zum Hauptinhalt
Die Musterwohnsiedlung "Nowe Zerniki" ist durchdacht bis ins Detail. 

©  nowezerniki.pl

Wohnungsbau in Polen: Breslau baut die Modellsiedlung "Nowe Zerniki"

Bald können 10 000 Menschen am Stadtrand Wroclaws nach einem Plan von Mastermind Zbigniew Mackow Platz finden. Versprochen werden erschwingliche Preise.

Breslau war einmal Avantgarde. Vor neunzig Jahren wurde hier im Rahmen der Werkbundausstellung Wohnung und Werkraum (WuWa) eine Musterwohnsiedlung errichtet. Man kann sie heute noch besichtigen. Zwischen den beiden Weltkriegen ging es – vor der Gründung des Bauhauses – darum, Städte von dunklen, stickigen Räumen und überladenen Fassaden zu befreien. Die Architekten setzten damit 1929 neue Maßstäbe. Diesen Gedanken hat die Stadt, die heute – zu Polen gehörig – Wroclaw heißt, unter Franciszek Dutkiewicz wieder aufgenommen. Der 2017 mit dem Deutschen Nationalpreis ausgezeichnete ehemalige Solidarnosc-Aktivist war von 2002 bis 2018 Oberbürgermeister von Wroclaw.

Eine Gruppe von rund vierzig ortsansässigen Architekten arbeitet seit Dezember 2011 an einer neuen Modellsiedlung. Sie heißt Nowe Zerniki (Neu-Zernik) und liegt unweit des städtischen Stadions, im westlichen Teil der Stadt, südlich der Magistrale Kosmonautów. Stadtplaner und Architekten wollen hier eine Alternative zum Einerlei der rasch nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten Plattenbausiedlungen entwickeln, die vor allem das Straßenbild im stark zerstörten Süden bestimmen.

Entworfen von den besten Architekten in Breslau, soll WuWa2 einmal mehr eine Wohnsiedlung werden, die den Bedürfnissen moderner Stadtbewohner entspricht. Es geht um den Aufbau sozialer Bindungen und die Standards ökologischen Bauens. Nowe Zerniki ist ein Projekt, das gemeinsam von der polnischen Architektenkammer Niederschlesien (Wroclaw) in Zusammenarbeit mit der Niederlassung des Verbandes Polnischer Architekten (SARP) in Wroclaw organisiert wurde.

„Wroclaws Baumeister“

Einer, der den Masterplan in seiner Zeit als Vorsitzender des Rates der niederschlesischen Architektenkammer, Wroclaw, organisatorisch vorangetrieben hat, ist Zbigniew Mackow. Er ist das bekannteste Architekt in Breslau, „Wroclaws Baumeister“, wie er scherzhaft in seiner Branche genannt wird.. „Wir Architekten taten uns in Workshops zusammen und arbeiteten mehrere Monate für lau.“, sagt er: „Wir schufen einen Masterplan. Die Stadt übernahm den Plan und legte ihn über den Flächennutzungsplan. Dann schuf die Stadt die Infrastrukturen: das Wasser- und Straßennetz undsoweiter. Die Stadt, der der Boden gehört, verkaufte die Bauplätze mit dem Konzept, das wir entwickelt hatten. Es gibt mehrere Ausbaustufen. Die Projektentwickler bauen nach unseren Plänen. Im Moment sind es mehr als 1000 Wohneinheiten.“

Mackow gründete nur zwei Jahre nach seinem Abschluss sein eigenes Atelier – Mackow Pracownia Projektowa. Mackow steht für das Fehlen eines entschlossenen Stils. Er ist ein Anhänger des Genius Loci – des Geistes des Ortes – und sucht nach einer Beziehung zum umgebenden Raum, die nicht nur eine enge Verbindung der vorgeschlagenen Einrichtung mit dem vorhandenen „Gewebe“ zulässt, sondern auch einen kreativen Dialog mit der Kulturlandschaft herstellt. Für Mackow ist es kein Problem, dass am Rande des neuen Stadtviertels ein altes Tierheim aus Beton den Zeitläuften getrotzt hat. Gebaut nach Plänen des deutschen Architekten Richard Konwiarzis, der bis 1945 in leitender Funktion in der Stadtverwaltung tätig war und unter anderem am Bau der Jahrhunderthalle mitwirkte, soll dieser Trumm als künstlerisches Kraftzentrum in das Quartier Nowa Zerniki integriert werden.

Architekt Zbigniew Mackow ist maßgeblich an diesem Projekt beteilig.
Architekt Zbigniew Mackow ist maßgeblich an diesem Projekt beteilig.

© Reinhart Bünger

Mit alten Gebäuden hat Mackow Erfahrung. Für seine Erweiterung des Kaufhauses „Renoma“ im Stadtzentrum Wroclaws erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Das Warenhaus wurde zwischen 1928 und 1930 an der damaligen Schweidnitzer Straße und am Tauentzienplatz als Kaufhaus Wertheim errichtet. Gezeichnet wurde es damals nach Plänen des Architekten Hermann Dernburg. Dies war das größte Warenhaus der Stadt. Und es konnte mit den ersten funktionierenden Rolltreppen Schlesiens für sich werben.

