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In Politik und Behörden: Wie die Blockchain in der Praxis genutzt wird

In mehr als 50 Projekten wird die Blockchain-Technologie in Politik und Verwaltung getestet. Eine Studie gibt einen Überblick über den Stand. 

Was vor ein paar Jahren noch als Zukunftsmusik galt, kommt nun langsam in die Praxis: Die Blockchain-Technologie hält Einzug in die Verwaltung. Bereits 52 Vorhaben identifizierten die Berater von BearingPoint im öffentlichen Sektor. Dafür fragten sie Bund und Länder ab, das Ergebnis wird in einer Studie zusammengefasst, die Tagesspiegel Background Digitalisierung & KI vorliegt und nächste Woche veröffentlicht wird.

Die größten Blockchain-Treiber auf Bundesebene sind die Ministerien für Wirtschaft und Energie (BMWi) und Bildung und Forschung (BMBF) mit fünf beziehungsweise sieben Vorhaben. Auf Landesebene ragt Nordrhein-Westfalen mit insgesamt zehn Projekten heraus. Die meisten Initiativen, so die Studienautoren, stecken allerdings noch in den Kinderschuhen. 31 der 52 Projekte befinden sich aktuell in der Ideen- und Planungsphase. Der Reifegrad der Vorhaben liegt auf einer zehnstufigen Skala im Durchschnitt bei 2,42.

Alexander Schmid, Executive Advisor bei BearingPoint, sei positiv überrascht von der Anzahl der Projekte gewesen, auch wenn die praktische Umsetzung noch „sehr ausbaufähig“ sei. Er plädiere vor allem dafür, die Technologie zu „demystifizieren“ und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der öffentlichen Hand mitzunehmen: „Denn Verwaltungsmodernisierung – auch mit der Blockchain – ist kein Technologie-, sondern ein interdisziplinäres Gemeinschaftsprojekt.“

Identitäten verifizieren

Im Grunde handelt es sich bei der Blockchain beziehungsweise der Distributed Ledger Technology um eine dezentrale, öffentliche Datenbank. Die Nutzerinnen und Nutzer einer Blockchain verfügen gemeinsam über Schreib-, Lese- und Speicherberechtigungen. Das unterscheidet sie von einer herkömmlichen Datenbank, die meist von einer oder mehreren zentralen Autoritäten gepflegt wird. Mit der Blockchain-Technologie können Transaktionen zwischen Unternehmen, Privatpersonen oder öffentlichen Einrichtungen nahezu in Echtzeit durchgeführt und verifiziert werden – der Bedarf eines Mittlers fällt weg. Die Potentiale in der Verwaltung sind deshalb groß.

Den größten Nutzen bietet die Blockchain laut der Studie im Bereich einer automatisierten Verifizierbarkeit von Identitäten sowie in der Manipulationssicherheit von Prozessen. Darüber hinaus seien über die Blockchain Daten schneller verfügbar. Durch den verteilten Betrieb sei zudem eine hohe Sicherheit, was Ausfälle betrifft, gegeben.

Die größten Herausforderungen, so die Studie, gebe es in den drei Bereichen Organisation, Kultur und Haushalt. Kulturell sei das größte Problem, dass weiterhin das Grundverständnis für die Blockchain-Technologie im öffentlichen Sektor fehle, weshalb etwa Behördenleitungen oft skeptisch seien. Organisatorisch sei es eine Herausforderung, dass die Reife der Technologie im öffentlichen Sektor als noch nicht ausreichend bewertet wird, weshalb es zu keinen klaren Entscheidungen für neue Plattformen komme. 

Auf Ebene der Haushalte identifizieren die Autoren nicht klar erkennbare Business Cases als große Herausforderung, weshalb der Nutzen für die Behörden immer noch unklar bleibt. Zudem fehle generell der Druck, sich mit dem Thema auseinandersetzen zu müssen.

Helmut Nehrenheim, Leiter des Koordinierungsprojekts Blockchain beim Bund-Länder-Gremium IT-Planungsrat wünscht sich ein Umdenken: „Oft wird in der Diskussion unter dem Motto agiert: Blockchain ist die Lösung, jetzt suchen wir das Problem.“ Die Verwaltung müsse darüber hinaus denken. Denn die Blockchain-Technologie habe durchaus das Potential, „neue Wege der Zusammenarbeit“ auf nationaler wie auf europäischer Ebene zu schaffen. „Nutzerzentrierte digitale Identitäten zusammen mit digitalen Nachweisen auf Basis neuer Standards wären dafür ein Beispiel.“

Entwicklungsministerium mit Vorzeigeprojekt

Auf Bundesebene, so die Autoren, gebe es aktuell insgesamt 19 Blockchain-Vorhaben. Das Vorzeigeprojekt kommt aus dem Bundesentwicklungsministerium (BMZ): Mit dem Blockchain-basierten Tool TruBudget soll die Transparenz bei den Förder- und Entwicklungsgeldern erhöht werden. Das Projekt, das zur Blockchain-Strategie der Bundesregierung gehört, ist laut den BearingPoint-Beratern das einzige Vorhaben, das sich beim Bund bereits im Live-Betrieb befindet (Reifegrad 8).

