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Bauen, bauen, bauen. Ein Baugerüst steht an einem Rohbau in Schöneberg. 

© dpa

Wohnen in der Hauptstadt: Berlin plant 100.000 Wohnungen zu wenig

Wie viele neue Wohnungen braucht Berlin wirklich? Der Stadtentwicklungsplan Wohnen 2030 geht laut SPD–Fachausschuss von falschen Berechnungen aus.

Berlin rechnet bei der Ermittlung des fehlenden Wohnraums mit falschen Zahlen. Das jedenfalls hat der Fachausschuss VIII „Soziale Stadt“ beim SPD-Landesvorstand in seiner Sitzung am Mittwoch herausgearbeitet: „Die Bedarfsrechnung des Stadtentwicklungsplans (StEP) Wohnen 2030 fußt auf überholten Zahlen, deren Verwendung großen Schaden für die Berliner Wohnungsversorgung verursachen wird“, heißt es in einer internen Stellungnahme, die dem Tagesspiegel vorliegt. Darin wird dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) und den sozialdemokratischen Senatoren „dringend empfohlen“ dem vorliegenden Entwurf im Senat nicht zuzustimmen.

Der Entwurf soll im zweiten Quartal 2019 in den Senat eingebracht werden, liegt jedoch zur Zeit nach Tagesspiegel-Informationen in der Senatskanzlei auf Eis. Wegen des Themas Kleingärten gibt es noch Gesprächsbedarf. Der Plan sieht derzeit auch die „Bauliche Nutzung grüner Bauflächenpotentiale“ vor. Auf bisherigen Grünflächen könnten 10.000 Wohnungen entstehen. Erfasst wurden dabei vor allem landeseigene Kleingärten. Doch hatte sich die rot-rot-grüne Koalition darauf verständigt, dass Kolonien nicht zugunsten des Wohnungsbaus geschlossen werden. Sie sollten – so hieß es noch im März – bis 2030 geschützt werden.

Nach den Berechnungen könnten bis 2030 in der Stadt 199.000 zusätzliche Wohnungen geschaffen werden – durch Nachverdichtung von Wohnsiedlungen und die Aufstockungen von Wohnhäusern. Offiziell heißt es bei Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: „Um sowohl dem Bevölkerungszuwachs gerecht zu werden, als auch den Wohnungsmarkt zu entspannen, müssen bis 2030 insgesamt 194 000 Wohnungen entstehen.“ Diese Zahl ergibt sich, so der Senat, aus der Bevölkerungsprognose (117.000 Wohnungen für 181.000 Menschen, einschließlich 24.000 Geflüchtete) und dem Nachholbedarf der Jahre 2013 bis 2016.

Falsche Signale für die Stadt

Mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung heißt es in dem SPD-Papier: „Wahrscheinlich wird die Prognosezahl für 2030 bereits 2021 erreicht, also neun Jahre früher.“ Konsequenterweise müsse die Prognose für 2030 auf ein nach gegenwärtiger Kenntnis plausibles Niveau angehoben werden. „Tatsächliche Entwicklung und Prognose klaffen meilenweit auseinander!“, so Fachausschussvorsitzender Volker Härtig.

Derzeit geht die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen davon aus, dem Senat eine neue Bevölkerungsprognose gegen Ende des ersten Halbjahrs vorzulegen.

Der StEP rechnet derzeit mit der mittleren Variante einer Bevölkerungsprognose aus, die im Februar 2016 erarbeitet und im Juni 2017 per Senatsbeschluss noch mal bestätigt sowie als Grundlage für alle Planungen festgelegt wurde. Danach soll Berlin im Jahr 2030 3 828 000 Einwohner haben. Ende 2018 zählte Berlin jedoch bereits 3 748 000 Einwohner, war also nur noch 80 000 Einwohner von der Prognose für 2030 entfernt, so der Ausschuss. Er weist auf externe Berechnungen von Wirtschaftsforschungsinstituten hin, die für 2030 eine Einwohnerzahl von etwa vier Millionen annehmen.