„Wroclaws Stadtoberhaupt Dutkiewicz und ich waren darin überein gekommen, ein spezielles Programm zu entwickeln, hübsch und schnell zu bauen. Es ging auch darum, erschwingliche Wohnungen zu schaffen“, sagt Mackow zu den Planungen für Nowe Zerniki: „Mehr oder weniger bauten wir auf der Annahme auf, dass der Stadt das Land gehört.“ Der Hauptinvestor ist also die Stadt Wroclaw, die Geschäftsführung liegt beim städtischen Unternehmen Wroclawskie Inwestycje. Die Wasser- und Energieunterunternehmen MPWiK und Fortum sind ebenfalls beteiligt. Die Stadt gab rund 37 Millionen polnische Zloty für die Modellsiedlung aus. Das entspricht in etwa 8,6 Millionen Euro. Einen großen Teil davon konnte die Skanska für sich verbuchen, ein multinationales Bauunternehmen aus Schweden, das für den Bau von Straßen, Gehsteigen, Parkplätzen, Grünflächen, der Wasserversorgung und öffentlicher Infrastruktur verpflichtet wurde.

 Vorbild Hafen City

Unter diesen Voraussetzungen bereitete die Stadt also etappenweise Ausschreibungen für den Verkauf von Grundstücken und zugleich neue Baufelder vor. Geplant sind zudem Bürogebäude, die die Bewohner vor dem Lärm der Umgehungsstraße schützen. Natürlich wird darauf geachtet, dass Wasserversorgungs-, Abwasser-, Energie-, Heizungs- und Telekommunikationsnetze fertig sind, ehe gebaut wird. Über eine Straßenbahnlinie ist Nowe Zerniki bereits an das alte Stadtzentrum Breslaus angebunden – zwanzig Minuten dauert die Fahrt.

In der Mitte des Quartiers hat der polnische Bauprojektentwickler Archicom ein vierstöckiges Gebäude errichtet. Es hat 69 Wohnungen, Serviceeinheiten, Parkmöglichkeiten für Fahrräder und Garagenplätze, die in die Erdgeschosszonen integriert wurden. Eine Dachterrasse und ein Fitnessclub stehen den Bewohnern ebenfalls zur Verfügung. Die höchsten Strukturen haben acht Stockwerke.

Eingekauft haben sich mit acht Wohngebäuden der Projektentwickler Blockpol und das Aktienunternehmen Vantage Development, das ebenfalls einen Wohnkomplex errichtet.

„Wir haben von der Hamburger Hafencity gelernt“, sagt Mackow, „wir wollten keine Gentrifizierung. Das Hamburger Projekt ist einfach zu teuer. Wir setzen nicht auf Investoren, auf institutionelle Anleger, wir setzen auf Baugruppen und Genossenschaften, auf privates Geld.“ Drei Baugrundstücke wurden in der ersten Ausbaustufe an Wohngenossenschaften vergeben. Es soll kein einförmiges Quartier entstehen, wie in der deutschen Hansestadt. Eine lokale Identität, die Verbundenheit mit dem Ort werden großgeschrieben. „Neben dem Altenheim entsteht ein Kindergarten – Alt und Jung zusammen, Sie verstehen?!“

Nowe Zerniki entsteht auf dem platten Land und kommt dennoch schwungvoll daher, mit vielen kleinen Plätzen und grünen Erdhügeln, in denen sich Garagen verbergen. Insgesamt geht es um ein Gebiet von etwa 200 Hektar; 10000 Menschen könnten hier einmal ihren Platz finden, heute sind es vielleicht 3000. Die Umsetzung des ersten Bauabschnitts der Siedlung Nowe Zerniki ist in der Endphase. Die Mustersiedlung wird noch eine eigene Tram bekommen und natürlich auch ein Hospital.

Straßen, Plätze, private und öffentliche Höfe sind so angelegt, dass eine klare Raumabstufung entsteht. Dies alles ohne Zäune. Zwischen den Gebäuden finden sich immer wieder Gemeinschaftszonen oder -einrichtungen wie zum Beispiel Spielplätze. Es gibt öffentliche und halböffentliche Räume – die Anlage erlebt der Besucher als sehr abwechslungsreich und anregend.

5000 Zloty pro Quadratmeter

Nowe Zerniki erhielt 2016 für die entwickelten Lösungen den Hauptpreis der ISOCARP – einer Organisation mit Sitz in Den Haag, die Planer und Stadtplaner aus über achtzig Ländern zusammenbringt. Gelobt wurde, dass die Hauptachsen der Wohnsiedlung als grüne Gassen konzipiert sind, in die Geschäfte dezent integriert werden.

Wroclaw, 2016 Kulturhauptstadt Europas, ist eine sehr junge Stadt. Unter den 600000 Einwohnern sind rund 100000 Studenten – und viele Arbeiter aus der Ukraine. „Wir leiden darunter, dass wir nicht genug Arbeitskräfte haben, um zu bauen“, sagt Mackow. „Unsere Leute sind in Großbritannien, oder in anderen Ländern West-Europas. Wenn Du als Architekt auf eine Baustelle in Wroclaw kommst, hörst du nur Russisch oder Ukrainisch.“ Laut Statistik soll es rund 100000 Ukrainer in Wroclow geben, die in einfachen Arbeiterwohnheimen leben. Offiziell beträgt der Zuzug in die Stadt nur 0,5 Prozent im Jahr, doch Mackow bezweifelt diese Zahl.

Die Baukosten sind auch infolge des Zuzugs immens gestiegen. „2500 bis 2000 Zloty betrugen bisher die Baukosten für einen Quadratmeter ohne Grundstückskosten. Das ist zwei, drei Jahre her“, sagt der Architekt. Apartments wurden verkauft für 5000 bis 5500 Zloty pro Quadratmeter – also rund 1170 Euro. Heute liegt der günstigste Preis bei 7000 Zloty (1600 Euro). „Aber in Polen gibt es einen wesentlichen Unterschied zu Deutschland“, so Mackow: „Wir verkaufen im Rohbauzustand.“ Das bedeutet: Das Apartment hat keine Badarmaturen, keine Böden, keine Küche, keinen Anstrich. Man muss heute also noch einmal um die 1000 Zloty pro Quadratmeter für das Finishing hinzurechnen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false