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Eine Krankenschwester legt einen Zugang für eine Infusion.

© imago/Jochen Tack

Novartis-Chefin zur Gesundheitspolitik: "In den USA zahlt der Patient nur bei Heilung“

Ein Interview mit Novartis-Managerin Sidonie Golombowski-Daffner über teure Therapien, neue Medikamente und Bezahlmodelle.

Sidonie Golombowski-Daffner (53) ist Chefin von Novartis Deutschland. Nach dem Studium der Biochemie wollte sie zunächst in die Forschung, ging dann aber in die Beratungsbranche. Sie war für Roland Berger in den USA, arbeitete für den Pharmakonzern Sanofi-Aventis in Paris. Seit April 2017 leitet sie das Novartis-Deutschlandgeschäft von Nürnberg aus. Was ein Heimspiel für die gebürtige Landshuterin ist. Novartis mit Sitz in Basel entstand 1996 durch die Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz. Mit einem Umsatz von 49,1 Milliarden Dollar ist er einer der weltweit größten Pharmakonzerne. Deutschland ist nach den USA der zweitgrößte Markt.

Frau Golombowski-Daffner, die Deutschland-Zentrale von Novartis ist in Nürnberg. Wann ziehen Sie nach Berlin um?

Wir sind schon seit Langem in Nürnberg und fühlen uns dort sehr wohl. Außerdem haben wir 14 Standorte in ganz Deutschland, auch in Berlin. Hier ist unser Hauptstadtbüro.

Reicht das, wenn die Bundesregierung in Berlin sitzt?

Ich bin oft in Berlin – beim Pharmaverband oder in Ausschüssen. Uns liegt besonders am Herzen, dass der Dialog der Politik mit der Pharmaindustrie fortgesetzt wird. Wir müssen uns wirtschaftspolitisch positionieren und klarmachen, dass wir ein interessanter Arbeitgeber sind. Und in der Gesundheitspolitik ist es wichtig, nicht nur über Preise zu sprechen, sondern auch über die Innovationen, die wir bringen. Aber das geht auch, ohne in Berlin zu sitzen.

Kennen Sie den neuen Gesundheitsminister Jens Spahn persönlich?

Nein. Ich glaube, man sollte ihm erst einmal ein bisschen Zeit lassen.

Was sind Ihre drei größten Wünsche an Jens Spahn?

Dass der Pharmadialog weitergeht, wo sich Politik und Industrie offen begegnen können, dass der Wertbeitrag der Pharmaindustrie anerkannt wird und dass die Digitalisierung vorangetrieben wird.

Hoffen Sie auch darauf, dass Sie für Ihre Medikamente mehr Geld verlangen dürfen?

Es gibt in Deutschland ja einen geregelten Prozess für die Preisbildung. Der Gemeinsame Bundesausschuss bewertet, ob ein neues Präparat wirksamer ist als eine Vergleichstherapie. Der Spitzenverband der Krankenkassen verhandelt dann mit dem Arzneimittelhersteller den Preis.

Aber im ersten Jahr, in dem eine Therapie neu auf dem Markt ist, können Sie doch verlangen, was Sie wollen.

Ja. Nur durch Vorlage von Daten, die die Wirksamkeit der Therapie belegen, können wir langfristig eine angemessene Vergütung für unsere Innovation erzielen.

In den USA haben Sie das Krebsmedikament Kymriah auf den Markt gebracht. Eine Behandlung kostet 475.000 Dollar. Das ist eine Menge Geld.

Die Therapien der zugrunde liegenden Erkrankung sind heute klassische Chemotherapien, biologische Tumortherapieformen und Stammzelltransplantation, die auch sehr teuer sind. Die Therapie ist gedacht für eine sehr kleine Gruppe von Patienten, nämlich Kinder und junge Erwachsene mit Blutkrebs, die bereits zwei oder drei gescheiterte Vortherapien hinter sich haben. Das Produkt basiert auf der Gentherapie und wird für jeden Patienten einzeln hergestellt. Das ist etwas anderes als eine Tablette gegen Bluthochdruck.

Die Pharmaunternehmen entwickeln immer häufiger Therapien für einige, wenige Patienten, die sehr teuer sind. Kommen die Krankenkassen da nicht an ihre Grenzen?

Wir gehen in den Bereich „unmet medical need“, also in Bereiche, in denen bisher keine geeigneten wirksamen Therapien zur Verfügung stehen.

Muss man dann aber nicht auch über neue Abrechnungsmodelle nachdenken? Etwa dass Novartis nur dann Geld bekommt, wenn der Patient geheilt ist?

Natürlich. In den USA ist das bei Kymriah bereits der Fall.

Ist das ein Modell für Deutschland?

Das ist eine berechtigte Frage. Ich kann zu diesem Zeitpunkt noch keine konkrete Aussage dazu treffen.

Wann kommt das Produkt nach Deutschland und was wird es hier kosten?

Ich vermute, das wird im dritten Quartal dieses Jahres sein. Für Aussagen über den Preis ist es jetzt zu früh. Ich möchte aber eines zu bedenken geben: In Deutschland werden zu 80 Prozent sehr preisgünstige Generika, also Therapien, deren Patentschutz abgelaufen ist, verordnet. Die Kassen haben einen Überschuss von 27 Milliarden Euro.

Sidonie Golombowski-Daffner ist seit April 2017 Chefin von Novartis Deutschland.

© Doris Spiekermann-Klaas

Was sind die größten Hoffnungsträger von Novartis?

