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Übereinander. Wo der Verkehr fließt, kann auch Wohnraum entstehen.

© MaxGrönert

Mieten und Wohnungsbau: Warum Berlin keine Schienen deckelt

Wohnen über Schienenwegen: Was andernorts gelingt, bleibt in Berlin Blaupause. Denn solche Projekte sind vor allem eines: kostenintensiv.

Köln Braunsfeld, Aachener Straße. 20 Mal täglich senken sich die Schranken. Die „Klüttenbahn“ rumpelt durchs Quartier und bringt Klütten (Presskohle) zum Kraftwerk. Blick in die Zukunft, in das Jahr 2021: Die Güterzüge queren noch immer die viel befahrene Aachener Straße, aber sie tauchen an deren Nordseite aus einem Haus auf, mit dem die Strecke hier überbaut wurde.

67 Wohnungen sind derzeit auf dem bisher als Parkplatz und Wochenmarkt genutzten Bahnhofsgelände im Bau. Wo bisher Gleise und Parkplätze waren, entsteht nach den Plänen des Kölner Architekturbüros Matthias Dittmann md3plus querab der Aachener Straße ein Wohnquartier. Drei Einzelgebäude reihen sich über dem Gleis, bilden ruhige Gartenhöfe und einen neuen Platz für den Wochenmarkt. Welch ein Gewinn für die Stadt! Ein Patentrezept zur Gewinnung neuer Bauplätze? Denn Gleiskörper, die im Stadtgefüge trennen und stören, gibt es allerorten.

Szenenwechsel. Paris, Rue Mstislav Rostropovics, am Quartier des Batignolles. Auf einem Sockelgeschoss aus Beton erhebt sich über den Gleisanlagen der Strecke zur Gare Saint-Lazare ein sieben Geschosse hoher Büroneubau. Das Vorarlberger Architekturbüro Baumschlager Eberle hat das Plusenergie-Holzhaus geplant, das mit seinem Solardach mehr Strom erzeugt, als es selbst benötigt. Das Haus mit Kantine und Geschäften ist zum Teil öffentlich zugänglich, insbesondere der grüne Innenhof mit Ausblicken und Südsonne. Ein Vorbild für andere Städte?

Schallschutz und andere Baustellen

Nur bedingt. Denn beide Beispiele, das bescheidene in Köln und das 35-Millionen-Projekt in Paris, entstanden im Luftraum über Nebengleisen. In Köln ist es die unter Denkmalschutz stehende Privatbahn, die man auch mal drei Wochen stilllegen konnte, um die Gleise auf eine kautschukgepufferte Betonfahrbahn zu legen, damit sie akustisch von der Umgebung entkoppelt sind. In Paris steht das Haus über peripheren Güter- und Abstellgleisen neben der eigentlichen Hauptstrecke.

In Paris hat man sich auf den leichteren Holzbau verlegt, weil er weniger Gründungsprobleme bereitet. Denn bei bestehenden Bahnstrecken müssen Stützenfundamente zwischen den Gleisen in die Erde gebracht werden, oft ein Puzzlespiel. Zwar ist es möglich, mit Kragkonstruktionen und großen Spannweiten manche Stütze zu vermeiden, doch das ist teuer.

Körperschall ist ein Thema – die Gleise müssen schalltechnisch entkoppelt werden. Luftschall ist ein zweites – Reflexionen müssen vermieden, Schallschluckmaterialien verbaut werden. Brandschutz ist ein drittes – einem brennenden Zug muss das Haus 90 Minuten Widerstand entgegensetzen. Aufprallschutz ein weiteres – tonnenschwere Manschetten schützen die Stützen beispielsweise gegen eine entgleisende Lokomotive. Werden Stützen abrasiert, müssen andere deren Last übernehmen bzw. darf das Haus nur wenig nachgeben, aber nicht zusammenstürzen.

All diese Maßnahmen sind vor allem eines: kostenintensiv. Und das betrifft nicht nur die Gestehungskosten. Auch die Genehmigungsverfahren dauern erheblich länger, insbesondere jene durch das Eisenbahn-Bundesamt. Die Erbauer des Berliner Hauptbahnhofs können ein Lied davon singen.

Kein Deckel drauf 

Die Probleme potenzieren sich nochmals, wenn es um die Gleisüberbauung bei laufendem Betrieb gehen soll. Etwa am S-Bahnring zwischen Prenzlauer und Schönhauser Allee, wie kürzlich in einem Antrag der Regierungskoalition an das Abgeordnetenhaus von Berlin vorgeschlagen. Als Pilotprojekte sollen die Autobahn 100 in Charlottenburg, die ohnehin im großen Stil umgebaut werden soll, sowie die Verlängerung der A 100 vom Dreieck Neukölln bis zum Treptower Park dienen. „Als Projekt zur Deckelung von Schienenstrecken in Troglage ist der Bahngraben der Ringbahn zwischen Schönhauser Allee und Prenzlauer Allee vorrangig zu untersuchen“, heißt es in dem Antrag weiter. Dann müssen allerdings die gesamten Sicherheitsauflagen auch für alle Bauphasen und die temporären Baustelleneinrichtungen berücksichtigt werden.

„Flächen für Wohnungsbau, aber auch für den wachsenden Bedarf an grüner und sozialer Infrastruktur“, wie sie in dem reichlich weltfremden Antrag erträumt werden, sind zu tragbaren Kosten über existierenden Verkehrswegen nicht zu schaffen. Sie sind bezahlbar nur für potente Investoren, doch die von diesen Playern geschaffenen, überteuerten Büroflächen und Luxuswohnungen will man nicht haben. Oder die exorbitanten Mehrkosten werden politisch gewollt. Doch wird man die Steuermittel anderweitig in jedem Fall effektiver einsetzen können.

Günstiger könnte es aber werden, wenn man Neubautrassen von vornherein mit Überbauung plant. In Treptow wird die Autobahn zwar neu gebaut, doch die Planung ist so weit fortgeschritten, dass eine (früher übrigens öfter vorgeschlagene) Deckelung vom finanziellen und zeitlichen Rahmen her nicht mehr vertretbar ist.

Berlin hat Erfahrung mit der "Schlange"

Beim Stichwort Autobahnüberbauung denkt in Berlin ein jeder an die 1976-82 errichtete, 600 Meter lange „Schlange“ an der Schlangenbader Straße in Wilmersdorf. Über einem Autobahn-Neubau zwar, insgesamt gelungen und mit heute noch begehrten Wohnungen, war aber auch dieses Projekt aus bautechnischen Gründen finanziell aus dem Ruder gelaufen. Und kostendeckend ist die Anlage mit 1 064 Wohnungen noch immer nicht zu betreiben, wie die DEGEWO klagt. Das liegt vor allem an der kleinteiligen Architektur mit dem ungünstigen Nutzflächenverhältnis, der schwer zugänglichen Außenhaut und den Hunderten einzelner Dachterrassen.

So verlockend die Aussicht klingt, in der Innenstadt tosende Verkehrsschneisen mit grünen Wohnparks und Tausenden neuer Wohnungen zu überdeckeln, so gering sind die Aussichten auf Realisierung. Gerade in Berlin, wo sich Senats- und Bezirksverwaltungen mit dem Messer zwischen den Zähnen begegnen, wo politisch in Parteien und in den Kiezen Verhinderungsmentalität vorherrscht, sind derlei Projekte, bei denen man es zudem genehmigungstechnisch mit Eisenbahn und Bundesstraßen zu tun hat, in die Kategorie BER einzustufen.

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