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Aus einem Guss: Sogar das Dach dieses Stuttgarter Hauses ist aus Dämmbeton. Der Vorteil dieser Bauweise ist, dass kaum Wärmebrücken entstehen.

© Roland Halbe

Dämmen: "Kuschelbeton" hält Häuser warm

Leicht und doch fest: TU Berlin entwickelt Alternative zu Styroporfassaden. Ziel ist eine konkurrenzfähige Alternative zu Wärmedämmverbundfassaden.

Architekten lieben Beton. Die Ursache dafür ist noch nicht erforscht und muss wohl im tiefenpsychologischen Bereich zu suchen sein, denn alle anderen Zeitgenossen hassen den fahlgrauen Baustoff und pflegen Bauten mit sichtbarem Beton reflexartig als „Betonbunker“ abzuqualifizieren. Nur hin und wieder gelingt es Stararchitekten, Betonbauten zu erstellen, die auch in der Bevölkerung Respekt erfahren. Oder sie finden für teure Villen Bauherren mit puristischem Geschmack.

Doch für alle andere Architektur hat Beton bei allen technischen Vorzügen den entscheidenden Nachteil der enormen Wärmeleitfähigkeit. Das ist der Grund, weshalb der schöne Beton allenthalben hinter Wärmedämmung und Verkleidungen versteckt wird.

Wärmedämmverbundsysteme oder zweischalige Fassaden machen jedoch das Bauen komplizierter. Verschiedene Gewerke müssen nacheinander koordiniert werden. Details an Ecken, Sockeln und Dachanschlüssen, Fenster- und Türgewänden sind aufwendig und fehleranfällig. Im Einfamilienhausbau weicht man deshalb bei den Außenwänden auf Leichtbetonsteine oder Wärmedämmziegel aus, die jedoch nach wie vor innen und außen verputzt und gestrichen werden müssen.

Bei Sichtbetonwänden möchte man darauf verzichten, und so gibt es seit einigen Jahren eine Tendenz, Außenwände aus einem leichten Ortbeton zu gießen, bei dem Blähtonkügelchen oder Blähglasperlen aus Recyclingglas-Granulat als Zuschlag für bessere Wärmedämmeigenschaften sorgen. Vor allem in der Schweiz, wo Architekten ein Faible für Sichtbeton haben, sind in jüngster Zeit zahlreiche Häuser aus dem Material entstanden. In einem Einfamilienhaus in Stuttgart wurden sämtliche Wände und sogar das Dach fugenlos aus Leichtbeton gegossen. Das lässt den von Matthias Bauer entworfenen Bau wie einen Fels am Hang aussehen.

Stäbe aus Glasfaser als Bewehrung

Dämmbeton hat etwa die Dichte von Buchenholz. Der sogenannte Lambdawert für die Wärmeleitfähigkeit beträgt 0,32. Zum Vergleich: Der Lambdawert von Styropor ist zehnmal geringer, der von Granit zehnmal größer.

Um ein Passivenergiehaus zu errichten, genügten die Werte des leichten Ortbetons noch nicht. Außerdem wünschen sich die Ingenieure mehr Festigkeit. Grund genug für Mike Schlaich, Inhaber des Lehrstuhls für Entwerfen und Konstruieren – Massivbau der TU Berlin, in Zusammenarbeit mit dem Fachgebiet Baustoffe und Baustoffprüfung der TU Berlin in langen Versuchsreihen mit unterschiedlichen Rezepturen und Fließdichten einen verbesserten Beton zu entwickeln. Schlaich nennt ihn „Infraleichtbeton“, weil er noch leichter ist, als es die Definition für Leichtbeton nach DIN mit einer Trockenrohdichte von 800 bis 2000 Kilo pro Kubikmeter vorsieht.

Das Ergebnis war ein Beton mit einem Gewicht von 760 Kilo pro Kubikmeter und einer Wärmeleitfähigkeit von 0,181. Der Wärmestromdurchgang (U-Wert) einer 50 Zentimeter starken Wand beträgt 0,34. Das entspricht in etwa dem einer gleich starken Ziegelwand mit Wärmedämmverbundsystem. Schon mal ein großer Schritt in die geplante Richtung also.

Das Schwind- und das Kriechverhalten, die Druck- und Biegezugfestigkeit und andere Parameter unterscheiden sich aber teilweise erheblich vom Normalbeton und wollen bei der Konstruktion bedacht sein. Die größere Neigung zur Rissbildung macht Bewehrung notwendig. Wegen der geringeren Wasserdichtigkeit werden keine rostgefährdeten Baustahlmatten eingesetzt, sondern Stäbe aus Glasfaser.

Tragende Decken mit größeren Spannweiten sind in Infraleichtbeton nicht möglich. Sie sind aber auch nicht notwendig, da sie keine Dämmung benötigen und mit mehr Masse wie gewünscht die Wärme besser speichern.

Neue Rezepturen mit doppelter Festigkeit

Gewissermaßen im Selbstversuch testete Mike Schlaich das neue Material bei seinem 2008 errichteten Einfamilienhaus in Pankow, das mit 50 Zentimeter starken Außenwänden aus Infraleichtbeton errichtet wurde. Sein „Kuschelbeton“ – er fühlt sich nicht wie Normalbeton kalt an – hat eine seidige Oberfläche. Man kann ohne Weiteres Nägel einschlagen, um Bilder an die Wand zu hängen. Ein Monitoring hat mittlerweile gezeigt, dass das Haus die energetischen und konstruktiven Erwartungen erfüllt.

Infraleichtbeton ist ungefähr doppelt so teuer wie gewöhnlicher. „Dafür sparen Sie den Anstrich, die Wärmedämmung und die teure Entsorgung der Dämmstoffe, wenn es zu einem Abriss kommt, sodass wir am Ende auf dasselbe rauskommen“, argumentiert Schlaich.

Die Entwicklung wurde im Institut für Massivbau der TU vorangetrieben. Die jüngsten Betonrezepturen erreichen bei gleicher Dämmleistung eine Verdoppelung der Festigkeit, was die monolithische Bauweise nun auch ökonomisch interessant macht. Die Gewichtsersparnis des Infraleichtbetons mindert Transport- und Montagekosten, sodass sich die Produktion von Fertigteilen anbietet, was mit einer Verkürzung der Bauzeit einhergeht.

Die Architekturprofessorin Regine Leibinger vom Fachgebiet Baukonstruktion und Entwerfen (TU Berlin) arbeitet zusammen mit Mike Schlaich an einem von der Forschungsinitiative Zukunft Bau geförderten Projekt. Hier werden die gestalterischen Potenziale von Infraleichtbeton im Geschosswohnungsbau untersucht. Ziel ist, konkurrenzfähige Alternativen für Wärmedämmverbundfassaden mit den umwelttechnisch problematischen Styroporplatten zu entwickeln. Als Ergebnis soll ein Handbuch Architekten Hilfestellungen für die neue Bauweise geben.

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