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Wong Mun Summ (rechts) und Richard Hassel gründeten 1994 die Architektur- und Designfirma WOHA.

© promo/WOHA

Grüne Gebäude: Häuser mit Haaren

Die Woha-Architekten aus Singapur verzichten auf Granit und holen Natur in Wolkenkratzer. Das könnte Schule machen.

In dieser Woche fand in Berlin das World Architecture Festival statt, an dem auch die weltbekannten Architekten Woha aus Singapur – Wong Mun Summ und Richard Hassell – teilnahmen. Sie realisieren die Durchdringung von Gebäuden und Landschaft, von Innen- und Außenräumen. Die Megastädte von heute müssten ganz anders geplant werden, sagen sie: Weg von der autogerechten Stadt, hin zu einer kompakten Bauweise, die dennoch Lebensqualität biete. Ihre Lösung dafür: begrünte Gebäude.

Die Begrünung von Gebäuden erscheint heute oft noch wie eine nette Zugabe. Können grüne Gebäude Städte lebenswerter machen?
Wong Mun Summ: Es gibt viel Begrünung, die eher einen Schmuckeffekt hat. Doch als wir mit grünen Gebäuden begonnen haben, wollten wir mit der Begrünung einen Raum für Menschen schaffen, in dem sie wie in einem Garten zusammenkommen können und wo die Kinder herumtollen und in einer sicheren Umgebung spielen können. In den Newton Suites beispielsweise...

...einem Hochhaus in Singapur, das 2007 fertiggestellt wurde...

teilen sich je vier Wohnungen aus vier Stockwerken einen kleinen Dachgarten. Die Mieter können sich alle so fühlen, als würden sie einen kleinen Garten besitzen. Die Idee dahinter ist, dass sich die Leute dorthin gehörig fühlen sollen.

Richard Hassell: Es muss Klarheit darüber herrschen, warum man Begrünung einsetzt, ob als schönes Baumaterial für die Fassade, wegen des sozialen Aspekts oder weil Begrünung eine bestimmte Funktion haben soll, etwa als Sonnenschutz oder fürs Ökosystem. Am besten ist es, vier bis fünf Vorteile aus der Bepflanzung zu ziehen. Man kann alle in ein einziges Konzept einfließen lassen. Je mehr man integrieren kann, desto wertvoller ist die Begrünung.

Welche positiven Effekte genau hat Begrünung auf Luft, Umwelt oder Klima? Können Sie Zahlen nennen?

Die Newton Suites, Singapur.
Die Newton Suites, Singapur.

© Patrick Bingham-Hall

Richard Hassell: Es gibt eine Studie aus Singapur zur Temperatur von Wänden. Da wurden normale Betonwände und Metallverkleidungen gemessen. In der Sonne haben sie eine Temperatur von 50 bis 60 Grad Celsius. Bei einer Wand mit Begrünung waren es um die 30 Grad weniger.

Wong Mun Summ: Es gibt jetzt viele Studien, zum Beispiel eine von Treeconomics....

Richard Hassell: ...das ist eine Firma in Großbritannien, die die wirtschaftlichen Vorteile von Bäumen untersucht hat, um Regierung und Ministerien dabei zu helfen, das Pflanzen von Bäumen zu rechtfertigen. Denn die Leute fragen, warum wir Steuergelder auf Bäume verwenden sollten anstatt auf Bildung. Daher sind viele Unternehmen damit beschäftigt, die Daten zu quantifizieren, um die Vorteile von Bäumen zu zeigen. Sehr interessant. Was sie zeigen, ist, dass die Kosten einem unglaublich hohen Wert gegenüberstehen, den ein Baum während seiner Lebensdauer darstellt.

