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Es mangelt an Mietwohnungen in den Großstädten.

© Ralf Hirschberger/dpa-Zentralbild/dpa

Mietmarkt: Die Dosis macht das Gift

Vorkaufsrechte und Enteignungen auf dem Wohnungsmarkt finden immer mehr Anhänger. Können diese Maßnahmen den Mietern wirklich nutzen? Ein Gastbeitrag.

Enteignen, verstaatlichen, regulieren – selten fanden derartige wohnungspolitische Vorschläge mehr Anhänger als heute. Für viele Mieterinnen und Mieter sind Deutsche Wohnen oder Vonovia zum Sinnbild eines ungezügelten Wohnungsmarktes geworden: Unternehmen, die rücksichtslos ältere Menschen aus ihren Wohnungen „herausmodernisieren“, Mieten für junge Familien bis ins Unerträgliche erhöhen und sich dabei wenig um die Entwicklung von Stadtteilen und Quartieren kümmern, sondern in erster Linie um ihren eigenen Profit.

Unabhängig davon, ob diese Vorwürfe stimmen, scheint ein Gefühl der Ohnmacht die Saat für massive staatliche Eingriffe in den Wohnungsmarkt zu sein. Eigentum verpflichte schließlich, so die weit verbreitete Auffassung mit Verweis auf das Grundgesetz.

Entschädigungen müssten aktuelle Mietpreise reflektieren

Und so steigt die Sympathie für harte Mietdeckel, für Enteignungen und die Ausübung kommunaler Vorkaufsrechte stetig. Geträumt wird beispielsweise in Berlin von einem großen kommunalen Wohnungsbestand, wie ihn Wien über Jahrzehnte aufgebaut hat. Zuletzt machte die Stadt Schlagzeilen mit der Ausübung des Vorkaufsrechts in der Karl-Marx-Allee, der ehemals ersten Adresse in der DDR. Kritiker tragen vor, dass angesichts der Kosten ein derartiger Eingriff keinesfalls gerechtfertigt sei und der Nutzen sich auf Wenige konzentriere.

Der Eintritt in einen Kaufvertrag erfolgt regelmäßig zum ausgehandelten Kaufpreis. Auch bei Enteignungen – sofern sie denn überhaupt zulässig wären – müssten Entschädigungen geleistet werden, die aktuelle Marktpreise reflektieren. Das Geld würde nicht in den Neubau zusätzlicher Wohnungen fließen, sondern in den Bestand. Die Schlangen bei Wohnungsbesichtigungen werden so nicht kürzer. Vordergründig profitierten – unabhängig von ihren finanziellen Verhältnissen – zunächst nur die aktuellen Bewohnerinnen und Bewohner von der Abwehr eines unliebsamen Investors. Viel Geld der Allgemeinheit würde also eingesetzt zum Nutzen vergleichsweise weniger Menschen.

230 Milliarden Euro für Neubau und Modernisierungen

Gleichzeitig sorgt eine solche Politik auch dafür, dass Investitionsstandorte unattraktiver für privates Kapital werden. Häufig wird vergessen, wie sehr der Wohnungsmarkt am Tropf privater Anleger hängt: Rund 230 Milliarden Euro werden pro Jahr für den Neubau und die Modernisierung von Wohnimmobilien aufgewendet – nur ein Bruchteil davon entfällt auf die öffentliche Hand und öffentliche Wohnungsbaugesellschaften.

Die Langzeitrecherche „Wem gehört Berlin“ ist eine Kooperation des Tagesspiegels mit dem gemeinnützigen Recherchezentrum Correctiv. Auf unserer Plattform wem-gehoert-berlin.de können Sie uns mitteilen, wer Eigentümer Ihrer Wohnung ist, und welche Erfahrungen Sie mit Ihrem Vermieter gesammelt haben. Mithilfe der Daten suchen wir nach unverantwortlichen Geschäftspraktiken und machen den Immobilienmarkt transparenter. Eingesandte Geschichten werden nur mit Ihrer Einwilligung veröffentlicht.

Dieses Volumen allein aus Steuergeldern zu finanzieren, erscheint aussichtslos. Der Bund müsste etwa 70 Prozent aller Mittel eines Haushaltsjahres zur Verfügung stellen – die Länder müssten 60 Prozent ihrer Budgets zu diesen Zwecken verwenden. Massive staatliche Eingriffe träfen zudem neben einigen schwarzen Schafen auch die Vielzahl von Vermieterinnen und Vermietern, die zum Zweck der privaten Altersvorsorge eine Eigentumswohnung erworben haben und sich pflichtbewusst um jeden Mangel am Mietobjekt kümmern, Nebenkosten ordnungsgemäß abrechnen und pünktlich den Schornsteinfeger ankündigen. Viel spricht dafür, dass der Flurschaden einer Politik der Verstaatlichung, Enteignung und starren Regulierung riesig wäre, der Nutzen aber nur gering.

Es geht um die Disziplinierung allzu gieriger Investoren

Allerdings vernachlässigt eine solche Argumentation ein wichtiges Element: So ungeeignet und teuer Enteignungen und Vorkaufsrechte zum Aufbau eines kommunalen Wohnungsbestands sind, so wirksam können sie sein, wenn es um die Disziplinierung allzu gieriger Investoren geht. Mit einem wohl dosierten Einsatz des Vorkaufsrechts kann glaubhaft gemacht werden, dass Städte nicht jedes Treiben auf dem Wohnungsmarkt tolerieren.

Es geht also darum, alle Möglichkeiten klug einzusetzen – denn es lässt sich schwer leugnen, dass die aktuelle Marktsituation unter einer Unwucht leidet, die auch unlautere Geschäftspraktiken begünstigt. Genau diese im Sinne des Gemeinwohls zu unterbinden, ist Aufgabe einer kommunalen Wohnungsmarktpolitik.

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Der Wohnungsmangel ermöglicht die unlauteren Praktiken

Wenn Kommunen die Möglichkeit des Vorkaufs also tatsächlich in einzelnen prominenten Fällen wahrnehmen, dann nutzt dies nicht nur den Bewohnerinnen und Bewohnern der verstaatlichten Wohnungen. Auch andere Mieterinnen und Mieter werden aufgrund der Signalwirkung vor schwarzen Schafen bewahrt.

Ein großflächiger Aufkauf von Immobilien hätte dagegen kaum größere disziplinierende Wirkung als der gezielte Einzelfall. Vielmehr wäre es eine Verschwendung öffentlicher Gelder. Besser wäre es, diese zu verwenden, um vorausschauend Flächen zu erwerben, die später als Bauland ausgewiesen werden können, die eigenen Wohnungsbaugesellschaften zu stärken und so aktiv das Angebot an Wohnraum auszuweiten. Denn nur der Wohnungsmangel ermöglicht überhaupt erst die unlauteren Praktiken am Markt.

Der Autor ist Immobilienökonom und Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Claus Michelsen

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