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Gewerbe oder Wohnungsbau? Um die Standorte der Elektroindustrie in Oberschöneweide wie die „AEG-Stadt“ (oben) ringen Investoren, Politiker und Planer.

©  Kitty Kleist-Heinrich

Neues Leben in Oberschöneweide: Industriehallen zu Studentenwohnungen

In das Gebäude der Arbeiterwohlfahrt in der früheren Elektropolis sollen Studenten einziehen. Auch die alte AEG-Stadt und die ehemalige Akkumulatorenfabrik Oberspree werden weiterentwickelt.

Die weit über Berlin hinaus bekannten Hackeschen Höfe zeigen, wie sich Wohnen und Gewerbe miteinander vertragen können. In den 90er Jahren wurde das Gründerzeit-Ensemble mit acht Hinterhöfen saniert. Heute finden sich dort Modegeschäfte, Kunsthandwerker, Galerien, Architekturbüros, Programmkino, Theater, Café und Restaurant, aber eben auch zahlreiche Wohnungen. Das Sanierungsprojekt hatte einen Vorteil: Schon beim Bau 1906 war die Anlage als Mischung aus Gewerbe- und Wohnhäusern konzipiert.

So ist es auch – zu einem wesentlich geringeren Teil allerdings –, wenn es um die Revitalisierung des ehemaligen Industriestandortes Oberschöneweide geht. Hier hat die im Januar 2016 gegründete Capital Bay GmbH nach Informationen dieser Zeitung im Rahmen eines Share Deals denkmalgeschützte Immobilien erworben, die historisch betrachtet zur Akkumulatorenfabrik Oberspree (Afa) gehören. Das Akkumulatorenwerk wurde 1899 gegründet und war ein bedeutender Standort der deutschen Elektroindustrie.

Nicht weit davon entfernt stehen die historischen Rathenau-Hallen, wo einst der Elektrokonzern AEG Transformatoren herstellte. Auf dem Gelände am Spreeufer mit einer Reihe von Klinkerbauten sind schon die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) und einige Betriebe untergebracht. Das macht diese Gegend für Investoren besonders interessant. Ein Projektentwickler aus Irland will nun auf rund einem Viertel des 100.000 Quadratmeter großen Grundstücks Wohnungen bauen.

Markteintritt im boomenden Teil Berlins

Das hat in kleinerem Maßstab auch George Salden vor, der zwei der ehemaligen Afa-Gebäude erwarb. Der Gründer und geschäftsführende Gesellschafter der Capital Bay will das Gebäude kernsanieren und eine Gesamtnutzungsfläche von 5000 Quadratmetern erzielen. Dies würde die vermietbare Nutzfläche um vierzig Prozent steigern. „Unsere Investoren haben bereits 150 Millionen Euro in eine Wandelanleihe im nichtregulierten Markt gezeichnet. Mit dem Ankauf der Immobilie schaffen wir unseren Markteintritt in einem boomenden Teil Berlins“, sagt Salden.

Das Vorhaben ist noch ganz am Anfang, man ist im Gespräch mit den Denkmalschutzbehörden des Bezirks. Gegen das Projekt Rathenau-Hallen dagegen stemmen sich Anlieger und Wirtschaftsvertreter. Die Reaktivierung ehemaliger Industriestandorte ist kompliziert. Meist stellt sich die Frage: Wer oder was soll dort entstehen – neue Wohnungen oder Räume für Unternehmen, Büros?

Die Diskussion über die Rathenau-Hallen zeigt: Wo Bauherren bis vor einigen Jahren am liebsten Bürohäuser errichteten, entstehen inzwischen oft Wohnungen, vor allem in Großstädten. Weil Wohnraum dort begehrt und knapp ist, steigen die Renditen für Investoren und Projektentwickler. Durch die neue Nutzung früherer Fabriken, Warenhäuser oder Kliniken könnten „zusätzliche Potenziale bei der Schaffung des dringend benötigten neuen Wohnraums erschlossen werden“, stellt die Investitionsbank Berlin (IBB) in ihrem jüngsten Wohnungsmarktbericht fest.

Auf der anderen Seite fehlt es in Berlin inzwischen aber an Büroflächen. Und an großen innerstädtischen Logistikflächen mangelt es auch. In der öffentlichen Debatte haben Wohnimmobilien zurzeit ein Übergewicht. Wenn das so bleibt, könnte es zu einer Verdrängung von Gewerbe und damit eben auch von Arbeitsplätzen aus den Städten kommen, befürchten manche. Die Immobilienwirtschaft beklagt deshalb ein Ungleichgewicht.

In Berlin ist produzierendes Gewerbe "abgesiedelt"

George Salden versteht die Diskussion nur zum Teil. Er möchte in die Gebäude Wilhelminenhofstraße 66 und 68 in unmittelbarer Nähe der HTW bis zu 150 Studentenwohnungen einbauen. Zur Zeit wird ein Drittel des historischen und denkmalgeschützten Arbeiterwohlfahrtsgebäudes noch von eben dieser Arbeiterwohlfahrt genutzt.

George Salden, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Capital Bay.
George Salden, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter von Capital Bay.

© Capital Bay

„Ich kaufe seit 15 Jahren nur solche Flächen und habe riesige Industrieflächen bebaut“, sagt der Investor zu seinem Engagement. „Wir produzieren heute viel weniger Waren und zu komplett anderen Baustandards.“ Derartige Flächen seien gewerblich gar nicht zu revitalisieren. Zudem: „Berlin hat alles ,abgesiedelt’ – es gibt in der Stadt kein nennenswertes produzierendes Gewerbe mehr“. Mit Blick auf die alten und häufig beschädigten Immobilien sei eine wohnwirtschaftliche Nutzung gut, „weil der Ursprungscharakter der Gebäude wiederhergestellt werden kann“, sagt Salden.

Neben einer Verwertung der erworbenen Immobilien durch den Einbau von Studentenwohnungen kann sich Salden in einer zweiten Verwertungskette „auch vorstellen, dass wir mit einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft etwas machen“. Eines der beiden Gebäude könne er sich zudem als „Integrationsort für Flüchtlinge“ vorstellen – Veranstaltungsräume für Integrationskurse und Workshops könnten hier ihren Platz finden. Stadt und/oder Bezirk könnten Räume anmieten und so die kostengünstige Bereitstellung von Wohnungen für die Arbeiterwohlfahrt finanzieren – so geht eine Finanzierungsvariante für diese Verwertungskette. „Doch noch sind wir im Stadium von Ideenskizzen“, sagt Salden.

Das jüngst verkaufte Gebäude der Arbeiterwohlfahrt gehört auch zum Industriequartier, das sich wandelt.
Das jüngst verkaufte Gebäude der Arbeiterwohlfahrt gehört auch zum Industriequartier, das sich wandelt.

© Capital Bay

Zunächst müsse Ordnung im Grundbuch geschaffen werden, wenn es um seine neuen Immobilien geht. „Ein Chaos“ hat Salden im Grundbuchamt gesehen. Da sind die Feuerwehrzufahrten und weitere Beziehungen zu den Grundstücksnachbarn neu zu regeln, wenn es um öffentliche Verpflichtungen geht. Kurzum: Die Baulasten – wie der Terminus technicus lautet – sollen in enger Abstimmung mit den Grundstücksnachbarn neu bestellt werden. Parzellieren lassen sich die Bauten allerdings nicht: Der Verkauf einzelner Studentenwohnungen an Kapitalanleger ist damit ausgeschlossen. So kann es hier am Ende nur um alles oder nichts gehen, wenn die Immobilien neu hergerichtet wurden. (mit dpa)

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