Um wirklich etwas zu bewegen, müssten wir aber viel mehr begrünte Gebäude haben, oder?
Richard Hassell: Ja, in unseren Städten haben so viele Bauwerke keine Begrünung, dass Neubauten supergrün sein müssen, um die alte Bebauung zu kompensieren. Beim Oasia Downtown Hotel in Singapur haben wir es geschafft, 1100 Prozent Grün im Verhältnis zur Nutzfläche zu verwirklichen. Für einen Quadratmeter Fläche hat das Gebäude also elf Quadratmeter Begrünung, sodass der Neubau zehn andere Bauten ohne Grün ausgleichen kann.

Wir denken, es ist interessant, dass man einen so hohen Level mit einem Gebäude erreichen kann, zudem mit einem Gebäude mit normalem Budget. Dabei war es nicht der Auftraggeber, der viel Begrünung haben wollte. Das Oasia Downtown Hotel sollte ein großartiges Gebäude sein, und wir haben es geschafft, die ganze Begrünung im Budget unterzubringen.

Wie machen Sie das?
Richard Hassell: Wir vergleichen unsere Gebäude nicht mit den allergünstigsten. Doch das Hotel Parkroyal on Pickering in Singapur beispielsweise hatte ursprünglich eine große Tiefgarage in der Machbarkeitsstudie und eine mit Granit verkleidete Fassade. Wir haben das Untergeschoss rausgenommen und das Parkdeck oberirdisch geplant, was sechs Monate Bauzeit und eine Menge Geld für die Gründung gespart hat.

Wong Mun Summ: Auch viele Kosten über den Lebenszyklus hinweg werden gespart. Wenn man ein Untergeschoss baut, folgen Kosten für mechanische Belüftung und künstliche Beleuchtung, 24 Stunden täglich.

Richard Hassell: Dann haben wir den Granit gestrichen, denn die Bäume und Blätter sind wunderschön und hängen über die Fassade, daher braucht man nicht viel Geld für sie zu verwenden. Wir können also ein andersartiges Gebäude zum gleichen Preis erschaffen, das Pflanzen mit einschließt.

"Hängender" Garten. 48 North Canal Road in Singapur. Das Projekt wurde 2013 fertiggesellt.
"Hängender" Garten. 48 North Canal Road in Singapur. Das Projekt wurde 2013 fertiggesellt.

©  Patrick Bingham-Hall

Wieso haben wir dann nicht schon viel mehr grüne Gebäude?
Wong Mun Summ: Als wir damit anfingen, gab es eine Menge Widerstand, weil die Menschen damit nicht vertraut waren. Da wir jetzt einige Projekte realisiert haben, und es ganz klar etwas ist, dass innerhalb des üblichen Budgets eines Neubaus funktioniert, haben wir gezeigt, dass es machbar ist. Die Projekte sind ein gutes Beispiel für andere geworden, die sehen, dass sie das Gleiche machen können.

Auch die Städte haben begonnen, das zu realisieren. Als die Regierung in Singapur vor fast zehn Jahren eins unserer Gebäude gesehen hat, war sie sehr zuversichtlich, dass man ein Gesetz erlassen könnte, dass jedes große Gebäude 100 Prozent Ersatzgrün aufweisen muss. Das ganze Baugrundstück, das genutzt wird, muss also den gleichen Anteil an Begrünung im Gebäude hervorbringen. Das wurde zur Vorschrift.

Richard Hassell: Ich denke, die einzige Gefahr ist, dass die ursprüngliche Innovation zu einem bloßen Stil ohne genug Nachdenken verkommt. Weil ein Plan nicht durchdacht war, hat er nicht gut funktioniert oder war zu teuer im Unterhalt, und dann sagen die Leute „Oh, grüne Gebäude funktionieren nicht“, oder „Es ist soo von-vor-fünf-Jahren, es wird langweilig“.

Wir hoffen, dass die Leute es gut machen und gut durchdenken und dass es einfach Teil von jedermanns Erwartungen wird. Und dass man sich um den Planeten kümmert, indem grüne Gebäude geschaffen werden.