Mit TruBudget können Entwicklungsprojekte „transparent und fälschungssicher für alle Projektteilnehmer“ auf einer gemeinsamen Plattform verwaltet werden. Etwa alle Beschaffungen oder Auszahlungen im Rahmen eines Vorhabens werden in der Blockchain abgebildet. TruBudget wurde diesen Sommer über die KfW-Entwicklungsbank in der Finanzverwaltung Georgiens pilotiert und eingeführt. Über die Plattform werden nach aktuellem Stand zwei Entwicklungsvorhaben mit einem Volumen von rund 200 Millionen Euro abgebildet. Perspektivisch könnte Deutschland die Software als Bedingung für deutsche Entwicklungshilfe einführen, so die Experten.

Dahinter folgen auf Bundesebene zwei Projekte aus dem Bundesverkehrsministerium (BMVI): Zum einen ein Vorhaben zur Digitalisierung von Frachtbriefen auf Blockchain-Basis (Reifegrad 7; Live-Betrieb mit eingeschränkter Pilotnutzergruppe) und zum anderen eine Initiative zur Standardisierung von Kommunikationsprotokollen und Schnittstellen zwischen Lastkraftwagen und der umliegenden Straßeninfrastruktur durch Smart Contracts (Reifegrad 6; Minimum Viable Product). 

Das Projekt „AnkEr“ des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), das den Asylprozess durch Blockchain sicherer und transparenter gestalten soll, teilt sich mit einem BMWi-Projekt für ein Smart-Contract-Register für die Energiewirtschaft (beide Reifegrad 5; Machbarkeitsnachweis oder Prototyp liegt vor) den vierten Platz.

Erfolgreiche Länderprojekte

Auf Ebene der Länder laufen zwar die meisten Projekte in Nordrhein-Westfalen, Bayern weist allerdings für seine sechs identifizierten Vorhaben den durchschnittlich höchsten Reifegrad aus. Am weitesten fortgeschritten sei dabei ein Vorhaben zur „Verifikation von Zeugnissen mit der Blockchain“ (Reifegrad 7). Zudem befinde sich ein Projekt für notarielle Vollmachten und Erbscheine auf Blockchain-Basis bereits in Vorbereitung (Reifegrad 5). Das Vorzeigeprojekt auf Länderebene kommt dennoch aus NRW. Es handelt sich dabei um ein Projekt zur Validierung von Open Data (Reifegrad 7).

Auf das Land Sachsen gehen die Studienautoren nochmal extra ein. Dort wurde nämlich bereits im Juni 2017 in der Stadt Mittweida ein Blockchain Competence Center ins Leben gerufen, das durch das Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr gefördert wird. „Sachsen sollte zum Leuchtturm für die Blockchain-Technologie in Deutschland werden“, so die Studie. Dieses Ziel sei in der aktualisierten Digitalisierungsstrategie des Landes 2019 noch einmal wiederholt worden, für 2021 steht ein Zwischenfazit auf dem Plan. „Der nationale Leuchtturm“, schreiben die Experten, „steht metaphorisch bis dahin als Wegmarke eher regional am Cospudener See.“

Internationale Beispiele

In der Studie werden zudem noch anderen erfolgreiche Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum und anderen Teilen der Welt angeführt. Etwa der Wiener „Kultur-Token“, der für den diesjährigen E-Government-Wettbewerb nominiert ist, der nächsten Dienstag in Berlin vergeben wird. Das Projekt erlaubt es den Bewohnern der österreichischen Bundeshauptstadt über das Mobiltelefon Punkte zu sammeln, wenn sie zu Fuß gehen, mit dem Fahrrad fahren oder den öffentlichen Verkehrt nutzen. Die gesammelten Token können dann in Kultureinrichtungen wie einem Museum oder Theater eingelöst werden. Die App und das Punktesystem laufen auf Blockchain-Basis.

Ein anderes Blockchain-Projekt aus Österreich nimmt ebenfalls am E-Government-Wettbewerb teil: Die Stadtgemeinde Scheibbs entwickelte gemeinsam mit dem österreichischen Bundesrechenzentrum (BRZ) eine Virtual-Reality-Lösung für digitale Bürgerpartizipation. Innerhalb einer 3D-Umgebung können Bürgerinnen und Bürger neue Bauvorhaben besichtigen und noch während des virtuellen Rundgangs elektronisch für das favorisierte Modell abstimmen. Die Stimmabgabe ist nur für Bewohnerinnen und Bewohner der Stadt Scheibbs möglich, da diese vor Start der Abstimmungsphase einen Token bekommen. Der Token fungiert als Stimmkarte, ist nur einmal verwendbar und garantiert eine anonyme Abstimmung.

Erwähnt wird auch das E-Voting-Projekt auf Blockchain-Basis in der Schweizer Stadt Zug. Dort wurden digitale Identitäten im öffentlichen Blockchain-Netz geschaffen, mit denen die Bürgerinnen und Bürger abstimmen können. Ein internationales Vorzeigebeispiel von außerhalb des deutschsprachigen Raumes kommt aus den Philippinen. Das dortige Bildungsministerium schob mit Hilfe der deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Projekt für digitale Lehrzertifikate an.   

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