoto auf dem Schreibtisch oder das Bild des Neugeborenen als Bildschirmschoner. Dagegen ist es aber nicht in allen Firmen möglich, als Homosexueller offen über seine sexuelle Orientierung zu sprechen. Da wird schnell gesagt, dass einen nicht interessiere, was man im Bett mache. Geht es um Bettgeschichten?

Sich-Verstellen kostet viel Energie

Nein, denn das hat tatsächlich nichts mit der Arbeit zu tun. Es geht um die sexuelle Orientierung, also die Frage, welchem Geschlecht man sich zugeneigt fühlt. Mit wem man sein Leben teilt, für wen man sorgt, wer einem wichtig ist. Es geht darum, wie viel jede und jeder von sich mit in die Arbeit bringen darf. Wie sehr sie oder er sich verstecken muss. Man geht davon aus, dass Schwule, die sich am Arbeitsplatz nicht outen können, bis zu 30 Prozent ihrer Energie darauf verwenden, wenn sie sich verstellen müssen, etwa von ihrer Partnerin sprechen, obwohl sie den Partner meinen. Zu Firmenveranstaltungen wird dann schnell die eigene Schwester als Partnerin ausgegeben.

Schwierig wird es, wenn Teile der Kolleg_innen von der eigenen Homosexualität wissen, andere nicht. Selbiges gilt ebenso für Lesben. Claudia Woody, Out-Executive bei der IBM, nennt dies „The Cost of Thinking Twice“. Betroffene müssen zunehmend mehr Aufwand in das Verheimlichen stecken. Folge ist, dass die Arbeitsproduktivität leidet und psychische Krankheiten auftreten. Lord Browne schreibt dazu in seine neuen Buch „The Glass Closet – Why Coming Out Is Good Business“: „Ich wünsche niemanden, durch das gehen zu müssen, wodurch ich gegangen bin“.

John Browne, ehemals CEO von BP, spricht dieser Tage auf der jährlichen Konferenz von Tagesspiegel und Charta der Vielfalt. Er ist eine der ganz wenigen Personen, die sich als Top Manager zu ihrer Homosexualität bekennen. 2007 trat er von seinem Posten als CEO des damals größten Öl- und Energiekonzerns zurück, weil Teile seines Privatlebens an die Öffentlichkeit gerieten. In Deutschland ist es Thomas Sattelberger, ehemals Personalvorstand der Deutschen Telekom, der sich öffentlich zu seinem Lebenspartner bekannte: zwei Jahre nach seinem Ausscheiden.

Es geht um die Überwindung der Ängste

Beide waren in ihrer beruflichen Funktion durchaus Persönlichkeiten in ihrem Land. Von beiden gab es zumindest vorher viele Gerüchte über ihre Homosexualität. Beide konnten sich, sicherlich aufgrund ihrer Biografie und ihrer Prägung, nicht vorstellen, während ihres Berufslebens offen schwul zu leben. Selbst Apple-Chef Tim Cook, deutlich jünger als Browne und Sattelberger, hat erst jetzt seine Homosexualität öffentlich gemacht. Es war zwar ein offenes Geheimnis, aber selber dazu geäußert hatte er sich vorher nicht.

„Es ist eines der größten Geschenke, die Gott mir gegeben hat.“ In diesem Satz spürt man die Erleichterung, die so ein Coming out mit sich bringt. Erfahrungsgemäß ist das Coming out umso schwieriger, je weiter oben in der Hierarchie sich die oder der Betroffene befindet. Aber das Coming out am Arbeitsplatz ist auch ein sehr persönlicher Prozess. Es geht um die Überwindung der Ängste vor dem was passieren könnte. Diese gründen auf Erfahrungen und Prägungen im eigenen Umfeld sowie auf der individuell erlebten Aufgeschlossenheit der Arbeitsumgebung.

Das Coming out hängt damit ganz entscheidend vom tatsächlichen Klima in der Firma ab. Wie offen sind die Kolleg_innen und Chefs? Wird die Einladung zu Firmenveranstaltungen „mit Begleitung“ ausgesprochen? Sind homo- und transphobe Witze genauso tabu wie sexistische Kommentare?

Mehr als gay-friendly

Natürlich spielt auf den unteren Ebenen auch die Branche eine gewisse Rolle. Die Banken (Commerzbank, Deutsche Bank) und die IT (IBM, SAP) sind in Deutschland Vorreiter. In den letzten zwei Jahren verstehen viele Firmen, darunter auch Beratungshäuser und große Kanzleien, wie vorteilhaft es ist, Diversity Management um die sexuelle Identität zu erweitern. Neun von ihnen haben im vergangenen Jahr die PrOUT@ WORK-Foundation gegründet, die sich für mehr Chancengleichheit von homo- und bisexuellen sowie transidenten Menschen am Arbeitsplatz einsetzen wird.

Die Unternehmen erkennen, dass es wichtig ist, nicht nur Werbung mit und um Homosexuelle zu machen, um gay-friendly zu sein. Denn Lesben und Schwule in die Firma zu bringen, ist das eine, Talente langfristig zu halten das andere. Wenn das Engagement für diese Gruppe intern wirklich ernst gemeint ist, dann gibt es auch einen nachhaltigen wirtschaftlichen Vorteil durch neue Kundensegmente. Es braucht das Top Management, das Diversity Management zur Chefsache macht und nicht einer Sachbearbeiterfunktion überträgt.

So schreibt es auch John Browne in seinem Buch. Es hat sich herausgestellt, dass sogenannte Straight Allies, also heterosexuelle Unterstützer in den oberen Führungsetagen, sehr hilfreich sind, um ein Klima der Offenheit und mehr Akzeptanz von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und transidenten Menschen zu schaffen. Meist haben diese Verbündeten einen sehr persönlichen Bezug, warum sie das Thema auch im Unternehmenskontext unterstützen: Der Bruder, die Tochter, ein ganz dicker Freund haben sich geoutet. So konnten die Straight Allies relativ hautnah miterleben, welche Herausforderungen das Coming out an sich, aber auch das ständige Sich-Rechtfertigen-Müssen bedeutet.

Straight Allies - die Unterstützer im Betrieb

Wie kann man jemanden beim Coming out am Arbeitsplatz unterstützen? Oftmals hat man ja eine Kollegin oder einen Kollegen, bei der oder bei dem man es vermutet oder – wie manche glauben – sogar eindeutig sehen kann. Als Kolleg_in können Sie wertschätzend mit der Person umgehen, aber auch eingreifen, wenn dumme Sprüche oder homophobe Witze gemacht werden. Sich als sogenannter Straight Ally im Unternehmen sichtbar machen. Viele Unternehmen haben heute Mitarbeiternetzwerke zu diesem Thema.

Die meisten davon wollen und haben nicht nur „Betroffene“ als Mitglieder, sondern auch viele Straight Allies. Darin finden Menschen, die noch ungeoutet sind, Unterstützung und Gleichgesinnte. Das Wichtigste ist zu wissen, dass jede/r für sich alleine entscheiden muss, ob und wann sie/er sich outet.

Es kann nicht Ziel sein, dass es möglichst viele geoutete Homosexuelle in der Firma gibt. Es geht darum das Umfeld zu schaffen, in dem jeder ohne Risiko von beruflichen Nachteilen offen mit ihrer/seiner sexuellen Orientierung umgehen kann.

Der Autor ist Diversity-Experte und Coach. Zudem ist er Mitinitiator und Mitstifter der PrOUT@WORK-Foundation.

Albert Kehrer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false