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Notfalls wird auch nachts geerntet: Wegen der Trockenheit ist der Feldhäcksler am Stadtrand von Leipzig auch im Dunklen unterwegs.

© dpa/Jan Woitas

Deutsche Landwirte wollen mehr Getreide anbauen: "Jede zusätzliche Tonne Weizen schwächt Russlands Aggression"

Bauernpräsident Joachim Rukwied kämpft gegen die geplante Flächenstilllegung. Auch sonst hat er einige Wünsche an Agrarminister Özdemir.

Deutschlands Bauern wollen mehr Getreide anbauen, um die globalen Versorgungsengpässe zu mildern. „Jede Tonne Weizen zusätzlich schwächt die aggressive Position Russlands“, sagte Bauernpräsident Joachim Rukwied im Vorfeld des Deutschen Bauerntags, der am Dienstag und Mittwoch in Lübeck stattfindet. Es könne nicht sein, dass Russland Weizen aus der Ukraine stehle und der russische Außenminister Sergej Lawrow als „Gutmensch“ auftrete, der diesen Weizen dann notleidenden Ländern in Afrika oder dem Nahen Osten anbietet. „Wir können hier nicht zuschauen“, appellierte Rukwied an Agrarminister Cem Özdemir (Grüne).

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Nach den Regeln der europäischen Agrarförderung müssten die Landwirte im kommenden Jahr vier Prozent ihrer Flächen stilllegen, um die Natur und die Biodiversität zu fördern. Rukwied wünscht sich angesichts des Kriegs in der Ukraine, dass es nur zwei Prozent sind. Dadurch könnten 200.000 Hektar zusätzlich genutzt und 1,4 Millionen Tonnen Getreide geerntet werden. Frankreich habe bereits 300.000 Hektar freigegeben.

Bauernpräsident Joachim Rukwied fordert einen europaweiten Mindestlohn.

© imago images/Reiner Zensen

Die Häfen sind vermint

In der Ukraine, die eine der Kornkammern Europas ist. liegen mehr als 20 Millionen Tonnen Getreide in den Silos, die nicht abtransportiert werden können, weil die Seehäfen vermint sind. Über die Schiene und die Straße könne nur ein kleinerer Teil transportiert werden, warnte Rukwied. Zudem sei unklar, wo die neue Ernte gelagert werden soll. Der Bauernpräsident befürchtet erhebliche Ernteverluste. Das hat auch Konsequenzen für die Preise: Weizen ist teuer.

Eine Tonne wurde am Montag mit fast 400 Euro gehandelt. Dennoch profitieren viele deutsche Landwirte nicht von dem Preisanstieg. Bauern verkaufen einen großen Teil ihrer Ernte bereits im Vorfeld zu Festpreisen. Einige Landwirte hätten ihren Weizen für 210 Euro pro Tonne verkauft, sagte Rukwied. Jetzt stehen viele vor der Frage, welche Preise sie für die Ernte des Jahres 2023 ansetzen sollen.

Rukwied fordert Nachbesserungen bei der Haltungskennzeichnung

Verglichen mit den Sorgen der Schweinehalter sind das jedoch Luxusprobleme. Wegen des Preisverfalls beim Schweinefleisch hören viele Betriebe auf. 2020 ist die Zahl der Schweine in Deutschland um 2,5 Millionen gesunken, parallel dazu hat Spanien den Schweinebestand um 3,5 Millionen Tiere aufgestockt. „Wir erleben eine Verlagerung aus Deutschland heraus“, warnte Rukwied.

Er fordert von Özdemir Nachbesserungen bei dessen geplanter Haltungskennzeichnung. Diese soll nach den Plänen des Ministers zunächst nur frisches Schweinefleisch im Handel erfassen. Rinder müssten einbezogen werden und die Gastronomie, meint Rukwied.

Gibt es bald keine Ferkel aus Deutschland mehr? Der Bauernverband sieht Nachteile für die Erzeuger.

© dpa/Sina Schuldt

Falsch sei es auch, dass die Kennzeichnung nur die Schweinemast betrifft und Ferkel ausspart. „Es kann doch nicht sein, dass Ferkel, die im Ausland ohne Betäubung kastriert worden sind, dann in deutschen Tierwohl-Ställen aufgezogen werden“, ärgert sich Rukwied. Für die deutschen Ferkelerzeuger sei das ein „brutaler Faustschlag ins Gesicht“.

[Wie Russland Weizen als Waffe einsetzt, lesen Sie in unserer Analyse, wie die Knappheit von Nahrungsmitteln gemindert werden kann, T(+)]

Mit Blick auf die deutschen Spargel- und Erdbeerbauern, die ihre Felder nicht mehr abernten, weil die Arbeitskosten höher sind als die Erzeugerpreise, macht sich Rukwied für einen europäisch einheitlichen Mindestlohn stark. Verbraucher müssten damit rechnen, dass die Preise für Lebensmittel noch weiter steigen werden. Die Preise für Stickstoffdünger hätten sich vervierfacht, betont Rukwied.

Verband soll weiblicher werden

Auf dem Bauerntag soll der Weg frei gemacht werden für eine Vizepräsidentin. Der Verband will weiblicher werden. Zudem arbeitet der Bauernverband an einem Zukunftsbild des Bauern. „Wir wollen deutlicher in die Mitte der Gesellschaft“, sagte der Verbandschef.

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