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Der Fußboden des Amsterdamer Bürogebäudes „Edge Olympic“ wurde aus alten Fassadenplatten zusammengetragen. Der Clou aber ist die Gebäudetechnik. Eingebaut wurden intelligente Decken, die neben Sauerstoffgehalt, Luftfeuchtigkeit und Temperatur so ziemlich alles messen können, was Kopf und Seele freier machen könnte. Eine Aufwands- und Ertragsrechnung können die Betreiber mit Blick auf eingesetztes Material und Betrieb des grünen Vorzeigebaus im Vergleich zu traditionellen Bürogebäuden indes nicht vorlegen. Die Herstellungskosten sollen ähnlich hoch sein.

© Reinhart Bünger

Green Buildings: Ohne Moos weniger los

Anleger investieren gerne in grün etikettierte Immobilien - ob die Umweltkriterien auch erfüllt werden, ist offen

Von Frank Stollhoff

Das Pariser Klimaschutzabkommen, dem die Amerikaner unter Joe Biden wieder beitreten wollen, und die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung setzen strikte Ziele für eine an Nachhaltigkeit ausgerichtete Wirtschaft. Ökonomischer Fortschritt sollte immer sozial, gerecht und ökologisch verträglich sein. Recht so! Diese Selbstverständlichkeit gilt in der Bau- und Immobilienbranche aber noch lange nicht. Bauen und Immobilien sind nicht umweltfreundlich!

Bauen verbraucht immer noch 50 Prozent aller natürlichen Ressourcen. 60 Prozent aller Abfälle und 40 Prozent aller Treibhausgase werden bei der Gebäudeherstellung und bei der Gebäudenutzung erzeugt. Besonders schlimm ist es bei Gewerbeobjekten, wie Büro-, Einzelhandels- und Hotelimmobilien. Es gibt in Deutschland drei Millionen Gewerbeimmobilien („Nichtwohnhäuser“), dies sind 12 Prozent des gesamten deutschen Gebäudebestandes. Diese 12 Prozent Gewerbeimmobilien verbrauchen aber 40 Prozent des Gesamtenergiebedarfs aller deutschen Gebäude. Dies zeigt den Handlungsbedarf.

Auch die soziale Gerechtigkeit lässt zu wünschen übrig. Baustoffe aus Asien – wie Natursteine aus China zum Beispiel – werden oft unter Einsatz von Kinderarbeit erzeugt. Diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Das soziale und grüne Gewissen tut sich damit schwer.

All dies ist hinlänglich bekannt und folglich gibt „Grün“ die Richtung vor. Alle Neubauten werden heutzutage „Niedrigenergiehäuser“ und „Green Buildings“ genannt. Die technische Ausrüstung ist teuer und ausgereizt. Intelligente Energetik und Smart-Meter-Technologien haben Hochkonjunktur. Die Verwendung von umweltfreundlichen Baumaterialien, Methoden zur Steigerung der energetischen Gebäudeeffizienz sowie Maßnahmen zur Minderung des Gebäude-Primärenergieverbrauchs werden durch Öko-Zertifikate dokumentiert.

"Grün" gibt die Richtung vor

Zertifizierungsstellen sind die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB), das amerikanische „Leadership in Energy and Environmental Design“ (LEED) und das britische BREEAM-Zertifikat. Diese Zertifikate sind kostspielig und besagen bei genauer Betrachtung: meist wenig. Denn exakte Vergleichsdaten der Immobilien mit Öko-Zertifikat zu Häusern in konventioneller Bauweise gibt es oft nicht.

Gewerbliche Anlageimmobilien und Finanzprodukte für Immobilienanlagen werden heutzutage immer mit einem bunten Strauß von „ESG-Kriterien“ umflochten. „ESG“ steht für „Environmental, Social and Government“, d.h. für „Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung“. Was sich dahinter verbirgt, ist in der Regel unklar und offen. Dieser Befund steht in striktem Gegensatz zur enormen ESG-Praxisrelevanz.

Immobilien-Projektentwicklungen, insbesondere von Gewerbeimmobilien sind ohne ausgefeilte „ESG-Vertriebsstrategie“, d. h. ohne umfangreiche Versprechen zur Einhaltung von mehr oder minder bestimmten „ESG-Kriterien", nicht mehr veräußerlich. Finanzierungen für Projektentwicklungen sind ohne „ESG-Labeling“ der finanzierten Objekte nicht mehr erhältlich. Erst vor einer Woche notierte Thomas Veith, Real Assets Leader, der taktangebenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) Deutschland: „Während Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekte in den Anlagestrategien bereits häufig berücksichtigt werden, rücken zunehmend auch soziale Aspekte wie Diversity und deren ökonomische Vorteile in den Vordergrund.“ Bei der Suche nach langfristigen Erträgen wächst einer aktuellen PwC-Studie zufolge auch die Bedeutung von ESG-Kriterien für Investitionsentscheidungen.

Im Amsterdamer Bürogebäude „Edge Olympic“ werden öffentliche und private Zonen des Workhubs klimatisch intelligent miteinander verbunden. Geboten werden vielfältige Blickbeziehungen zu Innen- und Außenräumen. Das Gebäude selbst ist Mittel zum Zweck, gut ausgebildete Mitarbeiter an einem Ort zu versammeln.