Die School of the Arts in Singapur mit der "lebenden" Fassade.
Die School of the Arts in Singapur mit der "lebenden" Fassade.

©  Patrick Bingham-Hall

In Deutschland gibt es im Winter oft Temperaturen unter null Grad. Das ist ein technisches Problem in Bezug auf begrünte Außenflächen. Wasser läuft herunter, dann friert es ein... Haben Sie schon ein Projekt in einem Klima wie unserem realisiert?
Wong Mun Summ: Noch nicht. Doch wir haben an einem Wettbewerb in Frankfurt teilgenommen, für den wir ein Gebäude vorgeschlagen haben, in das eine Menge Grün integriert war. Man muss eben Pflanzen und Bäume aus der gemäßigten Zone nutzen und für den Winter vorsorgen.

Richard Hassell: Das Projekt hätte vier Jahreszeiten gehabt. Das wäre ein Gebäude gewesen, das im Frühling in frisches Grün ausbricht, herrlich üppiges Grün im Sommer hat, sich dann im Herbst orange-rot verfärbt und dann die schönen kahlen Zweige im Winter hat.

Wong Mun Summ: Tatsache ist, dass Bäume ein wundervolles natürliches Mittel zur Klimatisierung sind. Im Sommer bieten die Blätter Schatten, und im Winter lassen sie alle Blätter fallen.

Richard Hassell: Man kann sich sogar ein Gebäude vorstellen, das von Kirschblüten bedeckt ist, es könnte umwerfend poetisch und schön sein, wenn das ganze Gebäude zur gleichen Zeit in Farben ausbricht. Was die technische Seite betrifft: Wir haben festgestellt, dass all diese Fragestellungen rund um die Begrünung nicht annähernd so kompliziert sind wie andere Probleme bei Gebäuden. Man muss darüber nur etwas nachdenken.

Das Hotel Parkroyal on Pickering.
Das Hotel Parkroyal on Pickering.

©  Patrick Bingham-Hall

Wong Mun Summ: Ein wirklich gutes Beispiel ist Bosco Verticale von Stefano Boeri in Mailand. Er hat das realisiert, was in dieser Klimazone möglich war. Die Menschen können es sich ansehen und darüber nachdenken, was machbar ist.

Richard Hassell: Während die Leute, die keine Architekten sind, es wirklich lieben und sagen: „Oh, ich würde zu gerne mit den Bäumen und den Vögeln vor meinem Fenster leben“, sind es die Architekten und Ingenieure, die viele Probleme sehen. Vieles davon ist kulturell bedingt. Viele Menschen sehen ein Gebäude als etwas Trockenes und Mineralisches oder Metallisches, und es ist ein mentaler Konflikt, daran als etwas zu denken, das ein bisschen behaart und nass und schmutzig ist, mit Tieren darin. Menschen haben seit rund 2000 Jahren versucht, die Natur aus dem Gebäude zu verbannen. Wenn man sie jetzt zurückbringt, finden das manche Leute problematisch, sie mögen es nicht und denken, dass es falsch sei.

Meiner Ansicht nach ist das eher eine Sache der Einstellung, und wie man Architektur emotional wahrnimmt. Es ist die Verschmelzung von zwei Dingen, die man immer separat gesehen hatte. Das ist für manche Menschen ein Problem.

Ist der Wettbewerb in Frankfurt schon entschieden?
Ja, schon vor einer ganzen Weile, das Gebäude ist fast fertiggestellt. Nicht mit unserem Design. Ohne Grün. Wir haben uns aber hier in Berlin mit einem Entwickler getroffen, der daran interessiert ist, das Thema zu verfolgen. Mehr können wir leider noch nicht verraten.

Das neueste Buch über WOHA-Architektur stammt von Patrick Bingham-Hall: Garden City, Mega City. Rethinking Cities for the Age of Global Warming. Pesaro Publishing (London) 2016. 384 Seiten, 26,60 Euro.

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