Wir sind das größte Pharmaunternehmen in Deutschland und einer der größten Pharmakonzerne der Welt. Wir sind sehr breit aufgestellt. Kymriah ist für die Onkologie wichtig, aber wir werden in diesem Jahr noch ein weiteres, sehr wichtiges Produkt auf den Markt bringen, ein Mittel zur Vorbeugung von Migräne. Wichtig sind für uns auch Biosimilars.

Das sind biotechnologische Arzneimittel, die Biopharmazeutika nachahmen, deren Patente abgelaufen sind. Biosimilars sind zwar billiger als die Originalpräparate, aber verglichen mit Generika immer noch ziemlich teuer. Ist Besserung in Sicht?

Das kann man nicht vergleichen. Biopharmazeutische Forschung und Entwicklung kostet viel Geld. Das gilt für Originalpräparate wie für Biosimilars.

Auf dem Pharmamarkt herrscht eine riesige Konkurrenz. Wie bringen Sie Ärzte und Kliniken dazu, Novartis-Produkte zu verschreiben oder einzusetzen?

Wir sind innovativ, und wir können exzellente Daten für unsere Produkte liefern.

In Griechenland soll Novartis 50 Millionen Euro Bestechungsgelder gezahlt haben, um mit Hilfe von Regierungsvertretern die Preise hochzutreiben …

Mir ist eines wichtig: In der hochpolitischen Debatte, die derzeit in Griechenland geführt wird, gibt es kein einziges Verfahren gegen einen Novartis-Vertreter. Niemand aus unserem Unternehmen ist angeklagt. Dennoch untersuchen wir die Vorwürfe natürlich sehr genau. Sollten unsere hohen internen Standards nicht eingehalten worden sein, ziehen wir klare Konsequenzen.

Der Skandal bestätigt alle Vorurteile, die man gegen die Pharmaindustrie hat. Müssen Sie transparenter machen, wie Ihre Preise zustande kommen?

Aus meiner Sicht sind wir durchaus transparent. Wir legen Daten vor, die beweisen, welchen Zusatznutzen unsere neuen Präparate haben, und wir verhandeln dann mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung über unsere Preise.

Es wird darüber nachgedacht, dieses System der Nutzenbewertung europaweit auszudehnen. Wäre das gut für Sie?

Wenn das mit einer besseren Verzahnung der Zulassungsprozesse einhergehen würde, wäre das eine Vereinfachung.

Die europäische Arzneimittelbehörde EMA zieht von London nach Amsterdam. Man rechnet damit, dass die Behörde wegen des Umzugs einige Monate nicht voll arbeitsfähig ist. Eine Katastrophe für Sie?

Ein Medikament neu auf den Markt zu bringen, ist ein komplexer Prozess, der lange im Voraus geplant wird. Wenn man das drei Monate verschieben muss, verursacht das schon Probleme, aber wir sind zuversichtlich, dass die Business Continuity-Pläne der Behörde funktionieren werden. Schlimmer wäre es aber bei schon bereits zugelassenen Medikamenten. Hier müssen die Pharmaunternehmen laufend Meldung über unerwünschte Nebenwirkungen machen, die dann von der Ema weltweit an andere Behörden weitergeleitet und ausgewertet werden. Wenn drei Monate lang keiner auf diese Daten schaut, kann dies das Nutzen-Risiko-Profil der Produkte beeinträchtigen und Patienten könnten gefährdet werden. Das wäre fatal.

Der Senat hat versucht, die Ema nach Berlin zu holen. Das hat nicht geklappt. Wäre es für die deutsche Pharmaindustrie von Vorteil, wenn die Ema in Deutschland wäre?

Für den Standort Berlin wäre es bestimmt gut gewesen, die vielen gut bezahlten Ema-Mitarbeiter in die Stadt zu holen. Für die Branche ist der Sitz zweitrangig.

Der neue Novartis-Konzernchef Vasant Narasimhan möchte die deutsche Tochter zum Vorreiter der Digitalisierung machen. Wie kann das gehen, wenn schnelles Internet für viele Gemeinden nach wie vor ein Fremdwort ist?

Deutschland ist ein Land mit großem Datenschatz.

Aber ohne Leitungen.

Wir sind dennoch für viele Novartis-Projekte das Pilotland. Wir haben beispielsweise mit der Krankenkasse Knappschaft ein Projekt, in dem 1000 herzkranke Menschen regelmäßig überwacht werden. Sie werden gewogen, um Wassereinlagerungen zu bemerken, und werden täglich nach ihrer Befindlichkeit gefragt. Bei Problemen meldet sich eine Krankenschwester und hilft. Das soll teure Krankenhausaufenthalte vermeiden.

Was haben Sie davon? Nehmen diese Patienten Medikamente aus Ihrem Haus?

Das Projekt ist nicht mit unseren Produkten verknüpft. Einige Patienten nehmen unsere Mittel, andere Konkurrenzpräparate. Wir wollen zeigen, dass die Digitalisierung die Versorgung verbessern und teure Einweisungen in Kliniken vermeiden kann. Der richtige Patient soll das richtige Präparat zur richtigen Zeit und für die richtige Dauer bekommen.

Was machen die Patienten, die auf dem Land leben und deren Daten nur im Schneckentempo übertragen werden? Sind die nicht schon kollabiert, bevor die Krankenschwester eingreifen kann?

Die Daten werden über das Telefon übertragen. Das ist momentan schneller und sicherer.

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