© Reinhart Bünger

Wenn eine Gewerbeimmobilie „ESG-Kriterien“ – gleich welchen Inhalts – erfüllt, verspricht man sich hiervon eine besondere Wertstabilität und eine Verminderung von Risiken: Bei einer künftigen Verschärfung der gesetzlichen Umweltstandards wäre kein Investitionsrückstau bei energetischen Maßnahmen abzuarbeiten. Wertstabile Immobilien lassen sich besser weiterverkaufen; ein Ausstieg aus der Investition kann so risikoärmer gestaltet werden. Drittens lassen sich mit „grün angestrichenen“ Gewerbeobjekten zumeist deutlich höhere Mieterträge, d. h. bessere Renditen, erzielen. Gleichzeitig wird – viertens – das Leerstandsrisiko reduziert. Denn Gewerbeimmobilien, die unter Einhaltung von ESG-Nachhaltigkeitskriterien errichtet wurden, und die auch in ihrer Bewirtschaftung nachhaltig sind, ziehen immer bonitätsstärkere Gewerbemieter an. Dies sind dann Unternehmen, die sich als Mieter von nachhaltig gebauten und nachhaltig genutzten Büro- und Gewerbeimmobilien für ihr Unternehmen einen Reputationsgewinn versprechen: Für das bessere Image in der Öffentlichkeit und bei den Kunden wird gerne mehr Miete gezahlt.

Investoren wollen ihr Geld mit gutem Gewissen einsetzen

„Grüne Gebäude“ sind somit allseits gefragt. Auch in Berlin wird mittlerweile jeder Verwaltungs- oder Gewerbeneubau mit ausgefeilten ESG-Nachhaltigkeitseigenschaften und Ökozertifikaten ausgewiesen. Dies beruhigt allseits das soziale und grüne Gewissen. Aber schont es auch die Umwelt?

Die Sache ist undurchsichtig. Insbesondere bei Finanz- und Fondsprodukten für Immobilienanlagen ist die Einhaltung von „ESG-Kriterien“ durch die Immobilienanlage meist nicht überprüfbar. Eine Finanzanlage ist per se intransparent und meist nur schwer verständlich. Das Geld soll aber immer mit gutem Gewissen investiert werden. Dies ruft Missbrauch hervor. Schlagworte wie „green washing“, „green labeling“ oder „green fraud“ machen die Runde. Welche Kriterien von Immobilienanlageprodukten erfüllt werden müssen, damit sie mit Zusätzen wie „ESG-gerecht“ oder „nachhaltig“ beworben und verkauft werden dürfen, ist unklar und offen. Sind hierunter nur energetische Kriterien zu verstehen oder spielen auch soziale Kriterien eine Rolle? Wenn ja, welche und wie überhaupt kann beurteilt werden, ob die Immobilienanlage die sozialen Ziele von Gleichbehandlung und Gleichberechtigung erfüllt? Das Versprechen, keinen Naturstein aus China zu verbauen, dürfte hierzu bei weitem nicht ausreichen.

Um einen grünen Etikettenschwindel zu unterbinden, hat die EU ein umfangreiches Maßnahmepaket erlassen. Dazu gehört – unter anderem – die am 10. März 2021 in Kraft tretende EU-Offenlegungsverordnung. Sie zwingt alle Anbieter von Immobilienanlageprodukten zu einer weitaus höheren Transparenz bei der Verwendung und Einhaltung von ESG-Kriterien ihrer Immobilien-Anlageprodukte.

Die Stunde der Wahrheit kommt am 10. März 2021

Kapitalverwaltungsgesellschaften, Finanzberater und Spezial-Immobilienfonds (Spezial-AIF) sind ab dem 10. März 2021 verpflichtet, transparent zu machen, welche konkreten ESG-Kriterien sie verwenden und wie sie diese Kriterien bei ihren Investitionsentscheidungen berücksichtigen. Sie müssen dann detaillierte Informationen zur Nachhaltigkeit in ihre Verkaufsprospekte aufnehmen. Die Vorlagen hierfür werden gerade erst entwickelt. Den privaten und institutionellen Anlegern, die in Immobilienanlageprodukte investieren, sollen dann vor der Zeichnung von Anteilsscheinen alle ESG-Informationen über ihre Investition zur Verfügung gestellt werden.

Dies ist eine große Herausforderung für die Branche, insbesondere für das die Immobilienanlagen als Treuhänder verwaltende Asset-Management. Denn Datengrundlagen für die offen zu legenden ESG-Informationen, d. h. belastbare Daten über die Erfüllung von Öko- und Sozialkriterien, sind im verwalteten Immobilienbestand in aller Regel nicht vorhanden.

Öko-Attribute steigern Miete und Rendite

Bei großen und komplexen Gewerbeimmobilien oder größeren Immobilienbeständen sind Nachhaltigkeitsbilanzen auch nicht ohne weiteres erstellbar. Insbesondere die Einhaltung von sozialen Kriterien wie Gleichbehandlung und Gleichberechtigung ist im verwalteten Immobilienbestand nicht dokumentiert und auch nicht darlegbar. Neben den fehlenden ESG-Datengrundlagen stellt sich für das Asset Management, das die Immobilienanlagen verwaltet, ein weiteres, großes Problem. Es müssen erst das Knowhow und die Kapazitäten geschaffen werden, um die ESG-Kriterien beim verwalteten Immobilienbestand zu definieren und die Einhaltung dieser Kriterien für die Anleger darzustellen.

Die Branchenverbände sehen den Zeitraum bis zum Inkrafttreten der Offenlegungsverordnung im März 2021 daher als viel zu kurz an, um die strengen EU-Anforderungen zur Transparenz von ESG-Kriterien zu erfüllen. Dies ist für die privaten und institutionellen Anleger, die mit ihren Kapitalanlagen in Immobilienbestände – sei es auch aus rein ökonomischen Gründen – Nachhaltigkeitsziele verfolgen, aber nicht das Schlechteste.

Der promovierte Autor ist Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht in Berlin (www.ts-law.de).

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