„Geht man von etwa vier Millionen Einwohnern im Jahr 2030 aus und setzt man diese Zahl in die Wohnungsbedarfsberechnung des StEP Wohnen 2030 ein, müssen nicht 194 000 Wohneinheiten gebaut werden“, so die SPDler, „sondern etwa 100 000 mehr. Damit ist offensichtlich, dass der vorliegende Entwurf des StEP den tatsächlichen Wohnungsbedarf völlig unzureichend abbildet.“ Der Entwurf unterstelle zudem ab 2022 einen starken Rückgang bei den Genehmigungs- und Realisierungszahlen, die auf weniger als ein Drittel des gegenwärtigen Niveaus schrumpfen sollten. Doch verlasse man sich offenbar „viel zu früh“ auf niedrige Bedarfszahlen, setze mithin „angesichts des anhaltenden Bevölkerungswachstums völlig falsche Signale für die Stadtentwicklungspolitik“. In dem gut 100 Seiten starken Papier heißt es, ab Mitte des nächsten Jahrzehnts werde die Dynamik abnehmen.

Dem Gemeinwohl verpflichtet

„Die Senatsprognose hat nicht nur die tatsächliche Bevölkerungsentwicklung in den letzten beiden Jahren eklatant unterschätzt, sie geht zudem für die weitere Zukunft von ständig sinkenden Zuwächsen aus, die ab 2026 nur noch 5000 Einwohner pro Jahr betragen sollen“, schreibt Härtig in der Zusammenfassung der Analysen des Fachausschusses: „Im Ergebnis gäbe es dann keinen Wanderungsgewinn mehr, weil der Zuwachs nur noch aus dem Geburtenüberschuss bestehen würde. Für diese gravierende Annahme gibt es keine plausible Erklärung, sie ist willkürlich.“

Kritisch setzt sich der Fachausschuss VIII Soziale Stadt beim SPD-Landesvorstand mit der im StEP-Entwurf betonten Idee auseinander, er könne den Nachweis führen, dass von den insgesamt errechneten 194.000 neuen Wohnungen, die für nötig erachtet werden, mit 100.000 etwa die Hälfte „im gemeinwohlorientierten Bereich“ geschaffen werden könnten. Grundstücke im Landeseigentum könnten hingegen „höchstens ein Viertel“ der benötigten Potentialflächen ergeben.

Zum „gemeinwohlorientierten Bereich“werden Neubauwohnungen städtischer Wohnungsbaugesellschaften gezählt, Neubauwohnungen von Genossenschaften sowie Neubauwohnungen sonstiger „gemeinwohlorientierter Träger“ und jene privater Eigentümer, soweit sie im Rahmen des geförderten Wohnungsbaus errichtet werden.

Die Kategorie „gemeinwohlorientiert“ sei unscharf und stempele andere Neubauvorhaben als nicht gemeinwohlorientiert ab, schreibt der Ausschuss und weist darauf hin, dass die im StEP-Entwurf genannten Gruppen von Wohnungen unabhängig von ihrer Miethöhe als gemeinwohlorientiert eingestuft werden.

„Die Unterscheidung in vermeintlich „gemeinwohlorientiert“ und „privatnützig“ wirkt sich in der Planungspolitik Berlins negativ aus, wie der Verzicht auf viele Hundert geplanter, frei finanzierter Wohnungen (vgl. Postgiroamt, Bockbrauerei in Kreuzberg u.a.) bereits zeigt.“

Motiv und Berechtigung, den privaten Wohnungsbau als „nicht gemeinwohlorientiert“ zu bezeichnen, seien fragwürdig, meinen die im Fachausschuss versammeltn Genossen: „Ist es in einer demokratischen Gesellschaft überhaupt zulässig, den Begriff „Gemeinwohl“ per Definition für bestimmte Bevölkerungsgruppen, etwa einkommensschwächere Haushalte zu reservieren?“

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